Amnesty Journal Australien 18. Juni 2025

Asylmodell Australien: No way!

Ein Mann, barfuß, T-Shirt, Jeans, Bart, zwischen verwachsenen tropischen Bäumen.

Mehr als 3.000 Kilometer von Australien entfernt: Behrouz Boochani auf Manus Island, November 2016

Wenn es um die Abwehr von Geflüchteten geht, nennen immer mehr Politiker*innen den "australischen Weg" als Vorbild. Für die Betroffenen bedeutet die australische Flüchtlingspolitik ein Leben in Rechtlosigkeit und unter miserablen Bedingungen.

Von Till Schmidt

Das Video zeigt ein graues, bedrohliches Meer mit ­turbulentem Wellengang. Mitten im Himmel ist der Umriss Australiens eingeblendet. Der Kontinent ist in Anlehnung an das "No-Smoking"-Zeichen rot eingekreist und durchgestrichen. Dann kommt ein uniformierter General ins Bild und betont, dass dringend gehandelt werden müsse. Stakkatoartig kombiniert er in seiner kurzen Rede die Themen Stärke und Kontrolle mit Begriffen wie "unvermeidbar" und "ausnahmslos". No way – es gebe keinen Weg und keinerlei Möglichkeit, mit dem Boot nach Australien zu ­gelangen. Und wer es dennoch versuche, begreife schnell: No way!

Die australische Regierung richtet sich mit diesem Video vor allem an Asylsuchende. Zusätzlich ließ die Regierung in Transitstaaten Plakatwände bekleben und schaltete Zeitungsanzeigen. Überall lautet die zentrale Botschaft: "No way. You will not make Australia home." Der strikte Grenzschutz diene nicht zuletzt dem Wohl der Geflüchteten – indem er Asyl­suchende vor ausbeuterischen Schlepperbanden schütze und sie davon abhalte, sich auf dem Meer in Lebensgefahr zu ­begeben. Das behauptet auch der General im Videoclip.

Der "australische Weg": Früher abschreckendes Beispiel

Seit Australien vor mehr als zehn Jahren mit der No-way-Kampagne begann, hat sich die Flüchtlingspolitik kaum verändert. Die vom Militär geführte "Operation Sovereign Borders" dauert an. An den Zahlen gemessen ist sie erfolgreich: Kaum jemand kommt auf dem Seeweg in Australien an. In seiner monatlichen Pressemitteilung für Februar 2025 meldete der Grenzschutz, es habe nur 23 "un­authorized maritime arrivals" gegeben, und alle Bootsinsassen seien in Drittstaaten gebracht worden. In früheren Pressemitteilungen wurde zudem stolz berichtet, Boote auf hoher See abgefangen und zur Rückkehr gezwungen zu haben.

Es ist weltweit bekannt, dass Australien zwar über offizielle Resettlement-Programme Flüchtlinge ins Land lässt, ­gegenüber Bootflüchtlingen aber eine ­äußerst restriktive Politik verfolgt. Lange Zeit galt der "australische Weg" als ein abschreckendes Beispiel für eine Asylpolitik, die Menschenrechte in besonders drastischer Weise ignoriert. Inzwischen nennen aber auch in Europa immer mehr Politiker*innen den "australischen Weg" als Vorbild. Er sei eine Inspiration für die Verlagerung von Asylverfahren in außereuropäische Drittstaaten. 

"Der australische Weg ist nicht eins zu eins auf andere Kontexte übertragbar", sagt Klaus Neumann, Historiker und ­Experte für australische Migrationsgeschichte. So sehen sich die EU und die ­europäischen Einzelstaaten mit anderen Größenordnungen ankommender Geflüchteter konfrontiert. Zudem gelten, ­betont Neumann, für die europäischen Länder andere menschenrechtliche Verpflichtungen: "Weder mit dem deutschen Grundgesetz noch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention ist der australische Weg vereinbar." 

"Was man uns in Manus angetan hat, war systematische Folter"

Der Migrationsforscher verweist auch auf die enormen Kosten des australischen Grenzregimes. Allein die Internierung von derzeit knapp 100 Geflüchteten in Drittstaaten kostet Australien jährlich umgerechnet mehr als 320 Millionen Euro. Neumann betont aber vor allem die dramatischen gesundheitlichen ­Folgen für die Betroffenen: "In der Regel benötigen sie nach ihrer Freilassung eine langfristige psychiatrische oder psychologische Betreuung."

Einer der Geflüchteten, der jahrelang interniert war, ist der Iraner Behrouz Boochani. Er hatte sich 2013 von Indonesien aus mit dem Boot nach Australien aufgemacht, war von der australischen Küstenwache aufgegriffen und auf die zu Papua-Neuguinea gehörende Pazifikinsel Manus gebracht worden. Dort musste der damals 29-Jährige sieben Jahre bleiben: ohne offizielle Anhörung, ohne Anwalt, ohne klare Angaben zu den Gründen und zur Dauer seiner Inhaftierung. Ein Leben in Unklarheit und Rechtlosigkeit.

"Was man uns in Manus angetan hat, war systematische Folter", sagt Boochani, der inzwischen als anerkannter Flüchtling in Neuseeland lebt. Der ständige Hunger, die miserable medizinische Versorgung und die willkürliche Behandlung und Gewalt durch die Gefängniswärter sollte die Geflüchteten psychisch zermürben, Härte demonstrieren und weitere Menschen von einer Bootsüberfahrt abhalten, erzählt Boochani. Der heute 41-Jährige betont, welch tiefe Spuren die Haft bei ihm hinterlassen habe. Noch immer ringt er mit den Erfahrungen, die er damals machen musste.

Renommierte Literaturpreise für Texte aus der Haft

Weltweit bekannt wurde Boochani durch zwei Dokumentarfilme und seinen autobiografischen Roman "Kein Freund außer den Bergen", für den er renommierte Literaturpreise erhielt. Darüber ­hinaus veröffentlichte er knapp 100 Zeitungsartikel über die Lage auf Manus Island. Seine Texte schrieb Boochani in der Haft – auf ins Gefängnis geschmuggelten Smartphones. Zunächst publizierte er ­unter Pseudonym, später unter seinem Namen, als er sich dank internationaler Kontakte zur britischen Zeitung Guardian und zu Menschrechtsorganisationen besser geschützt fühlte.

Blechhütten an einem Ufer, dahinter dichte Bewaldung, Palmen.

Willkür und Gewalt ausgesetzt: Unterkünfte für Schutzsuchende auf Manus Island, November 2016

Boochani begann auch damit, die knapp 600 Flüchtlinge auf Manus Island zu vernetzten. Immer wieder organisierten die Inhaftierten Hungerstreiks, Demonstrationen und Aufstände. Die Situation war so belastend, dass sich viele selbst verletzten. Auch Boochani befand sich immer wieder in sehr schlechter körperlicher und psychischer Verfassung. "Meine Texte sind eine andere Art, Geschichte zu erzählen – ich erzähle sie aus der Perspektive von uns Geflüchteten, die vom australischen Staat brutal abgestraft wurden und die sich dagegen immer wehrten", sagt Boochani.

Vor Ort setzen sich zahlreiche NGOs wie der Refugee Council of Australia oder Amnesty International für die Rechte und das Wohlergehen von Geflüchteten ein. Dennoch ist es verschiedenen Koalitionsregierungen in den vergangenen Jahrzehnten gelungen, diese Flüchtlingspolitik durchzusetzen. Klaus Neumann verweist auf die lange Tradition der restriktiven australischen Migrationspolitik. Bis in die 1970er Jahre galt die "White Australia Policy", eine rassistische Immigrationspolitik mit dem Ziel, jegliche Einwanderung nach Australien auf Weiße zu beschränken. Seit 1992 müssen Behörden alle Nicht-Australier*innen ohne gültiges Visum so lange inhaftieren, bis ihnen ihr Herkunftsland oder ein Drittstaat die Einreise gestattet oder ihnen Australien ein Visum erteilt. Und seit 2001 verfolgt Australien – mit einer Unterbrechung von 2008 bis 2012 – die "pazifische Lösung", die bedeutet, dass Asylverfahren nicht mehr im Inland, sondern in Drittstaaten der Region stattfinden. 

No-way-Kampagne: Vorbild für europäische Rechtspopulisten

Doch was sind die Gründe dafür, derart brutal gegen schutzsuchende Bootsflüchtlinge vorzugehen? Neumann, der jahrzehntelang in Melbourne lehrte und mit "Across the Seas" ein preisgekröntes Standardwerk zur australischen Einwanderungsgeschichte veröffentlicht hat, ­verweist auf das gesellschaftliche Klima: "Wegen der in der Mehrheit der Bevölkerung verbreiteten Einstellungen glauben die beiden großen Volksparteien, es wäre politischer Selbstmord, eine andere Politik zu wagen." Dem liege eine "invasion anxiety" zugrunde: "Die Angst vor nicht weißen Einwanderern, die en masse und unkontrolliert aus dem Norden nach Australien kommen", sagt Neumann. 

Dass sich aus solchen Ängsten auch anderswo politisches Kapital schlagen lässt, zeigt der aktuelle Erfolg der extremen Rechten in Europa. In ihrer flüchtlingsfeindlichen Rhetorik beziehen sich einige rechtsextreme Parteien und Organisationen direkt auf den "australischen Weg". In Österreich ist das die FPÖ, in den Niederlanden die Partij voor de Vrijheid und in Frankreich die Identitäre Bewegung. In eigenen Videoclips adaptierten sie zentrale Slogans und die ­Ästhetik der australischen ­No-way-Kampagne. 

Doch nicht nur die extreme Rechte nimmt auf Australien Bezug. So initiierte in Österreich das Innenministerium unter Führung der konservativen ÖVP, die damals mit den Grünen koalierte, 2022 eine großangelegte Kampagne zur Begrenzung von Migration. "Illegal Migration: There is No Way" hieß es darin. Lanciert wurde sie unter anderem in Tunesien, Marokko und Indien. Das österreichische Innenministerium bezog sich in seiner Kampagne auch explizit auf Bemühungen Dänemarks und Großbritanniens, Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern. 

Für den Migrationswissenschaftler Frowin Rausis von der Universität Genf, kam das nicht überraschend. Er beobachtet eine vermehrte internationale Zusammenarbeit von Regierungen, die Migration aus nationalistischen Motiven begrenzen wollen. "Die strikte Asylpolitik in Dänemark ist nachweislich vom australischen Weg inspiriert, dazu hat auch die Lobbyarbeit der australischen Regierung beigetragen", sagt Rausis. 
Behrouz Boochani kann das nur bestätigen und kommentiert nüchtern: "Gefängnisse lernen von Gefängnissen."

Till Schmidt ist freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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