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Iran: Wissenschaftler darf nicht sterben!
Der schwedisch-iranische Arzt Dr. Ahmadreza Djalali wurde im Oktober 2017 im Iran zum Tode verurteilt. Diese Archivaufnahme zeigt ihn mit seiner Familie.
© private
Dr. Ahmadreza Djalali ist nach wie vor in Gefahr, hingerichtet zu werden. Der iranisch-schwedische Wissenschaftler wird willkürlich im Teheraner Evin-Gefängnis festgehalten und legte unter Folter ein "Geständnis" ab. Es gibt immer mehr Beweise dafür, dass die iranischen Behörden ihn als Geisel halten und seine Hinrichtung deshalb androhen, um Belgien und Schweden dazu zu bringen, zwei inhaftierte ehemalige iranische Beamte zu überstellen, und um andere Staaten davon abzuhalten, iranische Staatsbedienstete strafrechtlich zu verfolgen. Dr. Ahmadreza Djalali darf nicht hingerichtet werden und die Behörden müssen ihn umgehend freilassen.
Appell an
Oberste Justizautorität
Gholamhossein Mohseni Ejei
c/o Embassy of Iran to the European Union
Ave. Franklin Roosevelt No. 15
1050 Bruxelles
BELGIEN
Sende eine Kopie an
Botschaft der Islamischen Republik Iran
S.E. Herrn Mahmoud Farazandeh
Podbielskiallee 65-67
14195 Berlin
Fax: 030 – 83 222 91 33
E-Mail: info@iranbotschaft.de
Amnesty fordert:
- Bitte kommen Sie den Forderungen der UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen nach und stoppen Sie umgehend alle Pläne zur Hinrichtung von Dr. Ahmadreza Djalali. Lassen Sie ihn stattdessen sofort frei und gewähren Sie ihm ein einklagbares Recht auf Entschädigung.
- Bis zu seiner Freilassung muss er Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung erhalten und vor Folter und anderen Misshandlungen geschützt werden.
- Ordnen Sie umgehend unabhängige, wirksame und unparteiische Ermittlungen gegen alle Personen an, die verdächtigt werden, rechtswidrige Handlungen gegen ihn befohlen, begangen, unterstützt oder geduldet zu haben, u. a. Geiselnahme und Folter. Die Verantwortlichen müssen in fairen Gerichtsverfahren zur Rechenschaft gezogen werden.
- Bitte verfügen Sie ein offizielles Hinrichtungsmoratorium mit dem Ziel, die Todesstrafe abzuschaffen.
Sachlage
Dr. Ahmadreza Djalali, der willkürlich im Teheraner Evin-Gefängnis festgehalten wird, schwebt nach wie vor in Hinrichtungsgefahr. Iranische Medien hatten berichtet, dass das gegen ihn verhängte Todesurteil spätestens am 21. Mai 2022 vollstreckt würde. Dr. Djalali wurde zwar im Mai nicht hingerichtet, aber die Gefahr besteht nach wie vor. Es gibt immer mehr Beweise dafür, dass der iranisch-schwedische Wissenschaftler den iranischen Behörden als Geisel dient und sie seine Hinrichtung deshalb androhen, um Drittstaaten dazu zu bringen, inhaftierte ehemalige iranische Beamte an die iranischen Behörden zu übergeben, und um andere Staaten künftig davon abzuhalten, iranische Staatsbedienstete strafrechtlich zu verfolgen. Am 4. Mai 2022 verwiesen im Iran mehrere staatliche Medienkanäle auf die unmittelbar bevorstehende Hinrichtung von Ahmadreza Djalali und brachten sein Schicksal ausdrücklich mit einem Gerichtsverfahren in Schweden in Verbindung, in dem Hamid Nouri, ein ehemaliger iranischer Gefängnisbeamter, wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung an den iranischen Gefängnismassakern von 1988 vor Gericht steht. Das Urteil im Fall von Hamid Nouri wird für den 14. Juli erwartet.
Dr. Ahmadreza Djalali wurde im April 2016 in Teheran festgenommen und im Oktober 2017 in einem grob unfairen Verfahren vor der Abteilung 15 des Teheraner Revolutionsgerichts wegen "Verdorbenheit auf Erden" (ifsad fil-arz) zum Tode verurteilt. Das Gericht stützte sich dabei hauptsächlich auf "Geständnisse", die laut Ahmadreza Djalali durch Folter und andere Misshandlungen erzwungen worden waren, während er sich in Einzelhaft befand und keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand hatte. Amnesty International vertritt die Auffassung, dass der Straftatbestand der "Verdorbenheit auf Erden" die strafrechtlichen Erfordernisse der Rechtsklarheit und Genauigkeit nicht erfüllt und zudem dem Legalitätsprinzip und dem Grundsatz der Rechtssicherheit zuwiderläuft. Am 9. Dezember 2018 erfuhren die Rechtsbeistände von Ahmadreza Djalali, dass sein Todesurteil vor der Abteilung 1 des Obersten Gerichtshofs summarisch bestätigt worden war, ohne dass sie die Möglichkeit hatten, Verteidigungsanträge einzureichen. Am 23. Mai 2022 beantragte Ahmadreza Djalali eine gerichtliche Überprüfung vor dem Obersten Gerichtshof, während seine Rechtsbeistände sich am 21. Mai separat an die Oberste Justizautorität wandten, um gemäß Paragraf 477 der iranischen Strafprozessordnung eine Überprüfung des Falls zu erreichen. Beide Anträge sind noch anhängig. Dr. Ahmadreza Djalali hat mehrere Erkrankungen, für die er keine angemessene Behandlung bzw. Medikamente erhält. Am 21. Januar 2022 wurde er wegen seiner chronischen Rückenschmerzen operiert und bereits am nächsten Tag wieder zurück ins Gefängnis gebracht, wo er erneut auf dem Boden schlafen muss, was seine Rückenschmerzen weiter verschlimmert.
Amnesty International lehnt die Todesstrafe grundsätzlich und ohne Ausnahme ab, ungeachtet der Art und Umstände des Verbrechens, der Schuld oder Unschuld der Person oder der Hinrichtungsmethode. Die Organisation ist der Ansicht, dass die Todesstrafe das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschriebene Recht auf Leben verletzt und die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen darstellt.
Hintergrundinformation
Am 4. Mai 2022 veröffentlichten mehrere staatliche Medienkanäle im Iran gleichlautende Artikel zur bevorstehenden Hinrichtung von Ahmadreza Djalali, in denen es hieß, dass "die iranische Regierung mit der Vollstreckung des Urteils gegen Ahmadreza Djalali [...] die schwedische Regierung daran hindern wird, weitere Maßnahmen zu ergreifen wie die Inhaftierung von Hamid Nouri." Wenige Tage zuvor hatte in Schweden im dortigen Verfahren gegen den ehemaligen iranischen Gefängnisbeamten Hamid Nouri die Staatsanwaltschaft lebenslange Haft für den Angeklagten gefordert, dem die Beteiligung an den iranischen Gefängnismassakern von 1988 vorgeworfen wird. Das Verfahren gegen Hamid Nouri ist das erste Strafverfahren gegen einen iranischen Angeklagten im Ausland unter dem Weltrechtsprinzip. Es ist zudem das erste Mal nach Jahrzehnten der Straflosigkeit, dass die Gefängnismassaker von 1988 in einem Strafverfahren behandelt werden. Aus diesem Grund ist das Verfahren von großem öffentlichen Interesse. Es hat neue Details der Gefängnismassaker zutage gefördert, welche die iranischen Behörden jahrzehntelang zu vertuschen versuchten. Die von Amnesty International durchgeführten Recherchen zu der aktuellen Situation um Dr. Ahmadreza Djalali weisen darauf hin, dass die iranischen Behörden sein Schicksal seit mindestens Ende 2020 davon abhängig machen, ob sie eine "Abmachung" mit Schweden oder Belgien aushandeln können, um ihn gegen Hamid Nouri oder den ehemaligen iranischen Diplomaten Asadollah Asadi auszutauschen.
Asadollah Asadi wurde im Juni 2018 festgenommen und im Februar 2021 vor einem Strafgericht in Belgien zu 20 Jahren Haft verurteilt, weil er an einem gescheiterten Bombenattentat bei einer Kundgebung in Frankreich im Jahr 2018 beteiligt gewesen sein soll. Hamid Nouri wurde im November 2019 in Schweden unter dem Weltrechtsprinzip festgenommen und wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung an den iranischen Gefängnismassakern von 1988, bei denen Tausende politische Aktivist*innen dem Verschwindenlassen zum Opfer fielen und im Geheimen außergerichtlich hingerichtet wurden, vor Gericht gestellt.
Weitere Informationen finden Sie in diesem englischsprachigen Amnesty-Bericht: https://www.amnesty.org/en/documents/mde13/5623/2022/en/. Der Bericht verortet den Fall von Ahmadreza Djalali in einem Kontext, in dem iranische Staatsbedienstete und staatliche Medienkanäle durchgehend von der "Bedeutung" inhaftierter ausländischer Staatsangehöriger bzw. Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft sprechen und damit andeuten, dass deren Inhaftierung für politische, diplomatische oder wirtschaftliche Zwecke genutzt werden könnte.
Der in Schweden ansässige Arzt und Wissenschaftler Dr. Ahmadreza Djalali, der Gastprofessor an der Vrijen Universiteit Brüssel ist, hielt sich aus beruflichen Gründen im Iran auf, als er am 26. April 2016 festgenommen wurde. Er wurde sieben Monate lang in der dem Geheimdienstministerium unterstehenden Abteilung 209 des Evin-Gefängnisses festgehalten und verbrachte drei Monate in Einzelhaft und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand. Laut einem von ihm verfassten Brief vom August 2017 wurde er während dieser Zeit gefoltert und anderweitig misshandelt: Man habe ihn unter Druck gesetzt, zu "gestehen", ein Spion zu sein. Die Behörden drohten u. a. damit, ihn hinzurichten und seine in Schweden lebenden Kinder sowie seine im Iran lebende Mutter – die 2021 starb – zu töten oder auf andere Art zu verletzen. Eigenen Angaben zufolge wurde er gezwungen, "Geständnisse" abzulegen, die auf Video aufgezeichnet wurden und bei denen er Stellungnahmen verlas, die von den Verhörbeamt*innen vorbereitet worden waren. Ahmadreza Djalali weist die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen als von den Behörden konstruiert zurück. In dem Brief vom August 2017 gibt er zudem an, von den iranischen Behörden nur deshalb inhaftiert worden zu sein, weil er sich geweigert habe, seine akademischen Beziehungen zu europäischen Institutionen dafür zu nutzen, für den Iran zu spionieren. Am 17. Dezember 2018 wurde das "Geständnis" von Dr. Ahmadreza Djalali von einem staatlichen Fernsehsender ausgestrahlt. In einem einschlägig aufbereiteten Programm mit dem Namen Axing the Root wurde er als "Spion" dargestellt. Die Sendung war mit dramatischer Musik, Grafiken und Ausschnitten aus internationalen Nachrichtensendungen unterlegt und dazwischen wurden seine auf Video aufgenommenen "Geständnisse" eingestreut. Durch die Erlangung und Ausstrahlung des erzwungenen "Geständnisses" von Ahmadreza Djalali haben die iranischen Behörden gegen die Unschuldsvermutung verstoßen sowie gegen sein Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen. Ahmadreza Djalali hat seither bestätigt, dass es sich bei dem ausgestrahlten "Geständnis" um die Angaben handelt, die er unter Zwang gemacht hat und die gefilmt wurden, als er ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand in Einzelhaft gehalten wurde. Im November 2017 forderte die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen den Iran auf, Dr. Ahmadreza Djalali unverzüglich freizulassen und ihm ein einklagbares Recht auf Entschädigung und andere Formen der Wiedergutmachung einzuräumen. Nach Meinung der Arbeitsgruppe war sein Recht auf ein faires Gerichtsverfahren derart stark verletzt worden, dass "der Freiheitsentzug von Herrn Djalali als willkürlich zu betrachten ist".
Sowohl Schweden und Belgien als auch der Iran sind Vertragsparteien des Internationalen Übereinkommens gegen Geiselnahme, das jede Form von Geiselnahmen durch staatliche und nichtstaatliche Akteure unter Strafe stellt. Das Übereinkommen definiert Geiselnahme als das Festhalten einer Person unter der Androhung, sie zu töten, zu verletzen oder weiter festzuhalten, um einen Dritten zur Erfüllung bestimmter Bedingungen zu zwingen. Geiselnahme stellt völkerrechtlich also eine Straftat dar. Um einen Akt der Inhaftierung als Geiselnahme zu deklarieren ist es nicht zwingend erforderlich, dass die Bedingungen zur Freilassung der inhaftierten Person ausdrücklich ausgesprochen werden. Vielmehr kann ein Akt der Freiheitsberaubung u. U. auch dann als Geiselnahme gelten, wenn anhand der Umstände deutlich wird, dass in Verbindung damit eine implizite Forderung des Handelns oder Unterlassens an eine Drittpartei gestellt wird.