Amnesty Journal Israel und besetztes palästinensisches Gebiet 26. März 2021

"Auch von mir wurde erwartet, ein gutes Mädchen zu sein"

Eine Frau, die ein Kopftuch und Glitzer im Gesicht trägt, neigt ihren Kopf zur linken Seite und blickt in die Kamera.

Die Sängerin Liraz Charhi richtet sich mit ihrem die Freiheit feiernden Album "Zan" an iranische Frauen. Ein Gespräch über die Identitätsfindung als persischstämmige Israelin und heimlich aufgenommene Musik.

Interview: Till Schmidt

Auf Ihrem neuen Album "Zan" singen Sie auf Farsi – ungewöhnlich für eine israelische Musikerin. Wie kam es dazu?

Meine Eltern sind 1964 und 1970 nach Israel eingewandert. Sie haben den Iran verlassen, weil sie dort ihr Judentum nicht offen leben konnten und im Alltag antisemitische Anfeindungen erleben mussten. Das war noch vor der Islamischen Revolution, als es noch eine gute Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern und den Menschen gab. Ich wurde in Israel geboren und bin in Ramla aufgewachsen, einer Provinzstadt, eine Dreiviertelstunde von Tel Aviv entfernt. Lange Zeit habe ich mich gefragt, was ich denn bin – israelisch, persisch, beides?

Auf Ihren ersten beiden Alben haben Sie auf Hebräisch gesungen, "Naz" aus dem Jahr 2018 war das erste auf Farsi. Gab es für diese Entwicklung einen bestimmten Wendepunkt?

Zu Beginn meiner Karriere als Schauspielerin, Sängerin und Tänzerin war mein persisches Erbe kein Thema. Vor einigen Jahren erhielt ich dann eine Einladung zu einem Filmfestival in Los Angeles. Wegen der vielen Iraner wird L. A. ja als "Teherangeles" bezeichnet. Zu Recht, und dort verstand ich, wie groß meine tatsächliche Familie ist. Das war verrückt. Da ich einige Jahre regelmäßig in L. A. gearbeitet habe, konnte ich dort die iranisch geprägten Viertel, die Musik, das Essen erkunden und Iraner kennenlernen – und damit auch mein eigenes kulturelles Erbe.

Mit welchem Bild vom Iran kamen Sie in "Teherangeles" an?

Mein ganzes Leben hatte ich zwar auch wunderschöne Geschichten über den Iran gehört. Vor allem aber hatte ich das Land als einen hässlichen Ort wahrgenommen, als Ort des extremen Islam, wo Leute sich anschreien, über Bomben reden und uns Israelis verteufeln. Als Ort, wo Frauen ihre Gesichter verdecken müssen, ein freudloses Leben führen und zum Schweigen verdammt sind. Das ähnelt durchaus auch der Geschichte meiner Großmütter, die mit 13 und 15 Jahren verheiratet worden sind. Immer, wenn ich in L. A. gelandet bin, verspürte ich den Drang, mich selbst besser kennenzulernen. Und jedes Mal kehrte ich mit Koffern voller iranischer Platten und CDs mit Popmusik aus der Zeit von vor 1979 nach Israel zurück.

Hatten Sie eine Lieblingsplatte damals?

In die Musik von Googoosh habe ich mich sofort verliebt. Da ist etwas Faszinierendes in ihrer Stimme. Sie ist frech, nicht höflich, entschuldigt sich nicht, eine Frau zu sein. Als Sängerin und Schauspielerin hat sie ihre Sexualität, ihre Persönlichkeit offen gelebt und immer so gesungen, wie sie das wollte, und sich auch in ihrem Modestil nicht angepasst. Auch nach der Islamischen Revolution hat sie ihr Leben, ihre Seele, ihre Persönlichkeit und ihre Karriere trotz der Repression nicht aufgegeben – und ab ­einem bestimmten Punkt einfach außerhalb des Iran weitergemacht. Für mich steht Googoosh für die Freiheit der iranischen Frauen. Das war neu für mich und hat mich als Frau stark inspiriert. Ich merkte, dass auch ich, zu Hause in Israel, stumm gemacht wurde. Auch von mir wurde wie selbstverständlich erwartet, ein 'gutes Mädchen' zu sein, früh zu heiraten und Kinder zu bekommen. Um mehr bei mir selbst zu sein, habe ich mich scheiden lassen. Das war der erste Schritt. Irgendwann später in diesem Prozess wurde mir klar: Ich muss auf Farsi singen.

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Für Ihr neues Album "Zan" haben Sie mit iranischen Musikern zusammenarbeitet. Wie war das möglich?

Es ging nur, weil die Zusammenarbeit geheim über das Internet erfolgte. Die beteiligten Musiker und Komponisten waren sehr, sehr mutig. Von israelischer Seite ist eine Zusammenarbeit gar kein Problem, aber im Iran mit dem Erzfeind Israel zusammenzuarbeiten, das ist wirklich gefährlich. Deshalb habe ich mich entschieden, die iranischen Künstler im Booklet nicht namentlich, sondern nur anonymisiert zu nennen. Immer wieder hing die Produktion am seidenen Faden, weil seitens der ­Iraner jederzeit etwas schiefgehen konnte. Honorare musste ich über Umwege – etwa via Türkei oder Deutschland – überweisen. Immer mal wieder mussten wir neue, sicherere Wege der Kommunikation finden, damit nichts auffliegt. Der gesamte Prozess war für mich emotional sehr aufreibend.

"Zan" bedeutet übersetzt "Frauen". Welche Botschaft haben Ihre Lieder?

Sie richten sich speziell an iranische Frauen. Gleich der erste Song, "Zan Bezan" (Von Frau zu Frau), aber auch "Nafaz" (Atem) und "Hala" (Jetzt) thematisieren das ziemlich direkt. Es geht ­darum, für die eigene Freiheit zu kämpfen, Widerstände zu ­brechen, zu singen, zu tanzen und zu jubeln.

Haben Sie auch eine Botschaft an die Frauen in Israel, wo es zwar keinen staatlich verordneten Kopftuchzwang, aber ebenfalls viel männlichen Chauvinismus gibt?

Mir selbst ist es schon passiert, dass in Jerusalem Konzerte abgesagt wurden, weil sich streng Religiöse beschwert haben. Es passiert also auch in Israel, auch wenn es natürlich eine andere Qualität hat als im Iran. Letztlich ist meine Botschaft an alle Frauen und Mädchen gerichtet, auch an meine Töchter. Meinen eigenen, konservativen Vater musste ich erst überzeugen, dass "Zan" einfach Ausdruck meiner eigenen Persönlichkeit und ein wichtiger Teil meines künstlerischen Werdegangs ist. Zunächst meinte er, ich könne doch nicht einfach die iranischen Frauen zu einer Revolution gegen das dort geltende Gesetz auffordern.

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Ihr neues Musikvideo zu "Bia Bia" (Komm, Komm) erinnert ästhetisch stark an Googoosh und andere Sängerinnen aus dem Iran vor der Islamischen Revolution. Ist das Zufall?

Nein. Für das Video habe ich die Geschichte einer meiner Großmütter aufgegriffen. Sie ist heute 81 Jahre alt und hat eine wunderschöne Stimme. Damals im Iran wollte sie ebenfalls Sängerin werden, und bei jeder Bar Mizwa, Hochzeit oder Party hat sie versucht, sich ein Mikrofon zu schnappen. Doch auch sie wurde zum Schweigen gebracht. Stattdessen ging sie heimlich zu Underground-Konzerten, wohin sie später auch meine Mutter mitgenommen hat. In "Bia Bia" – das Lied ist ein Ruf an meine Liebe, mit mir zusammen zu singen und zu tanzen – habe ich diese Geschichte aufgegriffen und einen solchen Club nachbauen lassen. Damit habe ich den Traum meiner Großmutter nachgespielt, auf der Bühne zu stehen und zu performen.

Till Schmidt ist freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder.

ÜBER DIE KÜNSTLERIN

Liraz Charhi

Jahrgang 1978, israelische Sängerin, Schauspielerin und Tänzerin. Sie wuchs als Kind iranisch-jüdischer ­Einwanderer in der ­israelischen Stadt Ramla auf. Nach zwei hebräischsprachigen Alben veröffentlichte sie mit "Naz" (2018) ihr ­erstes Album auf Farsi. 2020 erschien "Zan", auf dem Liraz Charhi ebenfalls auf Farsi singt. Als Schauspielerin wurde sie bekannt u. a. durch die Spielfilme "Turn Left at the End of the World" (2004), "Fair Game" (2010) und "Saiten des Lebens" (2012). Zuletzt war sie als Mossad-Agentin Yael Kadosh in dem mehrteiligen Spionage-Thriller "Teheran" zu sehen (Apple TV+).

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