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10 Jahre Haft für Bloggerin
© Amnesty International
Nguyễn Ngọc Như Quỳnh, die als Bloggerin unter dem Namen Mẹ Nấm (Mutter Pilz) bekannt ist, wurde am 29. Juni 2017 wegen "Propaganda" gegen den Staat nach Paragraf 88 des vietnamesischen Strafgesetzbuchs zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Sie wird derzeit ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten, weshalb ihre Rechtsbeistände die Berufung nicht abschließend vorbereiten können.
Appell an
Ministerpräsident
Nguyễn Xuân Phúc
Prime Minister’s Office
Hà Nội
VIETNAM
Sende eine Kopie an
Minister für Auswärtige Angelegenheiten und Stellvertretender Premierminister
Phạm Bình Minh
Ministry of Foreign Affairs
1 Ton That Dam Street, Ba Dinh district
Hà Nội
VIETNAM
Fax: (00 844) 3823 1872
Botschaft der Sozialistischen Republik Vietnam
S. E. Herrn Xuan Hung Doan
Elsenstraße 3
12435 Berlin
Fax: 030-5363 0200
E-Mail: sqvnberlin@t-online.de
Amnesty fordert:
- Lassen Sie Nguyễn Ngọc Như Quỳnh bitte sofort und bedingungslos frei, da sie eine gewaltlose politische Gefangene ist, die allein wegen friedlicher Aktivitäten im Einsatz für die Menschenrechte inhaftiert ist.
- Geben Sie bitte unverzüglich den Aufenthaltsort von Nguyễn Ngọc Như Quỳnh bekannt und stellen Sie sicher, dass sie Zugang zu einem Rechtsbeistand, ihrer Familie und angemessener medizinischer Versorgung hat.
- Stellen Sie bitte außerdem sicher, dass Nguyễn Ngọc Như Quỳnh bis zu ihrer Freilassung in Übereinstimmung mit den UN-Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Gefangenen behandelt wird und weder Folter noch anderweitiger Misshandlung ausgesetzt ist.
Sachlage
Nguyễn Ngọc Như Quỳnh, die als Bloggerin unter dem Namen Mẹ Nấm (Mutter Pilz) bekannt ist, wurde am 29. Juni 2017 wegen "Propaganda" gegen den Staat nach Paragraf 88 des vietnamesischen Strafgesetzbuchs zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Sie wird derzeit ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten, weshalb ihre Rechtsbeistände die Berufung nicht abschließend vorbereiten können.
Nguyễn Ngọc Như Quỳnh war seit ihrer Festnahme am 10. Oktober 2016 in Untersuchungshaft gehalten worden und hatte bis zum 20. Juni 2017, also neun Tage vor ihrem Gerichtsprozess vor dem Volksgericht der Provinz Khánh Hòa, keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand. Bei der Verhandlung schließlich gab man Nguyễn Ngọc Như Quỳnh und ihrem Rechtsbeistand nicht die Gelegenheit, die Verteidigung gegen die erhobenen Vorwürfe angemessen vorzubringen. Berichten zufolge wurden sie zudem sehr häufig vom Richter unterbrochen, wenn sie etwas äußern wollten.
Einer Übersetzung der Anklageschrift zufolge wurde Nguyễn Ngọc Như Quỳnh wegen ihrer Aktivitäten auf Facebook und in anderen sozialen Netzwerken angeklagt. Diese beinhalteten das Schreiben, Hochladen und Teilen von Artikeln und Videomaterialien, welche Kritik an der kommunistischen Regierungspartei Vietnams und am Staat äußerten. Ein weiterer Grund für die Anklage waren Produktion, Bearbeitung und Teilen eines Berichts mit dem Titel "Die Polizei muss die Tötung von Zivilisten stoppen", in dem 31 Personen namentlich genannt werden, die dem Bericht zufolge in Polizeigewahrsam gestorben sind. Auch Interviews mit ausländischen Medien, welche die Situation in Vietnam "verzerrten", wurden als Grundlage für die Anklage herangezogen sowie der Besitz einer Gedichtsammlung und einer CD-Aufnahme, die als kritisch gegenüber dem Staat und der kommunistischen Partei Vietnams eingestuft wurden. Die Anklagepunkte verletzen das Recht auf Meinungsfreiheit gemäß internationaler Menschenrechtsnormen, an welche Vietnam gebunden ist. Amnesty International betrachtet Nguyễn Ngọc Như Quỳnh als eine gewaltlose politische Gefangene, die lediglich aufgrund ihrer friedlichen Aktivitäten für den Schutz der Menschenrechte inhaftiert ist.
Mit Ausnahme eines fünfminütigen Besuchs am Tag vor der Gerichtsverhandlung haben die vietnamesischen Behörden jeden Kontakt von Nguyễn Ngọc Như Quỳnh zu ihrer Familie unterbunden. Die Angehörigen wissen auch nicht, wo sie inhaftiert war. Kleidung und Nahrungsmittel, welche die Mutter von Nguyễn Ngọc Như Quỳnh im Laufe ihrer Untersuchungshaft für sie abgegeben hatte, wurden nicht weitergegeben; genauso wenig wie eine Bibel und ein Gesangbuch, worum Nguyễn Ngọc Như Quỳnh explizit schriftlich gebeten hatte. Man verweigerte der Mutter außerdem die Anwesenheit bei der Gerichtsverhandlung und gestattete ihr die Verfolgung des Prozesses nur anhand einer Live-Übertragung in einem anderen Raum. Seit der Festnahme von Nguyễn Ngọc Như Quỳnh hat sich ihre Mutter mit der Unterstützung von Freund_innen um die beiden Kinder gekümmert. Die Familie wird von den Behörden ständig überwacht. Berichten zufolge sind die beiden Kinder durch die Abwesenheit ihrer Mutter niedergeschlagen und zunehmend in sich gekehrt.
Hintergrundinformation
Nguyễn Ngọc Như Quỳnh ist Mitbegründerin des Unabhängigen Vietnamesischen Bloggernetzwerks, welches im Dezember 2013 gegründet wurde. Sie ist alleinerziehende Mutter zweier Kinder (vier und zehn Jahre alt) und wurde wegen ihrer friedlichen Aktivitäten mehrmals schikaniert, festgenommen und verhört. Es ist ihr außerdem nicht gestattet, ins Ausland zu reisen. Sie setzt sich seit mehr als zehn Jahren für Menschenrechte und gegen Ungerechtigkeit ein und ist eine beliebte und bekannte Bloggerin. Zudem ist sie bekannt für ihren Einsatz für politische Transparenz, Umweltschutz, die Rechenschaftspflicht des Staates in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen und für die Förderung der Rechte, die in der Allgemeinen Menschenrechtserklärung verbrieft sind. Im Jahr 2015 wählte die Nichtregierungsorganisation Civil Rights Defenders Nguyễn Ngọc Như Quỳnh zur Bürgerrechtsverteidiger_in des Jahres. 2017 wurde sie als eine von 13 Preisträgerinnen in Abwesenheit mit einer internationalen Auszeichnung des US-Außenministeriums für mutige Frauen geehrt.
Vietnam ist Vertragsstaat des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, mit dem unter anderem die Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit geschützt werden. Dennoch werden diese Rechte in Vietnam sowohl per Gesetz als auch in der Praxis stark eingeschränkt. Vage formulierte Paragrafen in dem Teil des vietnamesischen Strafgesetzbuchs von 1999, der sich mit Straftaten gegen die nationale Sicherheit befasst, werden häufig genutzt, um das friedliche Äußern abweichender Meinungen oder friedliche Aktivitäten unter Strafe zu stellen. Besonders betroffen davon sind Menschen, die friedlich politische Veränderungen fordern, das Vorgehen der Regierung kritisieren oder sich für Menschenrechte einsetzen. Paragraf 88, welcher Aktivitäten unter Strafe stellt, die den Sturz der Regierung zum Ziel haben, kommt oft zum Einsatz, um Dissident_innen wegen ihrer friedlichen Aktivitäten festzunehmen, vor Gericht zu stellen und zu inhaftieren. Ins Visier nehmen die Behörden dabei häufig Blogger_innen, Aktivist_innen, die sich für Arbeits- oder Landrechte einsetzen, politisch engagierte Personen, Anhänger_innen verschiedener Religionen, Menschenrechtsverteidiger_innen, Aktivist_innen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen, und sogar Verfasser_innen von Liedertexten.
Diplomatische Vertreter_innen in Vietnam, darunter solche aus der EU und den USA, haben in öffentlichen Stellungnahmen die Festnahme von Nguyễn Ngọc Như Quỳnh verurteilt und ihre unmittelbare Freilassung gefordert. Die Inhaftierung war zuvor auch vom UN-Hochkommissar für Menschenrechte und von der UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen kritisiert worden.
Die Haftbedingungen in vietnamesischen Gefängnissen sind oftmals sehr schlecht. Nahrung und Gesundheitsversorgung entsprechen häufig weder den Richtlinien der UN-Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln) noch anderen internationalen Standards. Gewaltlose politische Gefangene werden immer wieder Opfer von Folter und Misshandlungen und oftmals als Bestrafungsmaßnahme über lange Zeiträume in Einzelhaft gehalten, was gemäß den Nelson-Mandela-Regeln ebenfalls eine Form der Folter darstellt. Des Weiteren werden sie von anderen Gefangenen verprügelt, ohne dass die Gefängniswärter_innen eingreifen. Eine Form der Misshandlung, von der Nguyễn Ngọc Như Quỳnh ihrer rechtlichen Vertretung berichtete, bestand darin, dass man ihr während der Untersuchungshaft Unterwäsche und Damenbinden verweigerte. Manche Häftlinge werden regelmäßig in andere Haftanstalten verlegt, ohne dass man ihre Angehörigen darüber informiert. Immer wieder treten gewaltlose politische Gefangene, darunter Nguyễn Ngọc Như Quỳnh, aus Protest gegen die Misshandlungen und schlechten Haftbedingungen in den Hungerstreik. Das UN-Übereinkommen gegen Folter wurde von Vietnam ratifiziert und ist dort im Februar 2015 in Kraft getreten. Die bisher ergriffenen Schritte zur Umsetzung der darin enthaltenen Richtlinien sind jedoch unzureichend. Weitere Informationen finden Sie in dem im Juli 2016 veröffentlichten englischsprachigen Bericht Prisons Within Prisons: Torture and Ill-treatment of Prisoners of Conscience in Viet Nam unter https://www.amnesty.org/en/documents/asa41/4187/2016/en/.