Aktivist_innen in Haft

Neun Aktivist_innen sind im Zusammenhang mit Gedenkveranstaltungen anlässlich des 27. Jahrestags der blutigen Niederschlagung der Proteste auf dem Tiananmen-Platz (4. Juni 1989) inhaftiert worden. Sie sind in Gefahr, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden.

Appell an

LEITER DER HAFTEINRICHTUNG IN FENGTAI
No. 6 Shagang Village
Yuanpingcheng Dongnanbu
Fengtaiqu, Beijing
VOLKSREPUBLIK CHINA 100071
(Anrede: Dear Director / Sehr geehrter Herr Direktor)

LEITER DER HAFTEINRICHTUNG IN CHENGDU
Chengdu City Detention Centre

Zhengyilu, Anqing Town
Pi County, Chengdushi
VOLKSREPUBLIK CHINA 611731
(Anrede: Dear Director / Sehr geehrter Herr Direktor)

Sende eine Kopie an

MINISTER FÜR ÖFFENTLICHE SICHERHEIT
Guo Shengkun

No 14. Dong Chang’an Jie
Dongchengqu
Beijing 100741
VOLKSREPUBLIK CHINA
E-Mail: gabzfwz@mps.gov.cn

BOTSCHAFT DER VOLKSREPUBLIK CHINA
S.E. Herrn Mingde Shi
Märkisches Ufer 54
10179 Berlin
Fax: 030-27 58 82 21
E-Mail: presse.botschaftchina@gmail.com

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Chinesisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 26. Juli 2016 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Bitte lassen Sie Zhang Baocheng, Zhao Changqing, Xu Caihong, Ma Xinli, Liang Taiping, Li Wei, Fu Hailu, Ma Qing und Luo Yaling sofort und bedingungslos frei, da sie nur aufgrund der friedlichen Wahrnehmung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung inhaftiert sind.

  • Sorgen Sie bitte dafür, dass sie bis zu ihrer Freilassung vor Folter und anderweitiger Misshandlung geschützt sind und unverzüglich Zugang zu jeglicher erwünschten oder erforderlichen medizinischen Versorgung sowie Zugang zu ihren Rechtsbeiständen und Familien erhalten.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Calling on the authorities immediately and unconditionally release Zhang Baocheng, Zhao Changqing, Xu Caihong, Ma Xinli, Liang Taiping, Li Wei, Fu Hailu, Ma Qing and Luo Yaling as they have been detained solely for exercising the rights to freedom of expression.

  • Calling on the Chinese authorities to ensure that while detained they are protected from torture and other ill-treatment, and have prompt access to any medical treatment on request or as needed, and to their lawyers and family.

Sachlage

Neun Aktivist_innen aus Peking, Sichuan und Chongqing sind inhaftiert worden, nachdem sie anlässlich des 27. Jahrestags der Niederschlagung der Proteste auf dem Tiananmen-Platz an Gedenkveranstaltungen teilgenommen hatten. Sechs von ihnen – Zhang Baocheng, Zhao Changqing, Xu Caihong, Ma Xinli, Liang Taiping und Li Wei – wurden am 31. Mai bzw. 1. Juni festgenommen. Ihnen wird vorgeworfen, "Streit angefangen und Ärger provoziert" zu haben, weil sie sich am 28. Mai im Haus von Zhao Changqing in Peking getroffen hatten, um den Opfern des Tiananmen-Massakers zu gedenken. Sie machten zudem Fotos, auf denen ein Slogan zu sehen war, mit dem sie die Freilassung des in Guangdong inhaftierten Aktivisten Guo Feixiong und des in Henan inhaftierten Aktivisten Yu Shiwen forderten. Die sechs Aktivist_innen befinden sich in der Haftanstalt im Bezir Fengtai in Peking in Haft. Eine weitere Aktivistin, Li Meiqing, wurde am 2. Juni auf die Polizeistation im Stadtbezirk Qingta in Peking gebracht und verhört. Sie wurde zwar später wieder freigelassen, steht jedoch derzeit unter Überwachung.

Der Aktivist Fu Hailu und die Aktivistin Ma Qing aus Sichuan sind ebenfalls im Zusammenhang mit Gedenkveranstaltungen festgenommen worden. Fu Hailu wurde Ende Mai inhaftiert, weil man ihm "Anstiftung zum Umsturz der Staatsmacht" vorwirft. Grund dafür ist, dass er ein beliebtes alkoholisches Getränk (baijiu) in Flaschen verkauft hatte, auf deren Etikett stand "Erinnert euch, Acht Schnaps Sechs Vier", was sich auf Chinesisch ausgesprochen wie "4. Juni 1989" anhört. Zudem war auf den Flaschen das berühmte Foto des Mannes abgedruckt, der vor einem Panzer steht. Die Dichterin Ma Qing soll die Flaschen über das soziale Netzwerk WeChat beworben haben. Sie wurde Ende Mai inhaftiert. Beide befinden sich derzeit in der Hafteinrichtung in Chengdu.

Luo Yaling, eine Aktivistin aus Chongqing, die bekannt für die Unterstützung anderer Aktivist_innen ist, wurde Ende Mai inhaftiert. Auch ihr wird vorgeworfen, "Streit angefangen und Ärger provoziert" zu haben. Wahrscheinlich steht ihre Inhaftierung im Zusammenhang mit Gedenkveranstaltungen zum 4. Juni oder der Unterstützung anderer Menschenrechtsaktivist_innen. Polizist_innen aus Chongqing durchsuchten am 3. Juni ihre Wohnung und nahmen ihr Handy und ihr Tablet mit. Sie befindet sich derzeit in der Haftanstalt des Bezirks Jiangbei in Chongqing.

Baocheng im März und Zhao Changqing im Oktober 2015 nach Ableisten ihrer jeweiligen Haftstrafe freigelassen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Im April 1989 weiteten sich die Proteste einiger Universitätsstudierenden in Peking, die sich ursprünglich versammelt hatten, um um ein führendes Mitglied der Kommunistischen Partei, Hu Yaobang, zu trauern, schnell auf das ganze Land aus. Die Studierenden forderten ein Ende der Korruption durch Regierungsvertreter_innen sowie politische und wirtschaftliche Reformen. Ihre Forderungen fanden in weiten Teilen der Bevölkerung Zustimmung. In Peking und ganz China fanden friedliche Demonstrationen statt. Die Behörden schafften es nicht, die Demonstrierenden dazu zu bewegen, nach Hause zurückzukehren. Als es in Peking zu Ausschreitungen kam, wurde am 20. Mai der Ausnahmezustand ausgerufen.

In der Nacht des 3. Juni fielen stark bewaffnete Truppen und Hunderte gepanzerte Fahrzeuge in die Stadt ein, um die prodemokratischen Demonstrierenden zu "beseitigen". Viele unbewaffnete Zivilpersonen, darunter Kinder und ältere Menschen, wurden von den Truppen erschossen. Am 4. Juni übernahmen die Truppen die vollständige Kontrolle über Peking.

In einem offiziellen Bericht, den die chinesischen Behörden Ende Juni 1989 veröffentlichten, hieß es, dass "während des Aufstands mehr als 3.000 Zivilpersonen verletzt wurden und mehr als 200, darunter 36 Hochschulstudierende, starben". Dem Bericht zufolge starben auch mehrere Dutzend Soldat_innen. Obwohl die genauen Zahlen weiterhin nicht bekannt sind, sind die offiziellen Angaben mit großer Wahrscheinlichkeit zu niedrig.

Sofort nach der Niederschlagung durch das Militär begannen die Behörden, die an den Demonstrationen Beteiligten ausfindig zu machen. Viele Zivilpersonen wurden festgenommen, gefoltert oder nach unfairen Gerichtsverfahren inhaftiert. Viele von ihnen wurden wegen "konterrevolutionären Verbrechen" angeklagt. "Konterrevolutionäre" Straftaten sind seit 1997 nicht mehr Teil des Strafrechts, doch die Fälle derjenigen Personen, die sich wegen solcher Straftaten bereits in Haft befanden, wurden nicht neu geprüft.

Zhang Baocheng, Zhao Changqing und Li Wie gehörten dem losen Aktivistennetzwerk Neue Zivilgesellschaftliche Bewegung an, das von dem Rechtswissenschaftler Xu Zhiyong angeführt wurde. Hinter der Neuen Zivilgesellschaftlichen Bewegung steht die Idee, "neue zivilgesellschaftliche Verantwortung" zu zeigen, indem die Unterstützer_innen der Bewegung Korruption ablehnen und sich um die Gesellschaft verdient machen. Außerdem sollen sie am gesellschaftlichen Leben teilhaben und Treffen zum Diskutieren der politischen Lage organisieren, den Schwachen helfen und sich zusammenschließen, um die Arbeit zu teilen und zu koordinieren. Li Wei und Zhang Baocheng wurden im April 2014 wegen "Versammlung einer Menschenmenge, um die öffentliche Ordnung zu stören" je zu zwei Jahren und Zhao Changqing zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Li Wie wurde im April, Zhang Baocheng im März und Zhao Changqing im Oktober 2015 nach Ableisten ihrer jeweiligen Haftstrafe freigelassen.