Aktuell 16. August 2017

Fünf Jahre danach: Keine Gerechtigkeit für Opfer von Marikana

Heruntergekommene Siedlungen von Minenarbeitern in Marikana, Südafrika.

Ein Hauptgrund für den Streik der Bergleute waren die schlechten Lebensbedingungen in informellen Siedlungen

Nach fünf Jahren müssen die Opfer von Marikana noch immer auf Gerechtigkeit warten: Niemand wurde bisher für die Tötung von 34 demonstrierenden Minenarbeitern des Bergbauunternehmens Lonmin und die Verletzungen von dutzenden weiteren Personen in dem südafrikanischen Bergwerksort zur Rechenschaft gezogen. Amnesty fordert, dass die Behörden die Verantwortlichen strafrechtlich verfolgen und die Opfer und Angehörigen schnellstmöglich entschädigen. Aber auch die beteiligten Firmen wie Lonmin oder sein deutscher Großkunde BASF müssen endlich ihrer menschenrechtlichen Verantwortung und Sorgfaltspflicht gerecht werden.

Die Opfer der blutigen Tragödie im südafrikanischen Marikana, bei der 34 Demonstrierende von Mitgliedern der südafrikanischen Polizei (SAPS) während eines Bergarbeiterstreiks getötet und mindestens 70 weitere verletzt wurden, warten nach fünf Jahren noch immer auf Gerechtigkeit. "Die Tragödie in Marikana wird durch die schockierende Tatsache, dass bisher niemand für das Blutvergießen zur Verantwortung gezogen wurde noch verschlimmert", sagt Shenilla Mohamed, Direktorin von Amnesty International Südafrika. "Wenn die südafrikanische Regierung beweisen will, dass sie sich der Wahrheit und der Achtung der Menschenrechte verpflichtet fühlt, muss sie mehr Einsatz zeigen, um die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen", so Mohamed.

Das Marikana-Massaker

Am 16. August 2012 erschossen Polizeikräfte des SAPS 34 Männer bei Marikana. Mehr als 70 weitere Personen wurden schwer verletzt. Bei den Männern handelte es sich um Angestellte des britischen Bergbauunternehmens Lonmin Plc., die gegen niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen in den Platinminen protestierten. Unabhängige und staatliche Rechtsmedizinerinnen und Rechtsmediziner stellten im Nachhinein fest, dass 30 der Opfer durch Schnellfeuergewehre der Polizei getötet wurden. Den Tötungen am 16. August gingen zunehmende Spannungen in den Tagen zuvor voraus. Drei protestierende Minenarbeiter waren am 13. August von der Polizei getötet worden. Zwei Lonmin-Sicherheitskräfte, zwei Polizeikräfte und drei nicht am Streik beteiligte Minenarbeiter waren ebenfalls zwischen dem 12. und 14. August angeblich durch Personen aus der Gruppe der Protestierenden getötet worden.

Im Juni 2015 empfahl die von der südafrikanischen Regierung eingerichtete Farlam-Kommission eine umfassende Untersuchung durch die Generalstaatsanwaltschaft, um die strafrechtliche Verantwortung der bei den Ereignissen in Marikana beteiligten SAPS-Kräfte zu ermitteln. Im Dezember 2016 gab Präsident Zuma bekannt, dass gegen die beteiligten Polizeileute Anklage erhoben wird. Im März 2017 identifizierte das Independent Police Investigative Directorate, verantwortlich für Untersuchungen von Beschwerden gegen die Polizei, 72 Polizeibeamtinnen und -beamte, gegen die in diesem Zusammenhang Anklage erhoben werden soll. Die Namen wurden den Strafverfolgungsbehörden im Mai übergeben. Bisher wurde jedoch gegen keine der aufgelisteten Personen Anklage erhoben. Gegen die 17 für die Tötungen zwischen dem 12. und 14. August verdächtigten Personen wurde Anklage erhoben, im August 2017 verschob die nationale Strafrechtsbehörde das Verfahren jedoch auf unbestimmte Zeit.

Kein Fortschritt, keine Entschädigung, keine Gerechtigkeit

Im Juli 2017 traf Amnesty International erneut Opfer der Schießereien und ihre Familien, die noch immer in inadäquaten Unterkünften unter elenden Bedingungen leben. In einem Bericht über die Wohnverhältnisse in Marikana erläuterte Amnesty International 2016, dass sich der Eigner der Platinmine, die Lonmin Plc., im Rahmen eines Sozial- und Arbeitsplans (SLP) aus dem Jahr 2006 verpflichtet hatte, bis 2011 bis zu 5.500 neue Häuser für die Bergleute zu bauen – errichtet wurden bis 2012 gerade einmal drei! Die inakzeptablen Wohnverhältnisse der Minenarbeiterinnen und -arbeiter von Lonmin und die niedrige Bezahlung werden als die Hauptgründe für den damaligen Streik angesehen. Viele der Personen, mit denen sich Amnesty International traf, drückten ihre Wut und Enttäuschung darüber aus, dass sich auch mehrere Jahre nach den Tötungen so wenig verändert hat.

Der ehemalige Lonmin-Arbeiter Johannes Khwedu (Name geändert), dessen Bekannter vor fünf Jahren getötet wurde, ist schockiert, dass Polizeikräfte die protestierende Minenarbeiter vor laufenden Fernsehkameras erschossen haben, nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. "Wie können sie so viele Menschen töten, ohne dass Konsequenzen folgen? Die Regierung muss diejenigen verhaften, die sie getötet haben", sagte er zu Amnesty International. Justin Kolobe (Name geändert), ebenfalls ein ehemaliger Arbeiter bei Lonmin, hat die Schießerei überlebt, ist aber seitdem dauerhaft gelähmt. Er wartet noch immer auf eine Entschädigung. Justin macht die südafrikanische Regierung für den mangelnden Fortschritt verantwortlich.

Amnesty International fordert die südafrikanischen Behörden daher auf, dafür zu sorgen, dass die für die Tötungen am 16. August 2012 Verdächtigten vor Gericht gebracht werden, und dass die Opfer und ihre Familien eine angemessene Entschädigung erhalten.

Das Bergbauunternehmen Lonmin muss endlich seinen Verpflichtungen und Zusagen nachkommen und die Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen für seine Arbeiterinnen und Arbeiter deutlich verbessern.

Der deutsche Chemiekonzern BASF ist ein Großkunde der Platinförderung von Lonmin. Das Platin wird vor allem für Katalysatoren für Autos benötigt, die BASF herstellt. Den Ende 2015 ausgelaufenen Liefervertrag mit Lonmin hat BASF verlängert. Damit trägt auch BASF Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte durch Lonmin in Marikana als Teil seiner Lieferkette. Daher muss sich BASF im Rahmen ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten auch gegenüber Lonmin dafür einsetzen, dass die Verpflichtungen und Zusagen realisiert werden. 

 

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