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Aufnahmebedingungen sind nicht ausreichend
Flüchtling im Souda-Camp auf der griechischen Insel Chios im November 2016
© Giorgos Moutafis/Amnesty International
14. März 2017 - Seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 2011 setzten bislang alle EU-Mitgliedstaaten sogenannte Dublin-Überstellungen nach Griechenland aufgrund gravierender Mängel bei Aufnahmebedingungen und Asylverfahren aus. Die EU-Kommission hat am 8. Dezember 2016 eine Empfehlung an die Mitgliedstaaten gegeben, Dublin-Überstellungen nach Griechenland für Asylsuchende, die nach dem 15. März 2017 einreisen, unter Einschränkungen wieder aufzunehmen.
Angesichts nun wieder möglichen Überstellungen nach Griechenland äußert Amnesty International – trotz eingetretener Verbesserungen - starke Bedenken hinsichtlich der Aufnahmesituation in Griechenland.
Zugang zum Asylverfahren
Asylsuchende begegnen in Griechenland, trotz der Erhöhung der Ressourcen in der griechischen Asylbehörde, weiterhin großen Schwierigkeiten beim Zugang zum Asylverfahren. Durch die Schließung der Grenzen in den nördlich von Griechenland gelegenen Staaten ist die Anzahl der Personen, die in Griechenland bleiben angestiegen. Zusätzlich sitzen aufgrund der Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei über 14.000 Menschen auf den griechischen Inseln fest und können nur dort Asyl beantragen. Dies stellt eine erhebliche Belastung für das ohnehin angespannte Asylsystem dar.
Auf den griechischen Inseln arbeiten Stand Januar 2017 100 Mitarbeiter der griechischen Asylbehörde. Diese werden in den Hotspots durch derzeit 52 Mitarbeiter des EASO-Büros unterstützt. Dies liegt nach Ermittlungen des EASO-Büros jedoch weit unter den aktuellen Bedürfnissen. In der Folge konnten viele der dort ankommenden Asylsuchenden noch nicht registriert werden. Auch auf dem Festland gestaltet sich der Zugang zum Verfahren sehr schwierig. Asylsuchende, die noch nicht vorregistriert wurden, können über Skype einen Termin zur Asylantragstellung oder zur Beantragung einer Umverteilung buchen. Dabei sind die Leitungen für die Antragsteller wöchentlich nur für wenige Stunden geöffnet. Neben den unzureichenden Öffnungszeiten wird die Antragstellung dadurch erschwert, dass Asylsuchende in abgelegenen Flüchtlingslagern kaum Zugang zum Internet oder zu Computern haben. Problematisch ist außerdem, dass es weiterhin an Informationen für Asylsuchende über das Asylverfahren, Rückführungen und freiwillige Rückkehr sowie über ihren aktuellen Status mangelt.
Personen denen es nicht gelingt, einen Asylantrag zu stellen und die aus diesem Grund keinen Zugang zum Asylverfahren erhalten, droht nach Ablauf der vorläufig ausgestellten Papiere eine Inhaftierung durch die griechischen Behörden.
Aufgrund der Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei droht Asylsuchenden in Griechenland zudem eine Abschiebung in die Türkei. Während bis vor kurzem nur syrische Antragsteller von der Regelung betroffen waren, hat Griechenland im Januar 2017 begonnen, die Zulässigkeitsprüfung auch auf andere Asylsuchende auszudehnen. In diesen wird geprüft, ob die Türkei als "sicherer Drittstaat" für die Person gilt und der Asylantrag somit aus formalen Gründen abgelehnt wird. Wie Berichte von Amnesty International zeigen, kann die Türkei für Flüchtlinge nicht pauschal als "sicherer Drittstaat" angesehen werden. Nicht-europäische Schutzsuchende haben in der Türkei keinen Zugang zu effektivem Flüchtlingsschutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, da die Türkei diese mit einem geographischen Vorbehalt ratifiziert hat.
Während zwischen März 2016 und Januar 2017 insgesamt 1.317 Unzulässigkeitsentscheidungen im Rahmen der Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei getroffen wurden, wurde bis zum 31. Januar 2017 keine dieser Personen in die Türkei abgeschoben. Zwar wurden 865 Personen im Rahmen der Vereinbarung in die Türkei zurückgeführt, diesen Rückführungen lag, laut den griechischen Behörden und der EU-Kommission, jedoch keine Unzulässigkeitsentscheidung zu Grunde. Die abgeschobenen Personen hätten vielmehr ihr Asylgesuch oder ihren Asylantrag zurückgenommen oder keinen Asylantrag gestellt hatten bzw. gestellte Asylanträge seien abgelehnt worden. Nach Erkenntnissen von Amnesty International befanden sich unter den abgeschobenen Personen jedoch mindestens acht Syrer, die zwangsweise in die Türkei zurückgebracht wurden ohne die vorherige Möglichkeit eines Asylantrags gehabt zu haben.
Unzureichende Aufnahmebedingungen
Die Anzahl der Unterkünfte für Asylsuchende in Griechenland ist weiterhin nicht ausreichend. Die Aufnahmebedingungen auf den griechischen Inseln haben sich durch die Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei weiter verschlechtert, da die Anzahl der Personen auf den Inseln sich erhöht und die Dauer ihres Aufenthaltes sich verlängert hat. So befanden sich Mitte Februar 2017 14.598 Asylsuchende und Migranten auf den griechischen Inseln, während die Aufnahmekapazitäten lediglich für 8.926 Personen ausgelegt sind.
Die Aufnahmelager sind überbelegt, es mangelt an angemessener Unterbringung, heißem Wasser, Heizungen, Hygiene, medizinischer Versorgung und angemessener Ernährung. Die Betroffenen sehen sich Gewalt und hassmotivierten Angriffen ausgesetzt. Insbesondere Frauen sind von dem Mangel an Sicherheit auf den griechischen Inseln betroffen.
Amnesty International besuchte im Juli 2016 insgesamt 14 Flüchtlingslager auf dem Festland. Auch hier war die Mehrzahl der Asylsuchenden in Zelten, umgebauten Lagerhallen oder verlassenen Gebäuden untergebracht. Keine der Unterbringungen war auf die Bedürfnisse besonders schutzbedürftiger Personen ausgelegt. Auch hier mangelte es an medizinsicher Versorgung, sanitären Anlagen, warmem Wasser, Heizmöglichkeiten, angemessenen Nahrungsmitteln und sauberem Trinkwasser. Bei einem erneuten Besuch einiger Lager im Dezember 2016 und Januar 2017 hatten sich die Bedingungen kaum verbessert.
Defizite bei der Identifizierung und Aufnahme von unbegleiteten Minderjährigen
Obwohl die Anzahl der Plätze in Aufnahmeeinrichtungen für unbegleitete Minderjährige in den vergangenen sechs Monaten verdoppelt wurde, besteht weiterhin ein großer Bedarf an kindgerechter Unterbringung. In der Folge werden unbegleitete Minderjährige, trotz ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit, oftmals für mehrere Monate in "normalen" Flüchtlingslagern untergebracht.
Zudem äußerten Nichtregierungsorganisationen auf den griechischen Inseln wiederholt Bedenken hinsichtlich der Identifizierung besonders Schutzbedürftiger. Bei Zweifeln hinsichtlich der Minderjährigkeit, wird das Alter allein auf der Grundlage einer Röntgenuntersuchung ohne psychologische Beurteilung bestimmt. Durch die Unzuverlässigkeit dieser Methoden besteht die Gefahr, dass Kinder fälschlicherweise als volljährig identifiziert und damit von besonderen Schutzmöglichkeiten ausgeschlossen werden.
Amnesty International ist außerdem darüber besorgt, dass die griechischen Behörden bislang die Inhaftierung von unbegleiteten Minderjährigen nicht abgeschafft haben.
Amnesty International empfiehlt daher,
- Die Erhöhung der Kapazitäten des griechischen Asylsystems, um den Zugang zum Asylverfahren zu gewährleisten
- Maßnahmen, zur Sicherstellung der ausreichenden Information von Asylsuchenden
- Maßnahmen zur Verbesserung der Aufnahmebedingungen
- Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit in Aufnahmeeinrichtungen; insbesondere der Sicherheit von Frauen und Mädchen
- die Erhöhung der Anzahl an Unterbringungsplätzen für unbegleitete Minderjährige sowie
- Maßnahmen zur Gewährleitung der Sicherheit von unbegleiteten Minderjährigen solange sie in anderen Einrichtungen untergebracht sind
- Die Erarbeitung klarer Leitlinien zur Anwendung der Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei
Lesen Sie hier die ausführliche Stellungnahme zur Empfehlung der EU-Kommission
Lesen Sie hier die englischsprachigen Berichte "Trapped in Greece - An Avoidable Refugee Crisis" und "Our Hope is Broken - European paralysis leaves thousands of refugees stranded in Greece"
Weitere Informationen zum Thema Flüchtlinge und Asyl finden Sie auf www.amnesty.de/fluechtlinge