Aktuell 12. Oktober 2017

Polizei tötet und misshandelt Protestierende

Nach umstrittener Präsidentschaftswahl in Kenia
Ein junger Mann flüchtet vor mit Schlagstöcken bewaffneten Polizisten

Ein Protestierender flieht vor der Polizei bei einer Demonstration in Nairobi am 26. September 2017

Mindestens 33 Personen hat die kenianische Polizei getötet und Hunderte weitere verletzt, als sie nach den Wahlen vom 8. August in Stadtteilen der Hauptstadt Nairobi protestierten. Zu diesem Schluss kommen Amnesty International und Human Rights Watch in einem gemeinsam veröffentlichten Bericht.

Der Bericht "Kill Those Criminals: Security Forces’ Violations in Kenya’s August 2017 Elections" dokumentiert die Anwendung unverhältnismäßiger Gewalt durch Polizistinnen und Polizisten sowohl gegen Protestierende als auch gegen Bewohnerinnen und Bewohner von Stadtteilen, die mehrheitlich den Oppositionskandidaten unterstützten. 

Die beiden Organisationen kamen zu dem Schluss, dass die Polizei in vielen Stadtteilen Nairobis durch Prügel und Schusswaffeneinsatz für den Tod von Protestierenden verantwortlich war. Einige Menschen starben auch durch Ersticken, nachdem sie Tränengas oder Pfefferspray eingeatmet hatten oder aus kurzer Distanz von Tränengas-Patronen getroffen worden waren. Andere kamen fielen in den entstandenen Paniksituationen zu Boden und kamen zu Tode.

Nach den Recherchen von Amnesty International und Human Rights Watch konnten Polizeiangehörige mit dem Tod von mindestens 33 Personen direkt in Verbindung gebracht werden.

Wahllose Schüsse auf Protestierende und auch Unbeteiligte

Zwischen dem 9. und 13. August wurden verschiedene Polizeieinsätze in den Stadtteilen Mathare, Kibera, Babadogo, Dandora, Korogocho, Kariobangi und Kawangware durchgeführt. In Mathare, Kibera, Babadogo, Dandora und Kawangware schossen Sicherheitskräfte – vornehmlich Angehörige der Polizeisondereinheiten der "General Service Unit" und "Administration Police" – sowohl auf Protestierende als auch scheinbar wahllos auf versammelte Menschen. Opfer und Augenzeuginnen und -zeugen gaben an, dass die Polizei fliehende Menschen verfolgt habe und in einigen Fällen auch Türen eingetreten und die Betroffenen erschossen oder zu Tode geprügelt habe. 

"Der tragische Einsatz exzessiver Gewalt droht zum Markenzeichen der Polizeikräfte in Kenia zu werden. Dabei war die kenianische Polizei bei diesen Wahlen dort erfolgreich, wo sie auf Dialog statt auf Gewalt gesetzt hat", sagt Franziska Ulm-Düsterhöft, Afrika-Expertin von Amnesty International.

Eine Menschenmenge versammelt sich um ein Polizeiauto

Proteste nach den Präsidentschaftswahlen in Kenia am 8. August 2017

Polizei und Behörden müssen jetzt ihre Blockade aufgeben und die schrecklichen Fälle unverhältnismäßiger Polizeigewalt schnell aufklären.

Franziska
Ulm-Düsterhöft
Afrika-Expertin von Amnesty International

In den Stadtteilen Korogocho und Kariobangi verzichtete die lokale Polizei auf den Einsatz von Polizeisondereinheiten und wendete stattdessen erfolgreich Deeskalationsstrategien an. 

Bei der Wiederholung der Wahl am 26. Oktober muss sichergestellt sein, dass sich die kenianische Polizei an die internationalen Standards für die Anwendung polizeilicher Gewalt hält. Bislang bestreiten Polizei und Regierung, dass es zu exzessiver Polizeigewalt kam und verweigern der unabhängigen Polizeiaufsichtsbehörde die Unterstützung. 

Neunjährige auf Wohnungsbalkon erschossen

Die neunjährige Stephanie Moraa Nyarangi wurde auf dem Balkon der Wohnung ihrer Familie erschossen. Jeremiah Maranga, ein 50-jähriger Sicherheitsbediensteter, wurde von Polizistinnen und Polizisten so schwer verprügelt, dass er am ganzen Körper blutete und an seinen Verletzungen starb. Die Haushälterin Lilian Khavere, die im achten Monat schwanger war, wurde zu Tode getrampelt, nachdem sie durch das Einatmen von Tränengas das Bewusstsein verloren hatte. 

Die Polizei versuchte außerdem Journalistinnen und Journalisten und Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler daran zu hindern, über diese Verstöße zu berichten. In einem Fall zerstörte ein Polizist in Kibera die Kamera eines ausländischen Journalisten, als dieser versuchte, einen gewalttätigen Polizisten zu fotografieren. In Mathare griff die Polizei einen Aktivisten an und zerstörte seine Kamera, als er versuchte, Polizistinnen und Polizisten zu filmen.

Amnesty International befürchtet, dass das am 12. Oktober verhängte Demonstrationsverbot in den drei größten kenianischen Städten von der Polizei zum Anlass genommen werden könnte, um noch härter gegen Demonstrierende vorzugehen. 

"Ein Demonstrationsverbot darf nur in äußersten Notsituationen verhängt werden, wenn Behörden und Polizei nicht mehr in der Lage sind, für die öffentliche Sicherheit zu sorgen. Das jetzt verhängte Verbot darf der Polizei auf keinen Fall als Freibrief für weitere Gewalttaten dienen", sagt Ulm-Düsterhöft: "Sollten ungeachtet des Verbotes Demonstrationen stattfinden, muss die Polizei dennoch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit anwenden und darf Gewalt nur als letztes Mittel einsetzen."

Demonstrationsverbot ausgerufen

In den Tagen nach dem Urnengang gingen in ganz Nairobi Oppositions-Anhängerinnen und -Anhänger auf die Straße, um gegen Unregelmäßigkeiten bei der Wahl zu demonstrieren, bei der Amtsinhaber Uhuru Kenyatta erneut zum Wahlsieger ausgerufen worden war. Am 1. September erklärte Kenias oberstes Gericht schließlich die Präsidentenwahl für ungültig und ordnete eine Wiederholung der Wahl innerhalb von 60 Tagen an. Die Wiederholung der Wahl wurde für den 26.10. terminiert. Aber Oppositionskandidat Raila Odinga hat seine Kandidatur aus Protest gegen die Wahlkommission zurückgezogen, was die Wiederholung der Wahl ungewiss macht.  

Am 12. Oktober verhängte Innenminister Fred Matiang’i ein Demonstrationsverbot für Nairobi, Mombasa und Kisumu und begründete dies mit drohenden Verstößen gegen die öffentliche Ordnung und einer Gefahr für den Frieden. 

Vertreterinnen und Vertreter von Amnesty International und Human Rights Watch sprachen mit 151 Opfern, Augenzeuginnen und Augenzeugen, Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtlern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Hilfsorganisationen und Polizistinnen und Polizisten in ärmeren Stadtteilen von Nairobi, die als Oppositionshochburgen bekannt sind. Vor den Wahlen waren viele dieser Gegenden von der Polizei als "Hotspots" für mögliche Gewaltausbrüche eingestuft worden, weshalb man viele Sicherheitskräfte dorthin entsandte, was die Spannungen weiter verschärfte.

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