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Zerstörung des Kachowka-Damms: Russische Besatzungstruppen erschweren Rettungsaktionen
Rettungsaktion in der ukrainischen Stadt Cherson, die nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms überschwemmt wurde (8. Juni 2023).
© IMAGO / ZUMA Wire
Am 6. Juni 2023 wurde der Kachowka-Staudamm in der Ukraine zerstört. Inzwischen werden die verheerenden Konsequenzen der Überschwemmung immer sichtbarer. Die Anwesenheit russischer Besatzungstruppen in den überschwemmten Gebieten gefährdet das Leben der betroffenen Menschen zusätzlich. Die russischen Truppen haben es versäumt, Zivilpersonen zu evakuieren und ihnen dringend benötigte humanitäre Hilfe zukommen zu lassen. Diese Missachtung von Menschenleben und Menschenwürde stellt eine eklatante Verletzung ihrer Verpflichtungen als Besatzungsmacht dar.
Überschwemmte Felder und Dörfer, verendete Tiere: Während die Folgen der Zerstörung des Kachowka-Damms immer deutlicher zutage treten, gefährden die russischen Besatzungstruppen in den überschwemmten Gebieten nach der Zerstörung des Damms Menschenleben. Zudem deuten flussaufwärts Wasserknappheit und eine Zerstörung von Lebensgrundlagen auf eine bevorstehende ökologische und wirtschaftliche Katastrophe hin.
Besatzungsbehörden versäumen Evakuierung von Zivilpersonen aus den von Russland kontrollierten Gebieten
Aussagen von freiwilligen Helfer*innen, Evakuierten aus den überschwemmten Gebieten sowie deren Angehörigen deuten darauf hin, dass die russischen Besatzungstruppen keine organisierten Evakuierungen durchgeführt haben. Sie sollen in den überschwemmten Städten und Dörfern gestrandeten Zivilpersonen außerdem keine entscheidende humanitäre Hilfe geleistet haben. Zivilist*innen in den überschwemmten Gebieten haben berichtet, dass Personen ohne russische Pässe gezwungen wurden, sich einem erniedrigenden "Filtrationsverfahren" zu unterziehen.
Die Rettungsaktionen wurden größtenteils von Freiwilligen durchgeführt, von denen einige Amnesty International berichteten, dass ihnen die russischen Besatzungstruppen den Zugang zu den überschwemmten Gebieten verwehrt haben. Dies hat ihre Bemühungen, den von den Überschwemmungen betroffenen Zivilpersonen zu helfen, stark behindert.
"Während eine Katastrophe dieses Ausmaßes eine entschlossene Reaktion erfordert, haben die russischen Besatzungstruppen eine Missachtung von Menschenleben und Menschenwürde an den Tag gelegt, indem sie sich offensichtlich fast ausschließlich auf ihre eigenen Sicherheitsbedürfnisse konzentriert haben. Sie haben keine organisierte Evakuierung durchgeführt. Stattdessen haben sie die Bemühungen von Freiwilligen behindert, den betroffenen Zivilpersonen zu helfen, und Evakuierte ohne russische Pässe der 'Filtration' unterzogen. Dies verstößt gegen ihre Verpflichtungen als Besatzungsmacht und gefährdet Menschenleben", sagt Anna Wright, für die Region zuständige Researcherin bei Amnesty International.
Berichten aus der Stadt Oleschky zufolge wurden mehrere Familien mindestens zwei Tage lang zurückgelassen, nachdem sie in ein höher gelegenes Gebiet gebracht worden waren. Anstatt sie zu evakuieren, postierten russische Sicherheitskräfte bewaffnete Bewacher*innen um das betroffene Gebiet.
"Die russischen Besatzungstruppen müssen dringend ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommen und eine sichere und menschenwürdige Evakuierung der Zivilbevölkerung aus den überfluteten Gebieten organisieren, die unter ihrer Kontrolle stehen. Außerdem müssen sie es Freiwilligen und internationalen Rettungsteams ermöglichen, humanitäre Hilfe zu leisten und Zivilpersonen aus den überschwemmten Gebieten zu evakuieren", so Anna Wright.
Der zerstörte Kachowka-Staudamm im Osten der Ukraine am Morgen des 6. Juni 2023
© IMAGO / UPI Photo
Zivilpersonen in den besetzten Gebieten sind ohne Kontakt zu ihren Angehörigen
Eine Berichterstattung aus den russisch besetzten Gebieten ist selten. Direkte Kontakte zu den betroffenen Gemeinden sind nach wie vor äußerst begrenzt und für diejenigen, die Informationen an Menschenrechtsorganisationen und internationale Medien weitergeben, gefährlich.
Seit Beginn der Invasion haben die russischen Streitkräfte die ukrainischen Mobilfunknetze in den von ihnen besetzten Gebieten ersetzt. Menschen, die in überschwemmten Gebieten mit schlechtem Mobilfunksignal, leeren Akkus und ohne Strom gestrandet sind, hatten Mühe, mit ihren Angehörigen zu kommunizieren. Hinzu kommen Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der Kommunikation und der Risiken für diejenigen, die Informationen über die Lage in den russische besetzten Gebieten liefern.
"Es ist zermürbend, die Menschen erreichen zu wollen, die in den überfluteten, russisch besetzten Dörfern und Städten festsitzen. Es ist riskant, über russische Netzwerke zu kommunizieren. Unsere Quellen sind sich der Repressalien, die ihnen drohen, wenn herauskommt, dass sie mit uns sprechen, nur allzu bewusst", sagt Anna Wright.
Eine schwere humanitäre und ökologische Krise
Während die Überschwemmungen in den Gebieten flussabwärts des Staudamms die in der Ukraine seit Beginn der russischen Invasion herrschenden Krise erheblich verschärft haben, haben sie auch flussaufwärts desaströse Auswirkungen. Die Gemeinden dort benötigen dringend Wasser und Zugang zu lebenswichtiger Hilfe.
Durch die Zerstörung des Kachowka-Staudamms wurden ganze Landstriche im Osten der Ukraine überschwemmt (7. Juni 2023).
© IMAGO / NurPhoto
Eine anonyme Quelle aus dem Gebiet am rechten Ufer des Dnipro sagte gegenüber Amnesty International: "Die Sprengung des Kachowka-Damms hat zwei Katastrophen verursacht: Die Überschwemmung in den Gebieten unterhalb des Damms und die Dürre in den Gebieten oberhalb."
"In den Ufergemeinden der Region Dnipro gibt es seit fünf Tagen kein Wasser mehr. Freiwillige Helfer haben fünf Liter pro Person verteilt, aber die Frage ist: Wie lange soll das reichen? Ein Tag, eine Woche, ein Monat? ... Alle sind aufgebrochen, um die überschwemmten Gemeinden zu unterstützen, aber durstende Menschen zu sehen, ist genauso erschreckend", so die Person.
Die Überschwemmungen sind bereits katastrophal für die Landwirtschaft in den betroffenen Regionen - sowohl flussabwärts als auch flussaufwärts. Für diejenigen, deren Einkommen von der Landwirtschaft abhängt, hat die Zerstörung des Staudamms nicht nur zu einer wirtschaftlichen Krise, sondern auch zu einer ökologischen Katastrophe geführt.
In dem Dorf Grushivka in der Region Dnipro sterben die Weinstöcke ab, da es kein Wasser gibt, um sie gießen. Die Besitzer*innen kleiner landwirtschaftlicher Betriebe in der Region, die bereits seit Beginn der Invasion mit schweren wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hatten, werden ihre Existenzgrundlage verlieren. Aufgrund des Wassermangels können sie keine Produkte mehr anbauen und verkaufen.
Landminen als zusätzliche Gefahr
Die Überschwemmungen in den Regionen Mykolajiw und Cherson haben auch die Räumung von Landminen erheblich erschwert. Das überschwemmte Gelände bleibt vielerorts unzugänglich, und es wird befürchtet, dass Minen und andere nicht explodierte Kampfmittel von den Fluten in zuvor sichere Gebiete geschwemmt wurden. Sedimentschichten könnten die Minen vergraben haben, so dass sie schwerer zu finden sind.
"Schon vor dieser Katastrophe war es eine große Herausforderung, die Ukraine von Landminen zu befreien. Die internationale Gemeinschaft muss alles in ihrer Macht Stehende tun, um bei der Beseitigung von Landminen in den überschwemmten Regionen zu helfen. Dies ist ein entscheidender Schritt in dem langen Prozess, die landwirtschaftlichen Flächen in dem Gebiet für die Landwirte sicher zu machen", erklärt Anna Wright.
"Die Verantwortlichen für die Zerstörung des Kachowka-Staudamms müssen vor Gericht gestellt werden, ebenso wie alle, die für in der Ukraine begangene völkerrechtliche Verbrechen verantwortlich sind. In der Zwischenzeit gilt es, Leben und Lebensgrundlagen zu retten und weitere Todesfälle und Katastrophen zu verhindern."