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Steuerrecht behindert politische Willensbildung
BERLIN, 06.7.2015 - Eine Allianz aus mehr als 40 Vereinen und Stiftungen fordert eine Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts. Die geltenden Regeln behindern die politische Willensbildung in der Bundesrepublik, da auf ihrer Grundlage die Finanzämter immer wieder die Gemeinnützigkeit von Organisationen in Frage stellen. Nur Spenden an gemeinnützige Organisationen können von der Steuer abgesetzt werden. Zudem sind gemeinnützige Vereine selbst steuerbefreit und können Zuschüsse erhalten. Die nachträgliche Aberkennung ist oft existenzbedrohend.
Die Allianz "Rechtssicherheit für politische Willensbildung" stellt fest, dass der gesellschaftliche und politische Konsens darüber, was gemeinnützig ist, von den im Gesetz definierten Kriterien abweicht. Die Allianz fordert daher, dass die Politik die allgemein geteilte Definition von Gemeinnützigkeit klar und deutlich in die Abgabenordnung schreibt, so dass für gemeinnützige Organisationen und die Finanzämter Klarheit und Rechtssicherheit besteht.
Selmin Çalışkan, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, sagt: "Das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht ist völlig unzeitgemäß. Es muss endlich den Einsatz für Menschenrechte ebenso eindeutig als gemeinnützig anerkennen wie das Engagement für Frieden, soziale Gerechtigkeit oder den Klimaschutz. Vereine und Personen, die damit einen wertvollen Beitrag zur politischen Willensbildung in Deutschland leisten, müssen in ihrer Arbeit unterstützt werden und steuerliche Erleichterungen in Anspruch nehmen können." Sie fordert ein modernes Recht der Gemeinnützigkeit. "Es kann nicht sein, dass Vereine veraltete Gesetzesvorgaben erfüllen müssen, um als gemeinnützig zu gelten, und dann noch befürchten müssen, dass man ihnen die Gemeinnützigkeit nachträglich wieder aberkennt." Für diese Forderungen ist Amnesty Mitglied der Allianz.
"Ein gemeinnütziger Verein darf sich für Umweltschutz einsetzen und dazu auch politisch aktiv sein. Aber nur im Einzelfall, nicht zu allgemeinpolitisch und nicht auf kommunaler Ebene", kommentiert Jörg Rohwedder, Koordinator der Allianz "Rechtssicherheit für politische Willensbildung", die Rechtslage. "Der Aufruf zu einer Demonstration oder die Beteiligung an einem Bürgerbegehren führen dazu, dass das örtliche Finanzamt die Gemeinnützigkeit aberkennt." Noch schwieriger werde es, wenn das Anliegen des Vereins nicht im Gesetz genannt ist. "Während die Förderung des Umweltschutzes gesetzlich als gemeinnützig anerkannt ist, ist es zum Beispiel die Förderung der Menschenrechte oder die Arbeit gegen Diskriminierung aufgrund von Herkunft oder sexueller Identität nicht."
Die Allianz fordert daher, zusätzliche Zwecke in die Liste der Abgabenordnung aufzunehmen, sowie eine Klarstellung im Gesetz, dass gemeinnützige Organisationen selbstverständlich auch politisch aktiv sein können, um ihre gemeinnützigen Zwecke zu erreichen.
"Wenn sich Menschen in einem Verein wie Attac zusammen tun und sich zum Wohl der Allgemeinheit in politische Debatten einmischen, wird dem Verein die Gemeinnützigkeit entzogen und so die Beteiligung der Menschen ausgebremst", kritisiert Stephanie Handtmann, Geschäftsführerin von Attac Deutschland. "Aber politische Willensbildung darf in einer modernen Gesellschaft nicht allein den Parteien und Lobbyverbänden überlassen werden." Das globalisierungskritischen Netzwerk befindet sich seit mehr als einem Jahr im Widerspruchsverfahren gegen die Aberkennung seiner Gemeinnützigkeit.
"Attac ist primär eine Bildungsbewegung, wir verfolgen den gemeinnützigen Zweck Bildung. Dass aus der Beschäftigung mit Themen auch Forderungen entstehen dürfen, ist allgemein anerkannt - doch das Finanzamt dreht uns einen Strick daraus", sagt Stephanie Handtmann. "Um die politische Willensbildung durch die Zivilgesellschaft zu verteidigen, haben wir uns der Allianz angeschlossen." Attac sei nicht der einzige Verein, der solche Probleme habe. "Die Finanzverwaltung interpretiert Aktivitäten zu politischen Themen extrem restriktiv."
Einen globalen Trend, zivilgesellschaftliche Handlungsräume einzuschränken, beobachtet Julia Duchrow, Referatsleiterin Menschenrechte und Frieden bei Brot für die Welt. "Wir erleben bei Partnerorganisationen weltweit, dass ihre Arbeit von administrativen und gesetzlichen Regelungen stark eingeschränkt wird. Und wir stellen gleichzeitig fest, dass von uns im Inland geförderte Organisationen in ihrer Gemeinnützigkeit gefährdet sind und so ihren Förderanspruch verlieren könnten." Die Verweigerung der Gemeinnützigkeit kann die Vereine existenziell gefährden und stellt damit einen Eingriff in die Vereinigungsfreiheit dar. "Wir erwarten von Deutschland besonders vorbildliche Regeln für die Stärkung der Zivilgesellschaft, um so weltweit ein Signal zu setzen."
Die Allianz "Rechtssicherheit für politische Willensbildung" wird mit ihren Forderungen auf Politiker aller Parteien zugehen. Das Bündnis ist offen für weitere Mitglieder, die tatsächlich oder potenziell von solchen Gemeinnützigkeits-Problemen betroffen sind.
Weitere Informationen: www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de