Tunesien: Harte Urteile in Massenprozess

Days
:
Std
:
Min
Das Bild zeigt eine Collage mit Porträtfotos von acht Personen

Wurden angeklagt und teilweise inhaftiert, weil sie die tunesische Regierung kritisierten (v.l.n.r.): Abdelhamid Jelassi, Ridha Belhaj, Lazhar Akremi, Khayyam Turki, Jaouhar Ben Mbarek, Issam Chebbi, Ghazi Chaouachi und Chaima Issa.

Am 19. April 2025 verurteilte das erstinstanzliche Gericht in Tunis 37 Personen nach einem Scheinprozess zu langen Haftstrafen zwischen vier und 74 Jahren. Unter den Verurteilten befinden sich bekannte Oppositionelle, Rechtsanwält*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Aktivist*innen. Einige sind bereits seit ihrer Festnahme vor zwei Jahren in Haft, andere befinden sich in Freiheit, einige von ihnen im Exil. Die Angeklagten wurden in unterschiedlichem Ausmaß der "Verschwörung gegen die Staatssicherheit" sowie der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" für schuldig befunden. Das Verfahren verstieß gegen internationale Standards für faire Gerichtsverfahren und gegen das Rechtsstaatsprinzip. 

Setzt euch für Menschenrechtler*innen in Tunesien ein!

Bereits bei "Mein Amnesty" registriert? Dann bitte hier anmelden.
Meine Profildaten (Vorname, erster Buchstabe des Nachnamens) dürfen bei Aktionsteilnahme angezeigt werden.

Ja, ich will mich weiter für die Menschenrechte einsetzen und stimme zu, dass meine Daten (Vorname, Nachname, Mailadresse) bei Aktionsteilnahme an den Adressaten übermittelt und diesem angezeigt werden. Ich bin mir bewusst, dass in Drittstaaten oft kein mit dem europäischen Datenschutz vergleichbarer Schutz meiner personenbezogenen Daten gegeben ist und dass mit der Offenlegung ggf. Rückschlüsse auf meine politische Meinung möglich sind. Meine Einwilligung kann ich jederzeit widerrufen, jedoch nur mit Wirkung für die Zukunft. Weitere Hinweise in unseren Datenschutzhinweisen.

Hinweis: Als Teilnehmer*in nutzen wir deine Kontaktangaben, um dich über künftige Aktionen, unsere Petitionen und Menschenrechts-Aktivitäten per E-Mail auf dem Laufenden zu halten. Du kannst dem Erhalt dieser Amnesty-Informations-E-Mails jederzeit widersprechen, z.B. per Klick auf den Abmeldelink am unteren Ende oder per E-Mail an info(at)amnesty.de. Weitere Informationen findest du in unseren Datenschutzhinweisen.

Dein Appell

In welcher Sprache möchtet du den Brief verschicken? Bitte auswählen

Exzellenz,

am 19. April 2025 verurteilte das erstinstanzliche Gericht in Tunis 37 Personen nach einem Scheinprozess zu langen Haftstrafen zwischen vier und 74 Jahren. Unter den Verurteilten befinden sich bekannte Oppositionelle, Rechtsanwält*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Aktivist*innen. Einige sind bereits seit ihrer Festnahme vor zwei Jahren in Haft, andere befinden sich in Freiheit, einige von ihnen im Exil. Die Angeklagten wurden in unterschiedlichem Ausmaß der "Verschwörung gegen die Staatssicherheit" sowie der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" für schuldig befunden. Das Verfahren verstieß gegen internationale Standards für faire Gerichtsverfahren und gegen das Rechtsstaatsprinzip. 

Ich fordere Sie dringend auf, die ungerechtfertigten Urteile und Strafen aller Angeklagten aufzuheben und diejenigen, die ausschließlich wegen der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte inhaftiert sind, unverzüglich und bedingungslos freizulassen. 

Außerdem fordere ich Sie auf, die politisch motivierte Verfolgung von Kritiker*innen, politischen Gegner*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Aktivist*innen sofort einzustellen.

Mit freundlichen Grüßen

Your Excellency,

I write to express my grave concern following the unjust sentencing of 37 individuals to harsh prison sentences of up to 74 years following a sham trial on bogus charges of "conspiracy" in relation to their legitimate political activities or affiliations. 

Their trial was marred by egregious fair trial violations, including the physical absence of defendants in the courtroom. On 18 April during the third and last hearing session, observers from civil society, embassies, national civil society, international NGOs and independent media were barred from attending, with only one family member per defendant allowed entry. Despite the lawyers’ objections against the procedural violations and absence of the defendants, the judge proceeded to open the trial by reading the indictment in the absence of the detainees. The actual hearing lasted only a few minutes, with no opportunity for the defendants to be heard, no cross-examinations and no statements from the lawyers. Among those handed down harsh sentences were businessman Kamel Ltaief (74 years), and opposition figures Noureddine Bhiri (43 years), Khayyam Turki (38 years), Jaouhar Ben Mbarek, Issam Chebbi, Ghazi Chaouachi and Chaima Issa (all 18 years), Abdelhamid Jelassi, Sahbi Atig, Said Ferjani (all 13 years) in addition to human rights defenders such as Bochra Bel Haj Hmida (43 years) and Ayachi Hammami (8 years). 

I therefore urge you to quash the unjust convictions and sentences of all defendants and to immediately and unconditionally release those who are detained solely for the peaceful exercise of their human rights. Finally, I urge you to cease the politically motivated prosecutions of critics, political opponents, human rights defenders and activists.

Yours sincerely,

Du möchtest dein Schreiben lieber per Brief, Fax oder mit deinem eigenen E-Mail-Programm versenden?

Hier kannst du deinen Brief ausdrucken, um ihn per Post oder Fax an die Behörden zu senden, oder ihn direkt über dein eigenes E-Mail-Programm verschicken.

Du hast Probleme beim Ausdrucken des Briefes? Dann klicke bitte hier.

Achtung: Bitte prüfe bei der Deutschen Post ob die Briefzustellung in das Zielland ungehindert möglich ist.

Bitte abschicken bis: 27.11.2025

Appell an

Präsident
Kaïs Saïed
Route de la Goulette
Site archéologique de Carthage
TUNESIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Tunesischen Republik
S.E. Herrn Wacef Chiha
Lindenallee 16
14050 Berlin
Fax: 030-3082 06 83
E-Mail: at.berlin@tunesien.tn

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie dringend auf, die ungerechtfertigten Urteile und Strafen aller Angeklagten aufzuheben und diejenigen, die ausschließlich wegen der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte inhaftiert sind, unverzüglich und bedingungslos freizulassen.
  • Außerdem fordere ich Sie auf, die politisch motivierte Verfolgung von Kritiker*innen, politischen Gegner*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Aktivist*innen sofort einzustellen.

Sachlage

Von den 37 verurteilten Personen befinden sich sechs Oppositionspolitiker – Jaouhar Ben Mbarek, Khayyam Turki, Issam Chebbi, Ghazi Chaouachi, Ridha Belhaj und Abdelhamid Jelassi – sowie der Geschäftsmann Kamel Ltaief seit ihrer Festnahme im Februar 2023 in willkürlicher Haft. Außerdem wurden mehrere Personen verurteilt, die bereits zuvor aus politischen Gründen inhaftiert waren. Dazu gehören die führenden Oppositionspolitiker Noureddine Bhiri, Sahbi Atig und Said Ferjani von der ehemaligen Regierungspartei Nahdha. Das Verfahren richtete sich auch gegen die prominenten Menschenrechtsverteidiger Ayachi Hammami und Bochra Bel Haj Hmida sowie gegen weitere Geschäftsleute und Betreiber*innen von privaten Medienhäusern. Auch sie wurden verurteilt, sind jedoch weiterhin frei oder im Exil.

Der Prozess war durch eklatante Verstöße gegen ein faires Verfahren geprägt. Die Angeklagten waren nicht im Gerichtssaal, der Prozess wurde per Fernverfahren geführt. Während der dritten und letzten Anhörung am 18. April wurde auch nationalen und internationalen Prozessbeobachter*innen aus der Zivilgesellschaft, von den Botschaften, Nichtregierungsorganisationen und unabhängigen Medien die Teilnahme verwehrt. Nur ein Familienmitglied pro Angeklagten wurde zugelassen. Trotz der Einwände der Rechtsbeistände gegen die Verfahrensverstöße – wie der Abwesenheit der Angeklagten – eröffnete der Richter die Verhandlung mit der Verlesung der Anklageschrift. Die Anhörung dauerte nur wenige Minuten. Die Angeklagten kamen nicht zu Wort, es gab keine Kreuzverhöre oder Stellungnahmen der Rechtsbeistände. Zu den Verurteilten gehören der Geschäftsmann Kamel Ltaief (74 Jahre), die Oppositionellen Noureddine Bhiri (43 Jahre), Khayyam Turki (38 Jahre), Jaouhar Ben Mbarek, Issam Chebbi, Ghazi Chaouachi und Chaima Issa (alle 18 Jahre), Abdelhamid Jelassi, Sahbi Atig, Said Ferjani (alle 13 Jahre) sowie die Menschenrechtsverteidiger Bochra Bel Haj Hmida (43 Jahre) und Ayachi Hammami (8 Jahre).

Hintergrundinformation

Hintergrund

Nachdem im Februar 2023 Ermittlungen eingeleitet worden waren, wurde am 4. März 2025 der Prozess im "Verschwörungsfall" gegen mindestens 40 Personen eröffnet, darunter Oppositionelle, Geschäftsleute, Rechtsbeistände und Menschenrechtsverteidiger*innen aus dem gesamten politischen Spektrum. Gegen alle Angeklagten wurde aufgrund konstruierter Verschwörungsanklagen nach zehn Bestimmungen des tunesischen Strafgesetzbuches ermittelt, darunter Paragraf 72, der die Todesstrafe für den Versuch vorsieht, "die Staatsform zu verändern". Außerdem wurden sie wegen angeblichen Verstößen gegen 17 Paragrafen des Antiterrorgesetzes von 2015 angeklagt, darunter Paragraf 32, der eine Freiheitsstrafe von bis zu 20 Jahren für die "Bildung einer terroristischen Vereinigung" vorsieht. Die Anklagen basieren ausschließlich auf der Organisation von oder Teilnahme der Angeklagten an Treffen der Opposition, auch mit ausländischen Staatsangehörigen – was keine Straftat ist.

Die Behörden hielten acht der Angeklagten seit ihrer Festnahme im Februar 2023 willkürlich in Untersuchungshaft fest. Der Richter und das Berufungsgericht in Tunis lehnten die Anträge der Rechtsbeistände auf Freilassung aller acht Verdächtigen aus der Untersuchungshaft zunächst ab. Im Juli 2023 ließ das Gericht die bekannte Oppositionspolitikerin Chaima Issa und den Regierungskritiker Lazhar Akremi jedoch nach fast fünf Monaten in willkürlicher Haft frei, mit der Auflage, nicht ins Ausland zu reisen oder an "öffentlichen Orten aufzutreten". Für die verbliebenen sechs Angeklagten verlängerte das Gericht die Untersuchungshaft mit der Begründung, der "ordnungsgemäße Ablauf der Ermittlungen müsse sichergestellt werden". Damit überschritten sie die in der Strafprozessordnung festgelegte gesetzliche Höchstdauer von Untersuchungshaft von 14 Monaten. Zu den weiterhin Inhaftierten gehören der Politiker Khayam Turki, der am 11. Februar 2023 festgenommen wurde, der Geschäftsmann Kamel Ltaief, der am 11. Februar 2023 festgenommen wurde, der Dissident und Politiker Abdelhamid Jelassi, der am 12. Februar 2023 festgenommen wurde, der oppositionelle Aktivist Issam Chebbi, der am 22. Februar 2023 in Gewahrsam genommen wurde; außerdem der oppositionelle Aktivist Jaouhar Ben Mbarek, der am 24. Februar 2023 festgenommen wurde, und schließlich die Rechtsanwälte Ghazi Chaouachi und Ridha Belhaj, die am 25. Februar 2023 in Gewahrsam kamen.

Der Prozess begann am 4. März 2025 in Abwesenheit der Angeklagten. Nach der ersten Anhörung beschloss der Richter, die Verhandlung auf den 11. April und später auf den 18. April zu vertagen, ohne auf die Anträge der Verteidigung einzugehen. Diese sahen u. a. die vorläufige Freilassung der Inhaftierten sowie ihre Anwesenheit vor Gericht vor. Das Gericht hatte der Anwaltskammer im Voraus mitgeteilt, dass alle Terrorismusprozesse im März und April wegen einer "realen Gefahr" per Fernverfahren durchgeführt würden. Diese Maßnahme wurde sowohl von den Inhaftierten als auch von ihren Rechtsbeiständen angefochten, die das Recht auf persönliches Erscheinen geltend machten. Die Inhaftierten weigerten sich, an den Verhandlungen teilzunehmen, so lange sie nicht körperlich im Gerichtssaal anwesend waren.

Das Verfahren war außerdem durch mangelnde Transparenz geprägt. Die Beweise wurden nicht öffentlich präsentiert, Zeug*innen wurden keinem Kreuzverhör unterzogen, und mehreren unabhängigen Journalist*innen, Vertreter*innen der Zivilgesellschaft und Mitgliedern der diplomatischen Gemeinschaft wurde der Zugang zum Gerichtssaal verweigert. Die Angeklagten durften nicht persönlich anwesend sein, durften sich nicht äußern und ihre Rechtsbeistände hatten keine Gelegenheit, ihre Argumente vorzubringen, bevor das Gericht seine Urteile verkündete.

Am 24. April 2025 bezeichnete der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, das Urteil als Rückschlag für die Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit. Schon im Februar 2023 zeigte sich Volker Türk besorgt über die jüngste Festnahmewelle gegen zivilgesellschaftlich engagierte Personen und vermeintliche Regierungsgegner*innen sowie über die anhaltende Aushöhlung der Justiz durch die tunesischen Behörden. Ein*e Sprecher*in des Hochkommissars sprach ausdrücklich die Strafverfolgung von "vermeintlichen politischen Gegner*innen" auf der Grundlage von "Verschwörung gegen die Staatssicherheit" an. Der UN-Hochkommissar forderte die Behörden auf, "das Rechtsstaatsprinzip und die internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren in allen Gerichtsverfahren zu respektieren und umgehend alle willkürlich Inhaftierten freizulassen, auch diejenigen, die sich wegen der Wahrnehmung ihrer Rechte auf freie Meinungsäußerung in Haft befinden". Am 22. Februar 2023 erklärte Präsident Saïed alle, die "es wagen, sich auf die Seite krimineller Netzwerke zu stellen", zu "Mitschuldigen". Diese Aussage sowie die Tatsache, dass der Präsident im Jahr 2022 insgesamt 57 Richter*innen willkürlich entlassen hatte, hat in der Justiz zu einem zunehmend eingeschüchterten Klima geführt. 

Am 8. Oktober 2024 kam die Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen für willkürliche Inhaftierungen in einer Erklärung zu dem Schluss, dass "die Verletzungen der Rechte der acht Personen auf ein ordnungsgemäßes Verfahren und einen fairen Prozess so schwerwiegend sind, dass ihre Inhaftierung dadurch willkürlich ist". Sie forderte ihre sofortige Freilassung.