Aktuell Rumänien 17. Juni 2013

Rumänien: Tausende entwurzelt durch rechtswidrige Zwangsräumungen

Kinder leben in einer alten Fabrik.

Kinder leben in einer alten Fabrik.

18. Juni 2013 Die rumänischen Behörden lassen Tausende ihrer Bürger im Stich. Sie missachten deren Recht auf angemessene Unterbringung und halten Versprechen, die Wohnverhältnisse zu verbessern, nicht ein. Das belegt Amnesty International im neuen Bericht der Organisation mit dem Titel "Pushed to the Margins: Five Stories of Roma Forced Evictions" ("Ins Abseits gedrängt: Fünf Geschichten von Roma über rechtswidrige Zwangsräumungen").

Stellvertretend für alle Betroffenen erzählen vier Roma-Frauen und ein Rom von ihren traumatischen Erfahrungen und den tiefgreifenden Auswirkungen rechtswidriger Zwangsräumungen. Sie berichten von der Zerstörung ihrer Wohnungen, von ihrem Widerstand gegen die Zwangsumsiedlung, von dem Verlust ihrer Lebensgrundlage, von ihrer sozialen Ausgrenzung, ihrer Stigmatisierung und von den Schwierigkeiten im Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung.

"Was wir hier, im Rumänien des 21. Jahrhunderts, erleben, ist der gezielte Ausschluss von Menschen aus der Gesellschaft: von Menschen, die unter oder an der Armutsgrenze leben und unter völlig unangemessenen Wohnbedingungen leiden. Die geltende rumänische Gesetzgebung zum Wohnungswesen bleibt weit hinter den internationalen Standards zurück, die die rumänische Regierung als verpflichtend anerkannt hat. Das gilt insbesondere für den fehlenden Schutz des Rechtes auf angemessene Unterbringung für alle Bürger und das fehlende Verbot rechtswidriger Zwangsräumungen", sagt Barbora Černuşáková, internationale Expertin für Rumänien von Amnesty International.

"Gesetzliche Mängel ermöglichen es lokalen Behörden, unter dem Vorwand der 'Innenstadt-Erneuerung' oder 'Entwicklung', ganze alteingesessene Roma-Gemeinschaften einfach hinwegzufegen, zwangsweise umzusiedeln und völlig unangemessen unterzubringen, außer Sichtweite des Restes der Bevölkerung. Solche Umsiedlungen führen oft dazu, dass die Betroffenen noch weiter ins Abseits gedrängt werden und ihre Armut verschärft wird, im Widerspruch zur offiziell erklärten Politik der Regierung, wonach die soziale Ausgrenzung der Roma und anderer verwundbarer Gruppen bekämpft werden soll."

Claudia Greta, jetzt Ende zwanzig, wohnte seit sie neun Jahre alt war in der Coastei-Straße in der westrumänischen Stadt Cluj-Napoca - bis Ende 2010, als die Stadtverwaltung ihr gesamtes Viertel zwangsräumen ließ. Die Bewohner wurden nach Pata Rât umgesiedelt, ein Gebiet an den Außengrenzen der Stadt, bekannt für seine Mülldeponien und eine ehemalige Chemieabfallhalde. Etliche Familien erhielten keinerlei Ersatzunterkunft.

In Claudias Fall bedeutete das, dass sie fünf Monate lang den kleinen Raum, der ihrer Familie als Unterkunft zugewiesen worden war, mit ihren Eltern und der Familie ihres Bruders – insgesamt elf Personen – teilen musste, weil diese obdachlos geblieben waren. " Sie haben uns zum Müll geworfen, als wenn wir auch Müll wären… Sie [die Leute in Cluj] wissen nicht … wo und wie wir leben; dass wir in einem Raum leben, wo wir uns waschen, essen, Hausarbeit und eben alles machen" , sagte Claudia.

Rodica ist eine von 500 Menschen, die sich der Zwangsräumung von Craica, einer Siedlung in der nordwestlichen Stadt Baia Mare, widersetzten. Die Stadtverwaltung räumte deshalb zunächst die Hälfte der Siedlung, zerstörte die Unterkünfte und siedelte die vormaligen Bewohner an den Rand der Stadt um, in Gebäude, die zur früheren metallurgischen Fabrik des Unternehmens CUPROM gehörten.

Rodica weigerte sich, dorthin umzuziehen, nachdem sie sich diese Ersatzunterkünfte selbst angesehen hatte: "Da waren einige Eisenschränke mit Gefäßen,… die das Gefahrzeichen trugen. Ich habe [eines der Gefäße] geöffnet und sofort fingen meine Augen und mein Mund an zu brennen, ich konnte nicht atmen. Sie waren voller Chemikalien… Deshalb habe ich [CUPROM] Todeslager genannt."

Die Familien, die dorthin umgesiedelt wurden, erhielten ein oder zwei Räume ohne Heizung und Wärmedämmung. Alle Bewohner eines Geschosses teilen sich jeweils eine sanitäre Einrichtung. Die Gebäude waren nicht für Wohnzwecke umgebaut worden, in einem Teil befand sich ein früheres Chemielabor, in dem noch Chemikalien gelagert waren.

Dusia wurde im Lauf ihres Lebens dreimal Opfer von rechtswidrigen Zwangsräumungen, zuletzt im August 2012, als die Behörden der nordöstlichen Stadt Piatra Neamţ Wohneinheiten in der Muncii Straße zwangsweise räumen ließen. Rund 500 Roma wurden anschließend in völlig unangemessene "Sozialwohnungen" in Văleni 2 umgesiedelt, ein isoliertes Gebiet, das etwa neun Kilometer entfernt vom Stadtzentrum liegt und vom Zentrumgetrennt wird durch eine ehemalige Industriezone und einen Fluss. Die nächstgelegene Bushaltstelle ist gut einen Kilometer entfernt und nur über einen schlammigen, unbeleuchteten Weg zu erreichen.

"Wenn Sie an unserer Stelle wären", fragt Dusia, "[würden Sie nicht] wenigstens Strom haben wollen, eine Straße, einen Bus und einen Lebensmittelladen, wo Sie Brot kaufen können? Würden Sie sich nicht besser fühlen, wenn es nachts, wenn Sie rausgehen, etwas mehr Licht gäbe? Es gibt Gefahren. Der Wald ist nah; dort gibt es Bären, Wölfe."

"Die Geschichten von Claudia, Rodica und Dusia – ihre Ängste, Entbehrungen und ihre Hoffnungslosigkeit – sind vielen der zwei Millionen Roma in Rumänien schmerzlich vertraut", sagt Barbora Černuşáková von Amnesty International. "Die Maßnahmen oder in einigen Fällen die Untätigkeit der lokalen Behörden und ihre gebrochenen Versprechen sind Ausdruck der Diskriminierung der Roma und haben zu schwerwiegender Ausgrenzung geführt."

Pata Rât in Cluj-Napoca ist inzwischen als Roma-Ghetto der Stadt bekannt. 2012 kündigten die Behörden ihre Absicht an, diejenigen, die 2010 dorthin zwangsumgesiedelt worden waren, in die Stadt zurückzuholen. Geschehen ist bis heute nichts, genauere Pläne sind nicht bekannt. Die Betroffenen warten noch immer auf Gerechtigkeit.

In Baia Mare gewann Bürgermeister Catalin Chereches 2012 die Kommunalwahlen mit dem Versprechen, die Roma-Siedlung in der Stadt zu zerstören. Diejenigen Roma, die Widerstand leisteten, und diejenigen, die umgesiedelt wurden, leben ständig in der Angst, von einem Tag auf den anderen ihre Unterkunft zu verlieren.

Im Oktober 2001 wollte der Bürgermeister von Piatra-Neamţ ein Roma-Ghetto auf einer früheren Hühnerfarm einrichten. Jetzt, zwölf Jahre später, haben die Behörden seine Ziele verwirklicht, indem sie die Roma an die äußerste Stadtgrenze hinter die ehemalige Industriezone umsiedelten.

"Solche Maßnahmen kommunaler Verwaltungen sind rechtswidrig und untragbar. Sie zerstören das Leben der Betroffenen und machen politische Pläne für die Integration der Roma sinnlos. Die rumänische Regierung muss schnell handeln, um diese Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden. Sie muss ihre Autorität gegenüber lokalen Amtsträgern geltend machen, um den Schutz, die Achtung und die Umsetzung des Rechtes auf Wohnen für alle zu garantieren und die rechtswidrigen Zwangsräumungen zu beenden", sagt Barbora Černuşáková von Amnesty International.

Weiterlesen
Amnesty-Bericht "Romania: Pushed to the margins: Five stories of Roma forced evictions in Romania" (PDF)

Fordern Sie ein Ende der Diskriminierung von Roma!

Beteiligen Sie sich an der Online-Aktion auf der englischsprachigen Seite amnesty.org

Video: Roma evicted and pushed to the margins in Romania (Englisch)

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