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Idil Baydar über Meinungs- und Informationsfreiheit (Artikel 19)
Idil Baydar, Schauspielerin und Kabarettistin
© Amnesty International, Foto: Heiko Richard
Jeder Mensch besitzt eine eigene, besondere Art, die Welt zu sehen. Ohne Meinungsfreiheit würden wir das nicht erfahren, wir wären alle gleichgeschaltet. Wenn wir unsere Meinungen nicht äußern, würde unglaublich viel Vielfalt, Freude, Staunen und Entdecken verloren gehen.
Für mich als Künstlerin ist Meinungsfreiheit besonders wichtig. Die Figuren, die ich darstelle, kann ich nur zeigen, weil es Meinungsfreiheit gibt. Was ich dann daraus mache, kann man mögen oder nicht. Meinungsfreiheit und in diesem Zusammenhang die Kunstfreiheit bleiben ein hohes Gut, mit dem wir gesellschaftliche Fragen verhandeln können – auch wenn sie außerhalb der Political Correctness liegen.
Nicht das Recht zu haben, frei die eigene Meinung zu äußern, fühlt sich wie Ohnmacht an, eine Passivität, die irgendwann in Ignoranz endet. Wenn wir nichts mehr sagen können, dann können wir nicht mehr mitgestalten, nichts bewegen. Und wie können wir von eigenen Fehlern oder Irrtümern lernen, wenn wir diese gar nicht erst äußern? Wenn niemand da ist, der widerspricht? Für mich ist Meinungsfreiheit deshalb auch eine Art Entwicklungs-Booster für den eigenen Charakter.
In diesem Video spricht Idil Baydar über die Meinungsfreiheit
© Amnesty International
In der Geschichte hat es nie langfristig funktioniert, den Menschen diese Freiheiten zu nehmen, obwohl es weiterhin und überall versucht wird – siehe Türkei. Journalisten werden dort in schwindelerregender Zahl inhaftiert. Ganze Zeitungsredaktionen werden geschlossen. Und ich muss ehrlich sagen: Bei vielen Themen nehme ich kein Blatt vor den Mund, aber bei der Türkei fällt es mir schwer, den richtigen Ton zu finden.
Staatliche Willkür lässt einen verstummen oder zumindest ruhiger und leiser werden. Man fragt sich: Welche Konsequenzen haben meine Aussagen? Gefährde ich damit womöglich Menschen, die ich liebe? Das macht mir am meisten Angst. Damit kann ich auch zum ersten Mal das Verhalten meiner Eltern nachvollziehen. Ich erinnere mich an Aussagen wie: "Nicht so laut, das besprechen wir nicht hier."
Deshalb brauchen wir Menschenrechte, sie sind der Boden für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und Teil unserer globalisierten Welt. Wenn wir vom Export deutscher Waffen profitieren, können wir nicht so tun, als gehe uns der Krieg und das Sterben anderswo nichts an. Ich wünsche mir, dass darüber mehr gesprochen und gelehrt wird, zum Beispiel in der Schule. Wir müssen uns solidarisieren und eine Kultur entwickeln, die Menschenrechte als unsere Werte anerkennt.
In der Realität läuft das allerdings sehr zwiespältig ab. Ein Beispiel dafür ist leider das Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland: Man kritisiert die Menschenrechtslage in der Türkei, schließt aber gleichzeitig einen Asyl-Deal ab, damit das Recht auf Asyl nicht umgesetzt werden muss. Dann hat man offenbar kein Problem damit, Leopard-Panzer an die Türkei zu verkaufen, regt sich aber über ein Foto der deutschen Nationalspieler Özil, Gündoğan mit Erdoğan auf, als gebe es nichts Wichtigeres.
Diese Diskussion um Özil hat bei mir etwas kaputt gemacht. Sie hat mir vor Augen geführt: Egal wie sehr du dich für das Zusammenleben und die Integration in diesem Land engagierst, du wirst niemals richtig dazugehören, immer "der Türke" sein. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, aber nach dieser Diskussion würde ich mich nicht als "Deutsche" sondern als "Passdeutsche" bezeichnen. Ich selbst definiere mich nicht als Migrantin, werde aber ständig so adressiert: "Frau Baydar, Sie sind doch Türkin, was sagen Sie zur Migration?". Wer andauernd als Minderheit betitelt wird, wird sich wohl kaum dazugehörig fühlen.
Ich wünsche mir, dass diese Fragen keine Rolle mehr spielen. Ob du deutsch bist oder nicht, ist doch uninteressant. Wir sollten Gemeinsamkeiten betonen und nicht die Unterschiede problematisieren. Gemeinsamkeiten zu finden, heißt nicht nur, Haxe oder Döner zu essen. Wir müssen über folgendes einig sein: Menschen sind wertvoll und haben es verdient, in Würde zu leben. Menschenrechte bilden dafür doch eine gute Grundlage.