12 Hongkonger_innen inhaftiert

Polizisten mit Atemschutzmasken laufen durch eine Straße.

Die chinesische Küstenwache hat am 23. August 2020 zwölf Hongkonger_innen, darunter Pro-Demokratie-Aktivist_innen festgenommen, weil sie die Grenze zwischen Hongkong und China mit einem Schnellboot im Geheimen überquert haben sollen. Die zwölf Personen werden ohne Kontakt zur Außenwelt und ohne Zugang zu ihren Familien oder Rechtsbeiständen ihrer Wahl festgehalten. Sie sind in unmittelbarer Gefahr, gefoltert und anderweitig misshandelt zu werden. Vier Rechtsbeistände aus Festlandchina, die von den Familien beauftragt wurden, legten ihre Mandate nieder, nachdem sie Drohungen von den Behörden erhalten hatten.

Appell an

Director of the Yantian Branch of Shenzhen Municipal Public Security Bureau

Fang Hongsheng

Yantian Branch of Shenzhen Municipal Public Security Bureau

2078 Shenyan Lu, Yantian Qu

Shenzhen Shi, 518081


VOLKSREPUBLIK CHINA

Sende eine Kopie an

Botschaft der Volksrepublik China

S. E. Herrn Ken Wu

Märkisches Ufer 54

10179 Berlin

Fax: 030-27 58 82 21

E-Mail: de@mofcom.gov.cn

Amnesty fordert:

  • Ich rufe Sie dazu auf, sicherzustellen, dass die zwölf Menschen regelmäßigen und wirksamen Kontakt zu ihren Familien und den von den Familien beauftragten Rechtsbeiständen haben.
  • Sorgen Sie bitte dringend dafür, dass die zwölf Gefangenen während ihrer Inhaftierung nicht gefoltert oder anderweitig misshandelt werden.
  • Gewähren Sie den zwölf Personen bitte umgehend regelmäßigen und uneingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung, die sie auf Anfrage oder nach Bedarf erhalten.

Sachlage

Zwölf Personen aus Hongkong wurden am 23. August 2020 wegen "geheimer Grenzüberquerung" (偷越国(边)境) festgenommen. Zwei von ihnen waren zum Zeitpunkt der Festnahme unter 18 Jahren alt. Sie werden ohne Kontakt zur Außenwelt und ohne Zugang zu den von den Familien beauftragten Rechtsbeiständen festgehalten. Es besteht die Gefahr, dass sie kein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren erhalten oder sogar der Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt sind.

Die Beamt_innen des Haftzentrums des Bezirks Yantian der Stadt Shenzhen verweigerten den Rechtsbeiständen, sich mit den Gefangenen zu treffen. Die Behörden haben mindestens acht Besuchsanträge zurückgewiesen und dafür schriftliche Sondergenehmigungen verlangt, die aber rechtlich nicht vorgeschrieben sind. Die Behörden gaben an, zwei der Gefangenen hätten bereits selbständig Rechtsbeistände beauftragt. Ihre Familien vermuten jedoch, dass diese Rechtsbeistände von den Behörden beauftragt wurden. Vier der zwölf Rechtsbeistände, die von den Familien beauftragt wurden, haben ihre Mandate mittlerweile niedergelegt, weil die Behörden ihnen drohten, entweder die Fälle abzugeben oder "Konsequenzen zu spüren".

Diesen zwölf Personen den Zugang zu Rechtsbeiständen zu verweigern, widerspricht dem Völkerrecht, darunter das Übereinkommen über die Rechte des Kindes und der Grundsatzkatalog für den Schutz aller irgendeiner Form von Haft oder Strafgefangenschaft unterworfenen Personen sowie Chinas Strafprozessordnung. Sich mit Rechtsbeiständen eigener Wahl zu treffen, ist ein zentraler Bestandteil des Rechts auf ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren und eine grundlegende Schutzmaßnahme für die Verhinderung von Folter und anderen Misshandlungen.

Die Bezirkspolizei von Shenzhen hat die Hongkonger Regierung informiert, dass die zwölf Personen bei guter Gesundheit seien. Es ist allerdings besorgniserregend, dass weder Familienangehörige noch Rechtsbeistände die Möglichkeit haben, dies bestätigen zu können. Drei der Inhaftierten haben Gesundheitsbeschwerden und benötigen regelmäßig verschreibungspflichtige Medikamente. Es ist unmöglich, herauszufinden, ob sie in Haft angemessene medizinische Versorgung erhalten. Den Jüngsten sollten jugendstrafrechtliche Schutzmaßnahmen gewährleistet werden, die im Völkerrecht und der chinesischen Strafprozessordnung festgehalten sind. So kann die Einhaltung ihrer Rechte sichergestellt werden.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Cheng Tsz-ho, Cheung Chun-fu, Liu Tsz-man, Quinn Moon, Tang Kai-yin , Li Tsz-yin, Li Yu-hin, Wong Wai-yin und vier weitere Personen wurden am 23. August 2020 von Angehörigen der festland-chinesischen Küstenwache abgefangen, als sie Hongkong mit einem Schnellboot verließen. Daraufhin wurden sie unter dem Verdacht der "geheimen Grenzüberquerung" inhaftiert.

Ein Familienmitglied von einem der inhaftierten Personen versuchte gleich nach der Festnahme der zwölf Personen verschiedene Abteilungen der Hongkonger Regierung zu kontaktieren, um mehr über die Festnahme herauszufinden. Die Vertreter_innen der kontaktierten Abteilungen sagten ihm jedoch, dass sie wenig tun können. Das Familienmitglied hatte das Gefühl, die Hongkonger Regierung würde seine Nachfragen abweisen und ihm nicht weiterhelfen. Laut einem Artikel des Sicherheitssekretärs von Hongkong, John Lee, und der Antwort der Regierung auf eine Medienanfrage zur mutmaßlichen Rechtsverletzung der zwölf Personen beabsichtigt die Hongkonger Regierung nicht, sich in "die Strafverfolgung anderer Justizbehörden" einzumischen.

Amnesty International hat zahlreiche Fälle dokumentiert, bei denen Gefangenen in Festlandchina, oft Menschenrechtsverteidiger_innen, das Recht auf Rechtsbeistände, die von ihnen oder ihren Familien beauftragt wurden, routinemäßig verweigert wurde. In einigen Fällen teilten die Behörden den Inhaftierten Rechtsbeistände zu, ohne dass diese oder deren Familien zugestimmt hatten. In anderen Fällen bedrohten die Behörden Rechtsbeistände, die Mandate abzugeben, erhoben haltlose Behauptungen, dass die Inhaftierten von Familien beauftragte Rechtsbeistände entlassen hätten oder hinderten Familien daran, Rechtsbeistände zu beauftragen. Dies alles sind Mittel, um den inhaftierten Menschen ihren Anspruch auf Rechtsbeistand zu verweigern. Sie erhalten oftmals keinen Zugang, sich über ihre Rechte zu informieren und laufen so Gefahr, ein unfaires Gerichtsverfahren zu durchlaufen.

Einer der zwölf Inhaftierten, Li Yu-hin, soll Hongkong verlassen haben, weil er zuvor wegen "Besitzes von Munition ohne Zulassung" und "Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften zur Gefährdung der nationalen Sicherheit" festgenommen worden war. Li Yu-hin ist einer der 22 Aktivist_innen, die im Rahmen des am 30. Juni in Kraft getretenen Sicherheitsgesetzes für Hongkong festgenommen wurden. Das Amt des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte und andere UN-Gremien haben wiederholt ihre Besorgnis über das nationale Sicherheitsgesetz für Hongkong ausgedrückt. Die vage formulierte Rechtsprechung könne zu "diskriminierender oder willkürlicher Auslegung und Durchsetzung des Rechtes führen, was den Menschenrechtsschutz untergraben könnte". Einigen der 22 inhaftierten Personen wird vorgeworfen, allein durch ihre friedliche Meinungsäußerung, wie den Besitz von Bannern mit politischen Parolen oder das Teilen von Inhalten in den Sozialen Medien, die nationale Sicherheit gefährdet zu haben. Gemäß dem Völkerrecht kann die "nationale Sicherheit" nicht vorgeschoben werden, um Menschen zu verweigern, ihr Recht auf Ausdruck verschiedener politischer Einstellungen und ihre anderen Menschenrechte auszuüben, die von völkerrechtlichen Normen gestützt werden.

Elf der zwölf Personen waren vor ihrer Inhaftierung in Festlandchina wegen "geheimer Grenzüberquerung" schon in Hongkong festgenommen worden. Die Vorwürfe lauteten "Verabredung zur absichtlichen Verwundung von Personen", "Randale", "tätlicher Angriff auf ein_e Polizeibeamt_in", "Verschwörung zur Brandstiftung", "Besitz von Substanzen, mit der Absicht, Eigentum zu zerstören oder beschädigen", "Herstellung einer explosiven Substanz", "Brandstiftung" und "Planung von Brandstiftung".