Schlechter Gesundheitszustand

Die iranische Menschenrechtsverteidigerin Atena Daemi

Die iranische Menschenrechtsverteidigerin Atena Daemi

Nach 31 Tagen im Hungerstreik im Evin-Gefängnis in Teheran geht es Atena Daemi gesundheitlich sehr schlecht und sie benötigt umgehend eine stationäre Behandlung. Sie ist seit November 2016 aufgrund ihrer menschenrechtlichen Aktivitäten zu Unrecht inhaftiert.

Appell an

OBERSTE JUSTIZAUTORITÄT Ayatollah Sadegh Larijani c/o Public Relations Office Number 4, Deadend of 1 Azizi Above Pasteur Intersection Vali Asr Street, Tehran, IRAN (Anrede: Your Excellency / Exzellenz)

GENERALSTAATSANWALT VON TEHERAN Abbas Ja’fari Dolat Abadi Office of the General and Revolutionary Prosecutor Corner (Nabsh-e) of 15 Khordad Square Tehran, IRAN (Anrede: Your Excellency / Exzellenz)

Sende eine Kopie an

PRÄSIDENT Hassan Rouhani The Presidency Pasteur Street, Pasteur Square Tehran IRAN

 

BOTSCHAFT DER ISLAMISCHEN REPUBLIK IRAN S. E. Herrn Ali Majedi Podbielskiallee 65-67 14195 Berlin Fax: 030-8435 3535 E-Mail: info@iranbotschaft.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Persisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 20. Juni 2017 keine Appelle mehr zu verschicken.

 

Amnesty fordert:

LUFTPOSTBRIEFE, FAXE UND E-MAILS MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Bitte veranlassen Sie die sofortige Freilassung von Atena Daemi, da sie eine gewaltlose politische Gefangene ist, die lediglich ihre Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wahrgenommen hat.

  • Stellen Sie bitte sicher, dass Atena Daemi Zugang zu qualifiziertem Gesundheitspersonal erhält, welches sie entsprechend der Medizinethik versorgt und die Grundsätze der Schweigepflicht, Patientenautonomie und Einwilligung nach Aufklärung einhält.

  • Heben Sie die Verurteilungen von Hanieh und Ensieh Daemi auf, die in einem unfairen Verfahren zustande kamen.

  • Bitte untersuchen Sie die Folter- und Misshandlungsvorwürfe von Atena Daemi, darunter der Vorwurf, in der Haft im November 2016 Gewalt ausgesetzt worden zu sein, und garantieren Sie, dass die Verantwortlichen in fairen Verfahren vor Gericht gestellt werden.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Release Atena Daemi immediately and unconditionally, as she is a prisoner of conscience targeted solely for peacefully exercising her rights to freedom of expression, association and assembly.

  • Ensure, pending her release, that she has access to a qualified health professional who can provide health care in compliance with medical ethics, including the principles of confidentiality, autonomy and informed consent.

  • Quash the convictions and sentences of Hanieh and Ensieh Daemi, which were issued after an unfair trial.

  • Investigate Atena Daemi’s allegations of torture or other ill-treatment, including being subjected to violence during her November 2016 arrest, and ensure that those responsible are brought to justice in fair trials.

[HINTERGRUNDINFORMATIONEN]

Im März 2017 wurde die 29-jährige Atena Daemi in die Klinik des Evin-Gefängnisses verlegt, nachdem sie auf ihrem rechten Auge vorübergehend nicht sehen konnte. Doch noch am selben Tag brachte man sie zurück in ihre Zelle, da die Klinik nicht die notwendigen Gerätschaften hatte, um ihre Erkrankung zu diagnostizieren. Amnesty International erfuhr, dass sie sich in den folgenden zwei Tagen mehrmals erbrach und dies die Behörden schließlich dazu veranlasste, sie in ein Krankenhaus außerhalb des Gefängnisses zu bringen. Die Ärzt_innen im Krankenhaus sagten, es könne eine Entzündung des Sehnervs vorliegen und sie benötige eine Kernspintomographie des Gehirns. Die Behörden brachten sie jedoch noch am selben Tag in das Gefängnis zurück und haben bislang nicht dafür gesorgt, dass sie die Kernspintomographie erhält. Sie teilten zudem der Familie mit, diese Behandlung sei teuer und die Familie müsse die Kosten tragen, wenn es einen Termin dafür gebe. Das verstößt gegen das Völkerrecht, in dem festgeschrieben ist, dass der Staat die medizinische Versorgung aller Häftlinge kostenfrei und ohne Diskriminierung übernimmt.

In einem offenen Brief schrieb Atena Daemi am 1. Mai, dass die Leitung des Evin-Gefängnisses bestätigt habe, dass der Fall gegen sie und ihre Schwestern von Verfahrensunregelmäßigkeiten gekennzeichnet sei und versprochen habe, dies bei der Staatsanwaltschaft weiterzuverfolgen. Seither ist jedoch kein Fortschritt in der Angelegenheit erzielt worden. Kürzlich teilte die Staatsanwaltschaft im Evin-Gefängnis der Familie mit, dass nichts unternommen werden könne, um Atena Daemi zu helfen und sie die Prüfung des Falls durch das Berufungsgericht abwarten müsse.

Die Verurteilungen von Atena Daemi und ihren Schwestern stehen im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung, die sie und ihre Schwestern am 26. November 2016 mit drei Angehörigen der Revolutionsgarden hatte, als diese ihr Elternhaus durchsuchten, um sie festzunehmen. Atena Daemi berichtete, dass die Beamt_innen Gesichtsmasken trugen und weder ihren Ausweis noch einen Haftbefehl vorlegten. Sie schlugen Atena Daemi und besprühten sie mit Pfefferspray, als diese friedlich auf die Rechtswidrigkeit der Art und Weise ihrer Festnahme hinwies. Als ihre Schwester Hanieh versuchte, einzugreifen und die Beamt_innen zu stoppen, schlugen diese sie mit der Faust auf die Brust. Nach ihrer Festnahme erstattete Atena Daemi beim Büro der Staatsanwaltschaft im Evin-Gefängnis Anzeige gegen die Revolutionsgarden. Doch die Behörden bearbeiteten ihre Anzeige nicht und behaupteten, ihre Anzeigeschrift sei verlorengegangen. Scheinbar als Vergeltungsmaßnahme nahmen sie stattdessen die strafrechtliche Verfolgung von Atena Daemi und ihren Schwestern auf.

Im Januar 2017 klagten die Behörden Atena Daemi und ihre Schwestern wegen "Beleidigung des Religionsführers", "absichtlichen tätlichen Angriffs", "Behinderung von Beamten bei der Ausübung ihrer Amtes" und "Beleidigung von Beamten im Dienst" an. Im Februar 2017 erhielten Atena Daemi und ihre Schwestern einen offiziellen Brief des Büros der Staatsanwaltschaft, in dem darauf hingewiesen wurde, dass die ersten beiden Anklagepunkte fallen gelassen worden seien. Doch die zwei weiteren Anklagen blieben anhängig und Atena Daemis Schwestern mussten 400 Millionen Rial (etwa 1.200 Euro) zahlen, um während der laufenden Ermittlungen auf freiem Fuß bleiben zu können. Sie erhielten keine weiteren Informationen zu den Anklagen, bis sie am 22. März 2017 eine Vorladung für die Gerichtsverhandlung vor der Abteilung 1162 des Strafgerichts in Teheran für den folgenden Tag bekamen. Die Anhörung dauerte etwa eine Stunde. Am nächsten Tag veröffentlichte das Gericht das Urteil, das auf drei Monate und einen Tag Gefängnis lautete. Das Gericht setzte die Haftstrafen von Hanieh und Ensieh Daemi bei "gutem Benehmen" für den Zeitraum eines Jahres aus. Das Urteil gegen Atena Daemi wurde an ihre bestehende Haftstrafe angehängt.

Atena Daemi wurde im Oktober 2014 festgenommen. Man hielt die Menschenrechtsverteidigerin 86 Tage im Trakt 2A des Evin-Gefängnisses fest, der unter der Kontrolle der Revolutionsgarden steht. 51 Tage davon musste sie in Einzelhaft verbringen. Obwohl sie in dieser Zeit mehrfach verhört wurde, hatte sie keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand. Im März 2015 wurde sie vor der Abteilung 28 des Revolutionsgerichts in Teheran zu 14 Jahren Haft verurteilt. Das Verfahren war grob unfair und dauerte lediglich etwa 15 Minuten. Im September 2016 reduzierte die Abteilung 36 des Berufungsgerichts von Teheran das Strafmaß auf sieben Jahre Freiheitsentzug. Atena Daemi wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt, weil sie sich mit friedlichen Mitteln für die Menschenrechte eingesetzt hat. Unter anderem hat sie auf Facebook Kritik an den hohen Hinrichtungszahlen im Iran geübt, Anti-Todesstrafen-Slogans an Wände gemalt, Flugblätter gegen die Todesstrafe verteilt, an einer Protestaktion gegen die Hinrichtung der jungen Iranerin Reyhaneh Jabbari im Jahr 2014 teilgenommen. Weiter hat sie die Gräber von Personen besucht, die während der Proteste nach den Präsidentschaftswahlen 2009 getötet wurden und Informationen über Menschenrechtsverletzungen an politischen Gefangenen an ausländische Menschenrechtsgruppen verschickt. In dem im April 2015 erlassenen Gerichtsurteil wurden diese Aktivitäten von der Abteilung 28 des Revolutionsgerichts in Teheran als Beweise für "Versammlung und Verschwörung gegen die nationale Sicherheit", "Verbreitung von Propaganda gegen das System" und "Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des Religionsführers" gewertet.

Sachlage

Am 8. April trat die iranische Menschenrechtsverteidigerin Atena Daemi im Evin-Gefängnis in den Hungerstreik. Sie protestiert damit gegen die Verurteilung ihrer Schwestern Hanieh und Ensieh zu ausgesetzten Gefängnisstrafen wegen "Beleidigung von Beamt_innen im Dienst". Beide wurden am 13. März 2017 von einem Strafgericht in Teheran zu ausgesetzten Gefängnisstrafen von drei Monaten und einem Tag verurteilt. Laut der Familie von Atena Daemi hat sich ihr Gesundheitszustand sehr verschlechtert. Sie soll etwa 12 kg Gewicht verloren haben. Sie leidet an ständigem Schwindel, Erbrechen, Blutdruckschwankungen und großen Nierenschmerzen. Am 2. Mai verlor sie kurzzeitig das Bewusstsein. Sie wurde am 8. Mai für kurze Zeit in ein Krankenhaus außerhalb des Gefängnisses gebracht, in dem einige medizinische Untersuchungen durchgeführt wurden. Man brachte sie jedoch ins Gefängnis zurück, noch ehe die Untersuchungsergebnisse vorlagen. Ärzt_innen haben warnend erklärt, dass ihre Nierenentzündung einen kritischen Zustand erreicht habe und sie sofort stationär behandelt werden müsse.

Die Gefängnisbeamt_innen gewähren ihr jedoch keine angemessene medizinische Versorgung. Am 29. April erzählte Atena Daemi ihrer Familie, dass die Gefängnisärzt_innen in ihren Berichten weiterhin schreiben, dass ihr Gesundheitszustand normal sei und sie ihre Erkrankung nur "vortäuscht". Ende April wurde sie in die Gefängnisklinik gebracht, um ein EKG zu erstellen, doch der Krankenpfleger weigerte sich, die Untersuchung durchzuführen. Er rechtfertigte seine Weigerung damit, dass es für männliches medizinisches Personal "unangemessen" sei, diese Untersuchung an Patientinnen durchzuführen, da sie dabei ihre Brust entblößen müssen. Weibliche politische Gefangene sehen sich häufig zusätzlichen Formen geschlechtsspezifischer Diskriminierung gegenüber, wenn sie Zugang zu medizinischer Behandlung suchen. Weiblichen Gefangenen mit abendlichen oder nächtlichen Herzproblemen wurden bereits bei mehreren Gelegenheiten Notfall-EKGs verweigert, da die Gefängnisbehörden darauf bestanden, dass diese Tests von weiblichem Personal durchgeführt werden, da die Patientinnen für die Untersuchung ihre Brust entblößen müssen.

Atena Daemi und der Rechtsbeistand ihrer Schwestern warten derzeit auf die Überprüfung der Schuldsprüche und Strafmaße durch das Berufungsgericht. Der Rechtsbeistand befürchtet, dass die Rechtsmittel zurückgewiesen werden könnten. Amnesty International betrachtet das Verfahren, das zu ihrer Verurteilung führte, als unfair und würde Hanieh und Ensieh Daemi bei einer Inhaftierung als gewaltlose politische Gefangene einstufen, die nur deshalb zur Zielscheibe wurden, weil sie mit Atena Daemi verwandt sind.