Angeklagt ohne Zugang zu Rechtsbeiständen

Die Grafik zeigt eine Gefängnistür mit Gitterstäben.

Zehn der zwölf Hongkonger_innen, die im August 2020 von der chinesischen Küstenwache festgenommen wurden, sind am 16. Dezember unter Anklage gestellt worden. Zwei der Angeklagten sollen anderen Personen beim illegalen Grenzübertritt von Hongkong nach China geholfen haben, den anderen acht wird "illegale Grenzüberquerung" vorgeworfen. Diese Anklagen können mit mehreren Jahren bzw. zwölf Monaten Haft geahndet werden. Über die mögliche Strafverfolgung der beiden anderen Personen wird die Staatsanwaltschaft hinter verschlossenen Türen beraten – sie waren zum Zeitpunkt ihrer Inhaftierung noch minderjährig. Die zwölf Personen befinden sich seit Ende August ohne Kontakt zu ihren Familien oder den von den Familien beauftragten Rechtsbeiständen in Haft. Sie sind nach wie vor in Gefahr, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden.

Appell an

Director of the Yantian Branch of Shenzhen Municipal Public Security Bureau
Fang Hongsheng
Yantian Branch of Shenzhen Municipal Public Security Bureau
2078 Shenyan Lu, Yantian Qu
Shenzhen Shi, 518081

VOLKSREPUBLIK CHINA

Sende eine Kopie an

Botschaft der Volksrepublik China
S. E. Herrn Ken Wu
Märkisches Ufer 54
10179 Berlin

Fax: 030-27 58 82 21
E-Mail: de@mofcom.gov.cn

Amnesty fordert:

  • Sorgen Sie bitte dafür, dass die zwölf inhaftierten Personen aus Hongkong (Cheng Tsz-ho, Cheung Chun-fu, Liu Tsz-man, Quinn Moon, Tang Kai-yin , Li Tsz-yin, Li Yu-hin, Wong Wai-yin und vier weitere Personen) umgehend regelmäßigen und wirksamen Kontakt zu ihren Familien sowie den von den Familien ernannten Rechtsbeiständen erhalten.
  • Stellen Sie zudem sicher, dass sie weder gefoltert noch in anderer Weise misshandelt werden.
  • Gewähren Sie ihnen bitte außerdem bei Bedarf und wenn notwendig regelmäßigen und uneingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung.

Sachlage

Zwölf Hongkonger_innen sind seit dem 23. August 2020 in China inhaftiert. Zwei von ihnen sind nun wegen "Organisation des geheimen Grenzübertritts anderer Personen" (组织他人偷越国(边)境) angeklagt worden; acht weitere müssen sich wegen "illegaler Grenzüberquerung" (偷越国(边)境) verantworten. Die Behörden des Haftzentrums von Yantian in der Stadt Shenzhen gestatten den zwölf Inhaftierten nicht, direkten Kontakt mit ihren Familien oder den von ihren Familien ernannten Rechtsbeiständen aufzunehmen.

Sich mit selbstgewählten Rechtsbeiständen treffen zu können ist ein zentraler Bestandteil des Rechts auf ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren und eine grundlegende Schutzmaßnahme für die Verhinderung von Folter und anderen Misshandlungen. Diesen zwölf Personen keinen Zugang zu ihren Familien oder Rechtsbeiständen ihrer Wahl zu gewähren widerspricht internationalen Menschenrechtsstandards, wie sie im UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes und dem Grundsatzkatalog für den Schutz aller irgendeiner Form von Haft oder Strafgefangenschaft unterworfenen Personen festgelegt sind. Es läuft zudem Chinas eigener Strafprozessordnung zuwider.

Sieben der Inhaftierten haben offenbar Briefe an ihre Familien in Hongkong geschrieben, doch die Familienangehörigen bezweifeln, dass dies freiwillig geschah, da der Stil der Briefe sich von dem normalen Stil ihrer Angehörigen unterschieden habe. Amnesty International hat in der Vergangenheit Fälle dokumentiert, in denen die chinesischen Behörden inhaftierte Personen gezwungen haben, ihren Familien mitzuteilen, dass sie gut versorgt werden und die Familien zu bitten, ihren Einsatz für die Inhaftierten einzustellen.

Hinzu kommt, dass die Gefängnisbehörden laut Angaben der staatlich bestellten Rechtsbeistände den Inhaftierten bislang keine Briefe von ihren Familienangehörigen ausgehändigt haben. Es liegen bisher keine Nachweise dafür vor, dass es den zwölf inhaftierten Hongkonger_innen gut geht, und es besteht nach wie vor die Sorge, dass ihnen unfaire Gerichtsverfahren sowie Folter und andere Misshandlungen drohen könnten.

 

Hintergrundinformation

Hintergrund

Cheng Tsz-ho, Cheung Chun-fu, Liu Tsz-man, Quinn Moon, Tang Kai-yin , Li Tsz-yin, Li Yu-hin, Wong Wai-yin und vier weitere Personen wurden am 23. August 2020 von Angehörigen der festland-chinesischen Küstenwache abgefangen, als sie Hongkong mit einem Schnellboot verließen.

Am 16. Dezember 2020 wurden zwei von ihnen wegen "Organisation des geheimen Grenzübertritts anderer Personen" angeklagt, was ihnen mehrere Jahre Gefängnis einbringen könnte. Acht weitere müssen sich wegen "illegaler Grenzüberquerung" verantworten, was mit bis zu einem Jahr in Haft geahndet werden kann. Die Staatsanwaltschaft des Bezirks Yantian der Stadt Shenzhen wird hinter verschlossenen Türen über die mögliche Strafverfolgung der beiden anderen Personen beraten – sie waren zum Zeitpunkt ihrer Inhaftierung noch minderjährig. Bis dahin befinden sie sich nach wie vor in Haft.

Elf der zwölf Personen waren vor ihrer Inhaftierung wegen "illegaler Grenzüberquerung" in Festlandchina bereits in Hongkong festgenommen worden. Die Vorwürfe lauteten damals auf "Verabredung zur absichtlichen Verwundung von Personen", "Randale", "tätlicher Angriff auf ein_e Polizeibeamt_in", "Verschwörung zur Brandstiftung", "Besitz von Substanzen mit der Absicht, Eigentum zu zerstören oder zu beschädigen", "Herstellung einer explosiven Substanz", "Brandstiftung" und "Planung von Brandstiftung".

Bei einer Pressekonferenz am 12. Dezember sagten einige Familienmitglieder der Inhaftierten, dass die chinesischen Sicherheitskräfte während des Verhörs viele Fragen zu den 2019 in Hongkong abgehaltenen Protesten gestellt hätten, obwohl den zwölf Hongkonger_innen Straftaten in Verbindung mit der Überquerung der Grenze vorgeworfen werden. Die Untersuchung von Fällen, in die die zwölf Inhaftierten in Hongkong möglicherweise involviert waren, fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich der Behörden des chinesischen Festlands.

Ebenfalls auf der Pressekonferenz am 12. Dezember wiederholten die Familienangehörigen ihre Forderung, den Inhaftierten Zugang zu den von den Familien ernannten Rechtsbeiständen zu gewähren. Zudem appellierten sie an die chinesischen Behörden, den zwölf Hongkonger_innen zu gestatten, direkt mit ihren Familien und den von ihnen ernannten Rechtsbeiständen zu kommunizieren. Sie forderten zudem, von den Behörden über die Gerichtstermine informiert zu werden und die Möglichkeit zu erhalten, bei den Anhörungen anwesend zu sein. In China werden die Familienmitglieder von inhaftierten Dissident_innen häufig daran gehindert, den Gerichtsverhandlungen beizuwohnen. In manchen Fällen werden die Familien erst im Nachhinein über das Gerichtsverfahren oder das Urteil informiert.

Amnesty International hat zahlreiche Fälle dokumentiert, bei denen Gefangenen in Festlandchina, oft Menschenrechtsverteidiger_innen, das Recht auf Rechtsbeistände, die von ihnen oder ihren Familien beauftragt wurden, routinemäßig verweigert wurde. In einigen Fällen ernannten die Behörden Rechtsbeistände für die Inhaftierten, ohne dass diese oder deren Familien zugestimmt hatten. In anderen Fällen bedrohten die Behörden Rechtsbeistände, um sie dazu zu zwingen, ihre Mandate abzugeben; behaupteten, dass die Inhaftierten von Familien ernannte Rechtsbeistände entlassen hätten; oder hinderten Angehörige daran, Rechtsbeistände zu beauftragen. Dies sind alles Mittel, um den inhaftierten Menschen ihren Anspruch auf einen Rechtsbeistand zu verweigern. Personen ohne rechtliche Vertretung können sich oftmals nicht über ihre Rechte informieren und laufen daher verstärkt Gefahr, ein unfaires Gerichtsverfahren zu erhalten.

Einer der zwölf Inhaftierten, Li Yu-hin, soll Hongkong verlassen haben, weil er zuvor wegen "Besitzes von Munition ohne Zulassung" und "Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften zur Gefährdung der nationalen Sicherheit" festgenommen worden war. Li Yu-hin ist einer der 35 Aktivist_innen und Protestierenden, die bisher im Rahmen des am 30. Juni in Kraft getretenen Sicherheitsgesetzes für Hongkong festgenommen wurden. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte und andere UN-Gremien haben wiederholt ihre Besorgnis über das nationale Sicherheitsgesetz für Hongkong ausgedrückt. Der vage formulierte Gesetzestext könne zu "diskriminierender oder willkürlicher Auslegung bzw. Durchsetzung des Gesetzes führen, was den Menschenrechtsschutz untergraben könnte".