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Türkei: Justizfarce um Istanbul 10 und Amnesty-Vertreter Taner Kılıç dauert an
Die Istanbul10 und Taner Kılıç (obere Reihe, Mitte)
© Rebecca Hendin
BERLIN, 09.10.2019 – Zum heutigen Prozesstag des Verfahrens gegen die Istanbul 10 und Taner Kılıç sagt Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland: "Die politisch motivierte Justizfarce gegen meinen Kollegen Taner Kılıç und die Menschenrechtler der Istanbul 10 dauert an. Der heutige Prozesstag hat erneut gezeigt, wie die türkische Justiz als Waffe gegen kritische Stimmen eingesetzt wird. Gegen keinen der elf Angeklagten liegen Beweise vor, die erhobenen Vorwürfe sind haltlos. Trotzdem müssen sie weiter befürchten, zu Unrecht zu hohen Haftstrafen verurteilt zu werden. Das Gericht hätte vor dem Hintergrund ihrer offensichtlichen Unschuld alle elf Menschenrechtler freisprechen müssen. Wir alle müssen uns weiter dafür einsetzen, dass der Prozess endlich ein Ende findet."
"Die Menschenrechtsverletzungen unserer Inhaftierung im Juli 2017 werden auf juristischer Ebene weitergeführt und in die Länge gezogen. Die an den Haaren herbeigezogenen Anschuldigungen haben das eindeutige Ziel, die türkische und internationale Zivilgesellschaft einzuschüchtern. Doch ihre kontinuierlichen Aktionen zeigen ganz klar, dass dies nicht funktioniert", sagt Peter Steudtner. "Ich erwarte von dem zuständigen Gericht, dass es dem türkischen Recht und den Menschenrechten verpflichtet für unseren Freispruch entscheidet. Ich bin dankbar für die Solidarität und für alle, die weiter mit uns gegen dieses unfaire juristische Verfahren und für die Menschenrechte kämpfen."
Zur Entscheidung der Haftverlängerung im Verfahren gegen Osman Kavala am gestrigen Montagabend ergänzt Beeko: "Dass ein Gericht bei Istanbul entschied, Osman Kavala in Haft zu behalten, unterstreicht, dass die Verfolgung kritischer Stimmen in der Türkei weiter System hat. Osman Kavala sitzt seit fast zwei Jahren unschuldig hinter Gittern. Amnesty fordert seine Freilassung, die absurden Vorwürfe gegen ihn und die 15 Mitangeklagten müssen fallengelassen werden."
"Die Bundesregierung bleibt weiter gefordert, die türkische Regierung an die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention zu erinnern – ob bei den in den nächsten Wochen anstehenden Austauschgesprächen von Bundesminister Altmaier oder anderen politischen Gelegenheiten", so Beeko weiter. "Die andauernden systematischen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei gehören auch zukünftig immer mit auf die Tagesordnung aller Gespräche – die Bundesregierung darf die Menschenrechte nicht wirtschaftlichen Interessen oder dem EU-Türkei-Deal opfern."
Hintergrund
Der Ehrenvorsitzende der türkischen Sektion von Amnesty International, Taner Kılıç, und die als "Istanbul 10" bekannt gewordenen Menschenrechtler, unter ihnen die frühere Direktorin von Amnesty International in der Türkei, İdil Eser, und der deutsche Menschenrechtstrainer Peter Steudtner, wurden im Sommer 2017 inhaftiert. Im Oktober 2017 begann der Prozess gegen die elf Menschenrechtsverteidiger. Ihnen werden ohne Vorlage jeglicher Beweise Mitgliedschaft beziehungsweise Unterstützung "bewaffneter terroristischer Organisationen" vorgeworfen. Am 25. Oktober 2017 wurden die acht noch inhaftierten Menschenrechtler der "Istanbul 10" nach fast vier Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen.
Taner Kılıç blieb mehr als 14 Monate im Gefängnis. Ein hochrangiger Vertreter einer internationalen Menschenrechtsorganisation saß damit mehr als ein Jahr in Haft – ein deutliches Beispiel für die prekäre Menschenrechtslage in der Türkei, aber auch für den Menschenrechtsschutz weltweit. Am 15. August 2018 wurde Taner Kılıç aus der Untersuchungshaft entlassen. Doch der Prozess gegen ihn und die Istanbul 10 läuft weiter. Nach wie vor drohen ihnen bis zu 15 Jahre Haft. Am 27. November 2019 soll der nächste Prozesstag stattfinden. Amnesty International fordert Freisprüche für alle 11 Angeklagten.
Der bekannte zivilgesellschaftliche Aktivist Osman Kavala wurde am 18. Oktober 2017 willkürlich festgenommen und ist seit dem 1. November 2017 im Hochsicherheitsgefängnis Silivri bei Istanbul inhaftiert. In den vergangenen 30 Jahren hat Osman Kavala zahlreiche unabhängige Menschenrechtsorganisationen unterstützt und eine Reihe von zivilgesellschaftlichen Organisationen mitgegründet.
15 weitere prominente Vertreter der türkischen Zivilgesellschaft sind gemeinsam mit Osman Kavala angeklagt. Osman Kavala und seine Mitangeklagten werden beschuldigt, geplant zu haben, "die Regierung zu stürzen bzw. sie von ihren Aufgaben abzuhalten". Begründet wird dieser Vorwurf vor allem mit den Gezi-Park-Protesten vom Sommer 2013, die angeblich von Osman Kavala und den anderen Angeklagten organisiert worden seien. Diese Vorwürfe entbehren jeglicher Grundlage. Den Beschuldigten droht lebenslange Haft.
Mit Ausnahme von Kavala sind die übrigen Angeklagten derzeit in der Türkei auf freiem Fuß oder leben im Exil. Der Prozess gegen Kavala und die 15 anderen Angeklagten soll am 24. Dezember 2019 fortgesetzt werden. Amnesty International fordert die sofortige und bedingungslose Freilassung von Osman Kavala. Die Vorwürfe gegen alle 16 Angeklagten müssen fallengelassen werden.