Auslieferung verhindern

Am 10. Dezember entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass der 29-jährige Igor Koktisch (englische Transkription: Igor Koktysh), ein gesellschaftskritischer Musiker und Unterstützer der belarussischen Opposition, nicht an Belarus ausgeliefert werden darf. Ob die ukrainischen Behörden diesem Urteil nachkommen werden, ist noch unklar. Igor Koktisch ist ein gewaltloser politischer Gefangener, der sich nur deshalb in Haft befindet, weil er sein Recht auf freie Meinungsäußerung friedlich wahrgenommen hat.

Appell an

PRÄSIDENT
President Viktor Yushchenko
Vul. Bankovaya 11, 01220 Kyiv, UKRAINE
(korrekte Anrede: Dear President Yushchenko)
Fax: (00 380) 44 255 61 61

GENERALSTAATSANWALT
Oleksandr Medvedko, Prosecutor General
Vul. Riznitska 13/ 15, 01601 Kyiv, UKRAINE
(korrekte Anrede: Dear Prosecutor General)
Fax: (00 380) 44 280 2851
AUßENMINISTER DER UKRAINE
Petro Poroshenko, Minister of Foreign Affairs
Pl.Mykhalivska, 1, 01018 Kyiv, UKRAINE
(korrekte Anrede: Dear Minister)
Fax: (00 380) 44 272 22 12

Sende eine Kopie an

BOTSCHAFT DER UKRAINE
I.E. Frau Nataliia Zarudna
Albrechtstraße 26, 10117 Berlin
Fax: 030-2888 7163 - E-Mail: ukremb@t-online.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Ukrainisch, Russisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 22. Januar 2010 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE

  • Fordern Sie die ukrainischen Behörden auf, dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unverzüglich nachzukommen und Igor Koktisch umgehend und bedingungslos freizulassen.

  • Drängen Sie darauf, dass Igor Koktisch umfassend entschädigt wird, gemäß der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

  • Appellieren Sie an die ukrainischen Behörden, Igor Koktisch effektiven und dauerhaften Schutz vor der Abschiebung in ein Land zu gewähren, in dem ihm die Todesstrafe, Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Calling on the Ukrainian authorities to comply with the judgment of the European Court of Human Rights without delay and to release Igor Koktysh immediately and unconditionally;

  • Calling on the Ukrainian authorities to ensure that Igor Koktysh receives full compensation in accordance with the judgment of the European Court of Human Rights;

  • Urging the Ukrainian authorities to ensure that he is provided with effective and durable protection against return to any country, including Belarus, where he would be at risk of the death penalty, torture or other grave human rights violations.

Sachlage

Igor Koktisch legte im Oktober 2007 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerde gegen seine Auslieferungshaft in der Ukraine ein. Die Entscheidung des Gerichtshofs fiel zu Gunsten von Igor Koktisch aus. Ebenso nannte der Gerichtshof die Bedingungen, unter denen Igor Koktisch festgehalten wird, unmenschlich und erniedrigend. Der Gerichtshof bezog sich auf Untersuchungsergebnisse des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und ein Gutachten des Menschenrechtsbeauftragten des ukrainischen Parlaments.

Beide gaben an, dass die Zellen im SIZO-Gefängnis, in dem Igor Koktisch festgehalten wird, dreckig und dunkel seien. Häftlinge würden nicht ausreichend ernährt und das Gefängnis sei derart überfüllt, dass die Insassen sich mit dem Schlafen abwechseln müssten. Das Gericht räumte ferner ein, dass Igor Koktisch im Falle einer Rückkehr nach Belarus Folter und Misshandlungen drohen. Igor Koktisch der Gefahr auszusetzen, in Belarus in einem unfairen Verfahren zum Tode verurteilt zu werden, würde nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine weitere Menschenrechtsverletzung darstellen. Des Weiteren gäbe es für die Inhaftierung von Igor Koktisch in der Ukraine keine rechtliche Grundlage und es sei ihm nicht möglich gewesen, die Rechtmäßigkeit seiner Haft anzufechten, erklärte das Gericht. Gegenwärtig wird Igor Koktisch in einer Haftanstalt (SIZO) in der Stadt Simferopol im Süden der Ukraine festgehalten. Er ist Asthmatiker und leidet an einer Reihe von Folgebeschwerden. Nach Aussagen seiner Frau erlitt er am 28. November einen schweren Asthmaanfall und erhielt keine Medikamente, bis sie ihm zwei Tage später selbst welche bringen konnte. Seinem Anwalt berichtete Igor Koktisch, dass er befürchte, im Gefängnis zu sterben, denn im Falle eines erneuten schweren Asthmaanfalls wären die Gefängnisärzte nicht angemessen ausgestattet, um ihm zu helfen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Igor Koktisch, der belarussischer Staatsbürger ist, befindet sich seit Juni 2009 in der Ukraine in Haft, nachdem Belarus wegen eines Mordes, den er im Jahr 2001 begangen haben soll, seine Auslieferung gefordert hatte. Igor Koktisch war Mitglied der mittlerweile verbotenen Rockband "Mlechny Put" (Milchstraße) und in Belarus gesellschaftlich und politisch aktiv. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern einer von der katholischen Kirche finanzierten Jugendorganisation, die drogenabhängige Jugendliche bei der Rehabilitation unterstützte. Außerdem organisierte er Rockfestivals unter dem Motto "Nein zu Drogen und Gewalt". Auf diesen Festivals waren oppositionelle Flaggen und Slogans zu sehen. Zudem engagierte sich Igor Koktisch in der oppositionellen Jugendbewegung Zubr, die mittlerweile aufgelöst wurde, und nahm an politischen Kampagnen teil. Im Jahr 2000 versuchte er, die unabhängige Jugendorganisation "Informal Youth Movement" ins Leben zu rufen. Die Behörden verweigerten der Organisation jedoch die Registrierung.

Im Januar 2001 war Igor Koktisch in Belarus in Haft, weil er wegen Mordes an einem Verwandten eines guten Freundes angeklagt worden war. Ein leitender Polizeibeamter soll Igor Koktisch gegenüber zugegeben haben, zu wissen, dass er unschuldig sei. Er werde aber von seinen Vorgesetzten unter Druck gesetzt, rechtfertigte sich der Beamte. Mit der Absicht, ein "Geständnis" von Igor Koktisch zu erzwingen, wurde er nach vorliegenden Informationen während der Untersuchungshaft gefoltert, geschlagen und nackt in eine sehr kalte Zelle gesperrt.

Igor Koktisch konnte jedoch beweisen, dass er sich zum Zeitpunkt des Mordes in einer anderen Stadt aufgehalten hatte, und wurde daraufhin freigesprochen und aus der Haft entlassen. Am 1. Februar 2002 bestätigte der Oberste Gerichtshof von Belarus den Freispruch. Nachdem Igor Koktisch im April 2002 in die Ukraine gezogen war, legte die belarussische Generalstaatsanwaltschaft gegen das Urteil Rechtsmittel ein, woraufhin der Fall für ein Wiederaufnahmeverfahren an die niedrigere Instanz zurückverwiesen wurde. Dieses ungewöhnliche Vorgehen der belarussischen Behörden ist der Grund für das Auslieferungsgesuch. Am 25. Juni 2007 wurde Igor Koktisch auf Antrag belarussischer Behörden von ukrainischen Polizeikräften verhaftet. Die Anklage war dieselbe geblieben: "Mord in einem besonders schweren Fall", wofür nach Paragraph 139 des belarussischen Strafgesetzbuches auch die Todesstrafe verhängt werden kann.

In der Ukraine engagierte sich Igor Koktisch weiter für den Herausforderer bei den belarussischen Präsidentschaftswahlen 2006. Er erstellte Videos und Internet-Banner und schrieb Lieder für den oppositionellen Kandidaten. Außerdem erstellte er für die nicht registrierte Jugendorganisation "Informal Youth Movement" eine Internetseite mit oppositionellen Broschüren und Postern. Igor Koktisch beantragte in der Ukraine Asyl, der Antrag wurde jedoch am 23. Oktober 2008 abgelehnt. Sein Anwalt hat gegen diese Entscheidung Rechtsmittel eingelegt. Im Oktober 2007 reichte Igor Koktisch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerde ein – gegen seine bevorstehende Auslieferung an Belarus und gegen die Umstände seiner Auslieferungshaft in der Ukraine. Daraufhin forderte der Europäische Gerichtshof die ukrainischen Behörden auf, Igor Koktisch nicht an Belarus auszuliefern, bis sein Fall geklärt sei.

Mit dem Urteil vom 10. Dezember klärte der Gerichtshof den Fall zu Gunsten von Igor Koktisch. Neben den oben genannten Ergebnissen stellte der Gerichtshof fest, dass Igor Koktisch im Jahr 2001 von zwei gerichtlichen Instanzen in Belarus von den ihm vorgeworfenen Straftaten freigesprochen worden war. Damit sei auch die Auslieferung hinfällig. Die Zusicherungen des belarussischen Generalstaatsanwaltes in Bezug auf die Behandlung Igor Koktischs im Falle seiner Auslieferung schätzt der Gerichtshof als unzureichend ein. Er sieht daher den Schutz vor Folter und Misshandlung nicht als gewährleistet an. Der Gerichtshof kam auch zu dem Schluss, dass die fehlende Möglichkeit für Igor Koktisch, die Bedingungen seiner Inhaftierung anzufechten, eine Verletzung von Artikel 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention bedeute.

Die Ukraine ist Vertragsstaat verschiedener internationaler Menschenrechtsabkommen, die die Auslieferung von Personen verbieten, wenn ihnen im Zielland Misshandlungen, Folter, die Todesstrafe oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.