Aktuell 11. Februar 2025

TikTok, X, Facebook & Co. – Bedrohung oder Chance für die Menschenrechte?

Ein Smartphone mit Social Media Apps

Weltweit nutzen mehrere Milliarden Menschen Social-Media-Plattformen wie TikTok, X oder Instagram.

Soziale Netzwerke haben zwei Seiten: Einerseits tragen sie wie TikTok oder X zur Verbreitung von Desinformation und Diskriminierung bei. Andererseits bieten sie die Möglichkeit, die Öffentlichkeit für Menschenrechtsverletzungen zu sensibilisieren und sich mit Menschenrechtsaktivist*innen zu solidarisieren. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International stehen vor der schwierigen Aufgabe, die Gefahren dieser digitalen Netzwerke kritisch zu beobachten, aber auch ihre Chancen für den Menschenrechtsschutz zu nutzen. Deshalb ist Amnesty in Deutschland auf sozialen Plattformen aktiv und wird das eigene Engagement auf TikTok ausweiten – um alle Teile der Bevölkerung zu erreichen und für den Schutz der Menschenrechte zu begeistern.

Die Tech-Konzernbesitzer Marc Zuckerberg und Elon Musk haben zu Beginn des Jahres die Spielregeln der digitalen Öffentlichkeit massiv verändert. So betrieb Musk wenige Wochen vor der Wahl des deutschen Bundestages Werbung für die AfD, bei einer nach eigenen Angaben weltweiten Reichweite von täglich rund 250 Millionen Nutzer*innen ein erheblicher Eingriff in die Meinungsbildung. 

Zuckerberg wiederum verkündete kurz vor dem Amtsantritt von Donald Trump als Präsident der USA für seinen Internetkonzern Meta das Ende von Faktenprüfungen und Beschränkungen bei politischen Äußerungen zu Migration und Geschlechterfragen. Betroffen sind davon, zunächst in den USA, die Plattformen Facebook, Instagram und Threads. So werden künftig menschenverachtende und diskriminierende Bezeichnungen etwa für Transpersonen nicht mehr gefiltert und gesperrt, sondern können ihren Weg durch die Algorithmen zu Milliarden Meta-Nutzer*innen weltweit finden. Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird durch das Recht auf Hass und Hetze ersetzt.

Das Bild zeigt mehrere Menschen mit Anzug, zwei schauen auf ihr Smartphone

Tech-Milliardäre unter sich bei der Amtseinführung von US-Präsident Donald Trump am 20. Januar 2025 in Washington: Meta-Chef Mark Zuckerberg, Amazon-Chef Jeff Bezos (mit seiner Ehefrau Lauren Sanchez), Google-Chef Sundar Pichai und X-Chef und Trump-Berater Elon Musk (v.l.n.r.).

Weltweite Medien- und damit Meinungsmacht in der Hand weniger

Diese neuen Spielregeln lassen negative Folgen für die Menschenrechte befürchten. Beide Tech-Unternehmer stellen mit ihren Kanälen im globalen Ausmaß Öffentlichkeit her, wie sie politisch und publizistisch vorgehen, ist also nicht egal. Zumal Musk mit seinem Amt in der US-amerikanischen Regierung zusätzlich mediale mit realer politischer Macht verquickt. Weltweite Medien- und damit Meinungsmacht in der Hand weniger also. Aber ist damit der Niedergang zivilgesellschaftlicher Positionen, wie Amnesty International sie vertritt, unausweichlich?

Kurzgefasst: Die Lage ist kompliziert, aber nicht hoffnungslos. 

Zwar haben Untersuchungen von Amnesty in der Vergangenheit wiederholt gezeigt, dass Online-Plattformen Menschenrechte konkret verletzen. So belegt eine 2018 veröffentlichte Studie über Gewaltandrohungen und Hetze auf Twitter (heute X), wie das Recht von Frauen beschränkt wird, sich frei, gleich und ohne Angst zu äußern. In unserem Bericht "The Social Atrocity" haben wir nachgewiesen, dass Facebook mit seinem Algorithmus wesentlich zur ethnischen Säuberung und gewaltsamen Vertreibung von mehr als 700.000 Rohingya in Myanmar beigetragen hat. Und der Amnesty-Bericht "Surveillance Giants" dokumentiert, wie das Geschäftsmodell der Plattformen das Menschenrecht auf Privatsphäre verletzt: Plattformen wie Google und Meta sammeln Daten ihrer Nutzer*innen in einem nie dagewesenen Ausmaß. Auf Basis dieser Daten, ihren Interessen und Aktivitäten, wird ihnen dann Werbung angezeigt. Social Bots, automatisierte Accounts, verbreiten im Auftrag von Regierungen oder Organisationen millionenfach Falschnachrichten und manipulieren so die öffentliche Meinung. 

Parteien und Gruppierungen mit menschenrechtsfeindlichen Positionen verbreiten über digitale Plattformen ihre rassistischen Parolen und organisieren ihre Anhänger*innen. So wurde der Sturm aufs Kapitol durch rechtsradikale und durch Falschnachrichten aufgeputschte Anhänger*innen Trumps zu Beginn 2021 auch in den Onlinemedien koordiniert. Die AfD ist auf TikTok überaus präsent – und erreicht damit vor allem junge Nutzer*innen. Hinzu kommt: Diese sind den Algorithmen besonders ausgeliefert. So zeigen wir in unserem Bericht "Driven into Darkness" auf, wie Kinder und Jugendliche durch die Plattform zu Selbstverletzung und Suizid ermutigt werden können.

So weit, so schlecht.

Amnesty-Posting auf X (ehemals Twitter) zur Senatsanhörung von Meta-Chef Mark Zuckerberg im Februar 2024:

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Online-Plattformen vernetzen und unterstützen zivilgesellschaftlichen Aktivist*innen

Zugleich jedoch bieten Online-Plattformen mit ihrer Technologie, sich nahezu zeitgleich weltweit vernetzen und informieren zu können, auch zivilgesellschaftlichen Aktivist*innen die Chance gehört zu werden, Unterstützung und Solidarität und damit letztlich Schutz zu finden. Hier setzt Amnesty International als globale Bewegung an, um öffentliche Aufmerksamkeit auf Menschenrechtsvergehen zu lenken oder an Menschen zu erinnern, die aufgrund ihrer Überzeugungen oder Herkunft inhaftiert sind oder gefoltert werden. Auch soziale Bewegungen und Freiheitsbestrebungen können digital wachsen und an Bedeutung gewinnen. 

Das gilt etwa für die Black-Lives-Matter-Bewegung, die sich nach dem Bekanntwerden eines Videos tödlicher Polizeigewalt in den USA formte und weltweit für Proteste sorgte. Das gilt ebenso für die globale Berichtswelle unter dem Hashtag #MeToo, unter dem Frauen seit 2017 sexuelle Gewalt anprangern. Der Arabische Frühling, die beeindruckenden Proteste für Freiheit und Gleichheit im Mittleren und Nahen Osten im Jahre 2011, wäre ohne die digitalen Netzwerke undenkbar gewesen. Solidarität mit den Protestierenden im Iran, Klimastreiks von Schüler*innen, Petitionen für einen gerechten Frieden in Palästina und Israel – das alles stützt sich auch auf Instagram und Co. 

Das Bild zeigt mehrere Menschen mit Protestplakaten

#MeToo: Demonstration in Berlin gegen sexualisierte Gewalt und Sexismus (28. Oktober 2017).

Die Stimme für die Menschenrechte ist ohne das Echo im digitalen Raum weniger hörbar. Gut 40 Prozent der Erwachsenen in Deutschland beziehen ihre Nachrichten hauptsächlich über Online-Medien und digitale Plattformen, bei den jungen Erwachsenen bis 30 sind es gar 65 Prozent. Damit gehören sie ebenso wie die klassischen Medien oder Straßen und Plätze zu den Öffentlichkeiten, in denen Amnesty Präsenz zeigen muss. Es wirkt eben beides: der Brief gegen das Vergessen und die E-Petition. "Wir wollen politische Veränderungen erreichen, die Menschenrechte voranbringen, da können wir bedeutende Teilöffentlichkeiten nicht ignorieren", sagt Christian Mihr, stellvertretender Generalsekretär von Amnesty Deutschland. Entsprechend ist auch Amnestys globale Organisation weiterhin auf allen digitalen Kanälen vertreten.

Amnesty in Deutschland wird auch auf TikTok aktiv werden

Öffentlichkeit im digitalen Raum ist einer hohen Dynamik unterworfen, Kanäle gewinnen oder verlieren an Bedeutung, verschiedene Altersgruppen besiedeln unterschiedliche Plattformen. Dem trägt Amnesty Deutschland bisher mit ihrer Präsenz auf Facebook, X, Instagram und auch Bluesky Rechnung. Da aber Unter-35-Jährige sich zunehmend über TikTok informieren, wollen wir auch hier sichtbar werden. Wir müssen hier menschenfeindlichen Narrativen etwas entgegensetzen und ein Bewusstsein für problematische Mechanismen der Plattform selbst schaffen. Und wir sind überzeugt: Auch in einem Kurzvideo kann man über Menschenrechtsverletzungen aufklären und Solidarität mit bedrohten Aktivist*innen zeigen. Wie wichtig gerade letzteres ist, betont unter anderen Medienkritiker Stefan Niggemeier. Es werde "ungemütlicher für Minderheiten" im Netz, und er appelliert: "standhaft sein, sich nicht vertreiben lassen, widersprechen, dagegen halten – sichtbar bleiben und werden".

Dass im digitalen Raum nicht alles verloren ist, hat kürzlich eine Studie gezeigt, für die weltweit mehr als 2.600 Quellen durch ein Team von 60 Wissenschaftler*innen ausgewertet wurden: Demnach konnte ein direkter Einfluss von Desinformation auf demokratische Prozesse noch nicht nachgewiesen werden. Doch der Report "Information Ecosystem and Troubled Democracy" zeigt auch, dass Moderationssysteme eine zentrale Rolle spielen, um etwa Hassrede und Frauenfeindlichkeit einzudämmen.

Eine Person hält ein Plakat hoch, auf dem steht: "Hass ist keine Meinung!"

Gegen Hass und Diskriminierung: "Christopher Street Day" in Kassel am 8. Juni 2024.

Digitale Medien müssen kontrolliert werden, um Menschenrechte zu schützen

Es gilt also, den derzeit herrschenden Spielregeln etwas entgegenzusetzen. Dazu gehört vor allem, die zu schwache Regulierung von Unternehmen wie Meta, Alphabet oder X ins politische und öffentliche Bewusstsein zu bringen und für Verbesserungen zu sorgen. Zwar hat die Europäische Union mit dem Digital Service Act einen gewissen Schutz für Nutzer*innen in Europa geschaffen. Doch die Algorithmen, die ihnen die vermeintlich bevorzugten Inhalte auf das Handy spielen, sind intransparent. 

Eigentlich müssen diese Daten Forschenden zur Verfügung gestellt werden, doch in der Realität geben die Tech-Unternehmen zu wenig preis. So gilt etwa der Algorithmus des chinesischen Konzerns Bytedance, dem Besitzer von TikTok, gar als Staatsgeheimnis. Eine menschenrechtsorientierte Moderation der Plattformen und Faktenchecks sind angesichts der nahezu unkontrollierten Macht der Algorithmen notwendig, fordert Christoffer Horlitz, bei Amnesty Deutschland zuständig für Menschenrechte im digitalen Raum. "Die Kontrolle digitaler Medien ist für die Menschenrechte essenziell. Amnesty muss und wird an dieser Stelle aufmerksam bleiben." 

Vor diesem Hintergrund ist es weiterhin wichtig, dass sich Amnesty in der digitalen Öffentlichkeit positioniert und sich für die Wahrung der Menschenrechte stark macht.