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"Erinnern heißt sich zu verbünden": Sieben Jahre nach dem rassistischen Anschlag in München
Wurden am 22. Juli 2016 bei dem rassistischen Terroranschlag in München ermordet: Armela Segashi, Can Leyla, Dijamant Zabërgja, Guiliano Kollmann, Hüseyin Dayıcık, Roberto Rafael, Sabine S., Selçuk Kılıç und Sevda Dağ.
© Jeannette Nguyen
Am 22. Juli 2023 jährt sich der rassistische Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) in München zum siebten Mal. Der Anschlag reiht sich ein in eine lange Liste von rassistischen Gewalttaten in Deutschland, die keine Einzeltaten sind. Sie entspringen einem strukturellen Rassismus und radikalisieren dabei Impulse sowie Narrative der gesellschaftlichen Mitte und findet in solchen Taten seine tödliche Zuspitzung. Der Umgang mit dem Verbrechen von München ist ein fatales Beispiel für das Versagen von Deutschland. Es zeigt, wie in der Vergangenheit immer wieder Vertrauen und Zeit durch Politik, Sicherheitsbehörden und Polizei verspielt wurde. Es ist wichtig, betroffenen Personen und Selbstorganisationen zuzuhören und diese mit ihrem Wissen bei der Erarbeitung von wirksamen Maßnahmen aktiv miteinzubeziehen. Im Folgenden ein Gespräch mit Gisela Kollmann sowie Hasan Leyla und Sibel Leyla, die als Angehörige nach wie vor darum kämpfen, dass der politische Hintergrund der Tat anerkannt und benannt wird.
Frage: Seit der Tat musstet ihr als Angehörige lange darum kämpfen, dass der Anschlag offiziell als rechtsextrem anerkannt wurde. Es wurde immer wieder von einem vermeintlich nicht politisch motiviertem Amoklauf gesprochen. Es dauerte drei Jahre und drei Monate, bis das bayerische Innenministerium die Einschätzung veränderte. Wie blickt ihr auf den langen Kampf um Anerkennung und wie ist die Situation aktuell?
Sibel: Ein wichtiger Punkt ist nach wie vor, dass wenn es um Rassismus und rechten Terror geht, der OEZ-Terroranschlag in München von der Politik und der Gesellschaft vergessen wird. Es scheint schwer zu sein, zu betonen, dass der OEZ-Terroranschlag auch ein rassistischer und rechter Terroranschlag war. Es ist wichtig, dass vor allem Politiker*innen dies anerkennen und hervorheben. Denn das Wort von Politiker*innen hat viel Machtpotenzial, ihnen wird zugehört.
Gisela: Es ist wichtig für uns, dass unsere Worte auch in der Gesellschaft ankommen.
Sibel: Letztes Jahr waren auf der Demonstration und Gedenkveranstaltung viele Menschen, die sich mit uns solidarisiert haben. Sie waren nicht aus München, sondern sind aus ganz Deutschland angereist. Ich weiß nicht weshalb, aber München zeigt so wenig Interesse.
Gisela: Weil es um Rassismus geht, will man darüber nicht so viel wissen.
Sibel: 2020 war ich auf der Demonstration für George Floyd in München und ich war überrascht, dass so viele Leute da waren. Es ist wichtig und gleichzeitig stelle ich mir die Frage, wieso München bei den Kindern – Kinder von München, sie sind hier geboren und aufgewachsen – so wenig Interesse und Solidarität zeigt.
Gedenkveranstaltung am 22. Juli 2022 in München in Erinnerung an die Opfer des Terroranschlags am Olympia-Einkaufszentrum am 22. Juli 2016
© IMAGO / aal.photo
Hasan: Unser Kampf ist es, an den OEZ-Terroranschlag zu erinnern und die Stille zu brechen. Und in diesem Jahr werden wir sehen, ob uns dies gelungen ist. Letztes Jahr waren viele Unterstützer*innen da. Aber wie meine Frau bereits gesagt hat, sind davon viele angereist und nicht aus München gewesen. Ich hoffe, dass die Münchner*innen in diesem Jahr auch Interesse zeigen. Es ist ein harter Kampf, aber wir werden nicht aufgegeben.
Gisela: Das werden wir nicht. Aber im Vergleich zum ersten Jahr nach dem Anschlag wird die Aufmerksamkeit jedes Jahr weniger. Anstatt mehr Personen, die gedenken und mit uns dabei sind, werden es weniger. So sollte das nicht sein. Denn das ist ja unser Ort der Erinnerung, mehr haben wir nicht. An diesem wichtigen Tag sollte München wirklich zusammenkommen.
Hasan: Meiner Meinung nach muss die Stadt München und die Bundesrepublik Deutschland reagieren, weil unsere ermordeten Kinder nun ein Teil der Geschichte der Bundesrepublik geworden sind. Deshalb ist es auch wichtig, dass die Aufklärungs- und Erinnerungsarbeit nicht nur von uns geleistet wird. Man muss anerkennen, dass es sich bei dem 22. Juli 2016 um einen rechten Terroranschlag gehandelt hat – gleichzeitig muss man auch handeln und etwas gegen Rassismus machen.
Gisela: Redet mit uns, denkt an unsere Kinder. Und das nicht nur an einem Tag und dann das restliche Jahr nicht mehr.
Hasan: Es ist wichtig, Ereignisse rassistischer Gewalt und rechten Terrors im Zusammenhang zu denken – weg vom Bild des Einzeltäters.
Gisela: Unseren Schmerz nimmt uns keiner.
Hasan: Denkt an uns und denkt daran, dass der 22. Juli wieder kommen wird. Unterstützt uns, damit wir zusammen eine Stimme sein können. Damit wir Politiker*innen und verantwortliche Personen zum Handeln bewegen, um solche Taten frühzeitig zu verhindern. Und wenn es zu spät ist, dann bleibt bei der Tatsache und benennt es als rechten Terror. Beschäftigt euch mit Rassismus, klärt auf. Wir brauchen jede Unterstützung. Wir können alleine kämpfen oder zusammen kämpfen.
Sibel: Wir sind auch ein Teil der Gesellschaft. Akzeptiert, dass wir auch zu dieser Gesellschaft gehören. Wir haben eine Geschichte von über 60 Jahren, mein Schwiegervater ist mit 26 Jahren nach Deutschland gekommen und hat hier 45 Jahre gearbeitet. In Deutschland sind wir – egal was wir machen – immer noch Ausländer. Als ich damals meinen Sohn gefragt habe, was er davon hält, wenn wir in die Türkei gehen und dort unser Leben fortführen, sagte Can, dass er hier geboren ist und hier weiterleben möchte.
Gisela: Lasst uns gemeinsam kämpfen und hört zu, seid achtsam.
Hintergrund
Gisela Kollmann ist die Großmutter von Guiliano. Guiliano war 19 Jahre alt und stand kurz davor, seine Berufsausbildung zum Drucker zu beginnen. Er trainierte beim FC Aschheim Fußball und war im Verein für seine ruhige Art sehr beliebt. Im Viertel kannte ihn jeder. Seit seinem dritten Lebensjahr zog ihn seine Großmutter Gisela groß.
Sibel und Hasan Leyla sind die Eltern von Can. Can war im Sommer 2016 14 Jahre alt. Er ging zu diesem Zeitpunkt zur Schule, war ein leidenschaftlicher Fußballer und hätte an dem Tag eigentlich auch Training gehabt. Da es aber ausfiel, ging er in das Schnellrestaurant am Olympia-Einkaufszentrum.
Gisela Kollmann sowie Sibel und Hasan Leyla gehören zu den vielen Überlebenden und Angehörigen von Opfern rassistischer Gewalt, die für Erinnerungspolitik in Deutschland kämpfen. Sie fordern Aufklärung, Gerechtigkeit und Konsequenzen. Erinnern heißt aus der Perspektive der Betroffenen kämpfen - kämpfen um zu verändern. Und Erinnern heißt auch sich zu verbünden. Solidarisiert euch mit den Kämpfen der Betroffenen und kommt auch dieses Jahr zum Gedenken am 22. Juli 2023 nach München. Mehr Informationen zum Gedenken am 7. Jahrestag findet ihr auf der Website der Initiative "München erinnern!".
Wir erinnern an die Menschen, die am 22. Juli 2016 bei dem rassistischen Terroranschlag in München ermordet wurden: Armela Segashi, Can Leyla, Dijamant Zabërgja, Guiliano Kollmann, Hüseyin Dayıcık, Roberto Rafael, Sabine S., Selçuk Kılıç, Sevda Dağ. Unsere Solidarität gilt ihren Familien und Bezugspersonen.