Amnesty Journal Deutschland 04. März 2024

"Männliche Gewalt gegen Frauen ist nicht naturgegeben"

Menschen demonstrieren bei Dunkelheit und Regen auf einer Straße gegen Gewalt gegen Frauen, sie tragen Jacken und die Kapuzen über den Köpfen, auf einem Transparent steht "Stoppt  Gewalt an Frauen und Mädchen".

Die Familienrechtsanwältin Asha Hedayati vertritt Frauen, die von Gewalt in der Partnerschaft betroffen sind. Sie kritisiert, dass der Staat die Frauen alleinlässt.

Interview: Anna-Lisa Apprecht

Das Private ist politisch – wie zeigt sich das in Ihrer Arbeit?

Wir müssen die liberale Erzählung hinterfragen, im Kontext von Familie oder Partnerschaft seien alle Entscheidungen privat. Bekommt in Deutschland eine Frau mit einem Mann ein Kind, macht sie oft unbezahlte Sorgearbeit und wird von ihm wirtschaftlich abhängig. Diese Dynamik wird durch materielle Ungleichheit, gesellschaftliche Erwartungen und Strukturen stark gefördert. Die Abhängigkeiten führen dazu, dass sich Betroffene deutlich schwerer aus Gewaltbeziehungen befreien können. Daher ist es abwegig, von privaten Entscheidungen zu sprechen.

Um welche Formen der Gewalt geht es?

Viele stellen sich sichtbare körperliche Gewalt vor. Gewaltformen, die keine sichtbaren Verletzungen hinterlassen, sind jedoch nicht weniger zerstörerisch und gesundheitsschädigend. Psychische Gewalt, wie Demütigung, Herabwürdigung und Isolation von der sozialen Umgebung, ist subtiler und schwerer nachzuweisen. Sexualisierte Gewalt hat eine hohe Dunkelziffer, weil sich die Betroffenen schämen. Gerade im partnerschaftlichen Kontext sagen Betroffene nicht immer Nein, wenn Gewalt droht. Aber Konsens entfällt schon in dem Moment, in dem es keinen sicheren Raum für ein Nein gibt. Wirtschaftliche Gewalt ist vielleicht am unsichtbarsten und wirkmächtigsten. Sie zeigt sich, wenn Männer deutlich mehr Geld verdienen und die Macht über alle Ausgaben haben.

Weil die Diskriminierung der Frau in so vielen Unterdrückungsformen eine Rolle spielt, muss sie immer mitgedacht werden. Genau wie wir im Kampf für Frauenrechte andere Formen der Unterdrückung, wie Rassismus und Armut, mitdenken müssen. 

Eine Frau posiert für ein seitliches Porträt, das Haar gelockt und schulterlang, sie trägt Lippenstift und ein Sweatshirt.

Die Familienrechtsanwältin Asha Hedayati vertritt Frauen, die von Gewalt in der Partnerschaft betroffen sind.

Wie reagieren staatliche Institutionen auf gewaltbetroffene Frauen?

Als Familienrechtsanwältin habe ich viel mit Familiengerichten und Jugendämtern zu tun. Dort gibt es zum Beispiel ein großes Problem bei Umgangsverfahren. Wenn sich eine gewaltbetroffene Frau trennt und mit ihrem Kind in ein Frauenhaus flüchtet, stellt der Vater häufig einen Umgangsantrag. Familiengerichte berücksichtigen die Gewalt des Ex-Partners oft nicht. Sie sehen nicht, dass die Gewalt nach der Trennung in der Regel massiver wird. So setzt das Gericht die Gewalt mittelbar fort.

Welche menschenrechtlichen Pflichten hat der Staat?

Deutschland hat eine bindende menschenrechtliche Verantwortung, die sich aus der Istanbul-Konvention ergibt – dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Ein gewaltfreies Leben ist ein Menschenrecht. Doch wird dieses Recht in vielen Bereichen nicht gewährleistet: Frauenhausplätze fehlen. Sorge- und Umgangsrechtsverfahren berücksichtigen Partnerschaftsgewalt nicht. Es gibt dazu keine verpflichtenden Fortbildungenfür die relevanten Berufsgruppen – insbesondere für Richter*innen. In Täterarbeit wird kaum investiert.

Wie trägt der Paragraf 218 zur Gewalt gegen Frauen bei?

Deutschland behandelt Schwangerschaftsabbrüche als strafbares Unrecht. Ausnahmen sind nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Mit dieser Regelung kann der Staat eine Schwangere theoretisch dazu zwingen, gegen ihren Willen Kinder zu gebären. Das ist eine Verletzung der UN-Frauenrechtskonvention, die vorschreibt, Schwangerschaftsabbrüche zu entkriminalisieren und den Zugang zu medizinisch sicheren Abbrüchen zu gewährleisten. Die Beratungsregeln      nehmen Schwangeren das Selbstbestimmungsrecht. Es geht um Macht und Kontrolle über weiblich definierte Körper.

Alle totalitären, faschistischen Ideologien eint das Motiv der Frauenunterdrückung. Deswegen müssen auch Männer in Deutschland begreifen, dass sie gegen Gewalt an Frauen laut und aktiv werden müssen – vor allem angesichts des Erstarkens rechter Ideologien.

Welche Rolle spielt Mehrfachdiskriminierung bei Betroffenen?

Gewalt gegen Frauen gibt es in allen sozialen Schichten. Aber bestimmte Personengruppen sind deutlich schlechter geschützt: Im gesellschaftlichen Diskurs werden zum Beispiel trans Frauen häufig als Gefahr für alle anderen Frauen dargestellt, obwohl kein Fall von Gewalt gegen Frauen in Frauenhäusern durch trans Frauen bekannt ist. Geflüchtete Frauen sind aufgrund gesetzlicher Regelungen häufig an Landkreise gebunden und können deshalb nicht so leicht in einem Frauenhaus andernorts unterkommen. Für behinderte Frauen gibt es kaum barrierefreie Frauenhausplätze. Und migrantische Frauenderen Aufenthalt von der Ehe mit ihrem deutschen Ehemann abhängt, können sich nur schwer trennen, ohne ihre Aufenthaltserlaubnis zu gefährden.

Wie können gewaltbetroffene Frauen besser geschützt und unterstützt werden?

Für eine effektive Bekämpfung von geschlechtsbezogenen Ungleichheiten und Abhängigkeiten brauchen wir Maßnahmen, die allen Frauen helfen: Das reicht von umfassender staatlicher Unterstützung für Sorgearbeit bis hin zu einer besseren Bezahlung und konsequenter Armutsbekämpfung. Einzelne Reformen reichen nicht. Wir müssen uns Systemfragen stellen mit fundamentalen, ja sogar revolutionären, Visionen und Veränderungen für eine gerechte Gesellschaft. Wir könnten jetzt schon damit beginnen, alle Berufsgruppen, die mit Gewaltbetroffenen arbeiten, zu Fortbildungen zu verpflichten, mehr in präventive Täterarbeit zu investieren und zu begreifen, dass männliche Gewalt nicht naturgegeben ist.

Warum ist es wichtig, Menschenrechte und Frauenrechte zusammen zu denken?

Unser gemeinsames Ziel ist ein Ende jeder Unterdrückung – für eine freie Gesellschaft, in der alle ohne Angst und Ausbeutung leben können. Weil die Diskriminierung der Frau in so vielen Unterdrückungsformen eine Rolle spielt, muss sie immer mitgedacht werden. Genau wie wir im Kampf für Frauenrechte andere Formen der Unterdrückung, wie Rassismus und Armut, mitdenken müssen. Tun wir das nicht, werden Lösungen präsentiert, die nur wenigen helfen.

Wie kann der Druck auf staatliche Institutionen erhöht werden?

Dazu ist eine starke Zivilgesellschaft äußerst wichtig. In Spanien und Frankreich gehen nach Femiziden teilweise Tausende auf die Straße – das stiftet Hoffnung. Es reicht nicht, wenn sich nur Frauen engagieren. Bei der feministischen Revolution im Iran demonstrieren auch viele Männer – die dafür inhaftiert, gefoltert oder hingerichtet werden. Diese Männer verstehen, dass eine Gesellschaft nur wirklich frei ist, wenn alle in ihr frei sind. Alle totalitären, faschistischen Ideologien eint das Motiv der Frauenunterdrückung. Deswegen müssen auch Männer in Deutschland begreifen, dass sie gegen Gewalt an Frauen laut und aktiv werden müssen – vor allem angesichts des Erstarkens rechter Ideologien.

ZUR PERSON

Asha Hedayati

Asha Hedayati studierte an der Humboldt-Universität Berlin Rechtswissenschaft und arbeitet seit 2013 als Rechtsanwältin im Familienrecht. Dabei vertritt sie vor allem von Gewalt betroffene Frauen in Trennungs-, Scheidungs-, und Gewaltschutzverfahren sowie Männer und Frauen in einvernehmlichen Scheidungsverfahren. Außerdem bildet sie Sozialarbeiter von Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen aus.

Im September 2023 erschien ihr Buch "Die Stille Gewalt. Wie der Staat Frauen alleinlässt".

 

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