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12 Hongkonger_innen in China formell inhaftiert
Die zwölf Hongkonger_innen, die die chinesische Küstenwache am 23. August 2020 festgenommen hatte, wurden am 30. September formell inhaftiert – zwei sollen anderen Personen beim illegalen Grenzübertritt von Hongkong nach China geholfen haben, den anderen zehn wird "illegale Grenzüberquerung" vorgeworfen. Die zwölf befinden sich seit mehr als 45 Tagen in Haft – ohne Kontakt zu ihrer Familie oder den von den Familien beauftragten Rechtsbeiständen. Sie sind in unmittelbarer Gefahr, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden.
Appell an
Director of the Yantian Branch of Shenzhen Municipal Public Security Bureau
Fang Hongsheng
Yantian Branch of Shenzhen Municipal Public Security Bureau
2078 Shenyan Lu, Yantian Qu
Shenzhen Shi, 518081
VOLKSREPUBLIK CHINA
Sende eine Kopie an
Botschaft der Volksrepublik China
S. E. Herrn Ken Wu
Märkisches Ufer 54
10179 Berlin
Fax: 030-27 58 82 21
E-Mail: de@mofcom.gov.cn
Amnesty fordert:
- Ich rufe Sie dazu auf, sicherzustellen, dass die zwölf Menschen regelmäßigen und wirksamen Kontakt zu ihren Familien und den von den Familien beauftragten Rechtsbeiständen haben.
- Sorgen Sie bitte dringend dafür, dass die zwölf Gefangenen während ihrer Inhaftierung nicht gefoltert oder anderweitig misshandelt werden.
- Gewähren Sie den zwölf Personen bitte umgehend regelmäßigen und uneingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung, die sie auf Anfrage oder nach Bedarf erhalten.
Sachlage
Zwölf Hongkonger_innen wurden am 30. September 2020 wegen "illegaler Grenzüberquerung" (偷越国(边)境) und "Organisation des geheimen Grenzübertritts anderer Personen" (组织他人偷越国(边)境) formell inhaftiert. Zwei von ihnen waren bei der Festnahme minderjährig. Alle zwölf werden seit über 45 Tagen ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten und sind deswegen in Gefahr, kein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren zu erhalten, oder sogar der Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt zu sein.
Die Beamt_innen des Haftzentrums des Stadtbezirks Yantian der Stadt Shenzhen verweigerten allen von den Familien beauftragten Rechtsbeiständen, sich mit den Gefangenen zu treffen. Der Hongkonger Sicherheitsminister John Lee verkündete am 19. September, dass die zwölf Personen, darunter ein 17-jähriger Junge, "ihre eigenen Rechtsbeistände ausgewählt" hätten und "bei guter Gesundheit" seien. In einer ebenfalls am 19. September veröffentlichten Stellungnahme weigerten sich die Familien, die angeblich von den zwölf Inhaftierten ausgewählten Rechtsbeistände anzuerkennen. Gleichzeitig haben mindestens vier der von den Familien beauftragten Rechtsbeistände ihr Mandat für diesen Fall niedergelegt, nachdem sie von den Behörden bedroht und eingeschüchtert worden waren.
Sich mit selbstgewählten Rechtsbeiständen treffen zu können, ist ein zentraler Bestandteil des Rechts auf ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren und eine grundlegende Schutzmaßnahme für die Verhinderung von Folter und anderen Misshandlungen. Die Verweigerung, diesen zwölf Personen den Zugang zu Rechtsbeiständen zu gewähren widerspricht dem Völkerrecht, darunter das Übereinkommen über die Rechte des Kindes und der Grundsatzkatalog für den Schutz aller irgendeiner Form von Haft oder Strafgefangenschaft unterworfenen Personen, sowie Chinas Strafprozessordnung.
Es ist besorgniserregend, dass weder Familienangehörige noch Rechtsbeistände die Möglichkeit haben, sich selbst vom angeblich guten Gesundheitszustand der zwölf Gefangenen zu überzeugen. Drei der Inhaftierten haben Gesundheitsbeschwerden und benötigen regelmäßig verschreibungspflichtige Medikamente. Es ist unmöglich, herauszufinden, ob sie in Haft eine angemessene medizinische Versorgung erhalten. Den Jüngsten sollten jugendstrafrechtliche Schutzmaßnahmen gewährt werden, die im Völkerrecht und der chinesischen Strafprozessordnung festgehalten sind, um die Einhaltung ihrer Rechte sicherzustellen.
Hintergrundinformation
Cheng Tsz-ho, Cheung Chun-fu, Liu Tsz-man, Quinn Moon, Tang Kai-yin , Li Tsz-yin, Li Yu-hin, Wong Wai-yin und vier weitere Personen wurden am 23. August 2020 von Angehörigen der festlandchinesischen Küstenwache abgefangen, als sie Hongkong mit einem Schnellboot verließen.
Am 30. September gab die Staatsanwaltschaft des Stadtbezirks Yantian der Stadt Shenzhen bekannt, dass sie die Inhaftierung der zwölf Hongkonger_innen bestätigt. Das bedeutet, dass die zwölf für drei Monate oder mehr in Untersuchungshaft festgehalten werden können, während die Polizei in diesem Fall weiter ermittelt. Quinn Moon und Tang Kai-yin wurden wegen der "Organisation des geheimen Grenzübertritts anderer Personen" inhaftiert, die anderen zehn wegen "illegaler Grenzüberquerung".
Die Angehörigen forderten die Behörden auf dem chinesischen Festland auf, die Rechte der zwölf Inhaftierten einzuhalten; sie riefen auch die Hongkonger Regierung auf, ihnen mehr Informationen zur Verfügung zu stellen. Am 20. September baten einige Familienmitglieder die Hongkonger Polizei, mehr über die Festnahme ihrer zwölf Angehörigen bekanntzugeben. Sie gehen davon aus, dass die Hongkonger Polizei an deren Festnahme beteiligt war. Später gaben sie an, dass die Hongkonger Polizei sie zu ihren Aktionen für die Freilassung ihrer Angehörigen verhört hätte. Außerdem seien sie dazu befragt worden, wie sich die Familien organisiert hätten. Ihrerseits gab die Polizei jedoch keine weiteren Informationen preis und wies sie an, sich an die Einwanderungsbehörde der Sonderverwaltungszone Hongkong zu wenden.
Laut einem Artikel des Sicherheitsministers von Hongkong, John Lee, und einer Antwort der Regierung auf eine Medienanfrage zu möglichen Rechtsverletzungen gegenüber der zwölf Festgenommenen, hat die Regierung von Hongkong keine Absichten, sich in "Strafverfolgungsmaßnahmen anderer Justizbehörden" einzumischen.
Amnesty International hat zahlreiche Fälle dokumentiert, bei denen Gefangenen in Festlandchina, oft Menschenrechtsverteidiger_innen, das Recht auf Rechtsbeistände, die von ihnen oder ihren Familien beauftragt wurden, routinemäßig verweigert wurde. In einigen Fällen teilten die Behörden den Inhaftierten Rechtsbeistände zu, ohne dass diese oder deren Familien zugestimmt hatten. In anderen Fällen bedrohten die Behörden Rechtsbeistände, um sie dazu zu zwingen, ihre Mandate abzugeben, erhoben haltlose Behauptungen, dass die Inhaftierten von Familien beauftragte Rechtsbeistände entlassen hätten oder hinderten Angehörige daran, Rechtsbeistände zu beauftragen. Dies sind alles Mittel, um den inhaftierten Menschen ihren Anspruch auf Rechtsbeistand zu verweigern. Sie können sich oftmals nicht über ihre Rechte informieren und laufen so Gefahr, ein unfaires Gerichtsverfahren zu durchlaufen.
Elf der zwölf Personen waren vor ihrer Inhaftierung in Festlandchina wegen "illegaler Grenzüberquerung" schon in Hongkong festgenommen worden. Die Vorwürfe lauteten "Verabredung zur absichtlichen Verwundung von Personen", "Randale", "tätlicher Angriff auf ein_e Polizeibeamt_in", "Verschwörung zur Brandstiftung", "Besitz von Substanzen, mit der Absicht, Eigentum zu zerstören oder zu beschädigen", "Herstellung einer explosiven Substanz", "Brandstiftung" und "Planung von Brandstiftung".
Einer der zwölf Inhaftierten, Li Yu-hin, soll Hongkong verlassen haben, weil er zuvor wegen "Besitzes von Munition ohne Zulassung" und "Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften zur Gefährdung der nationalen Sicherheit" festgenommen worden war. Li Yu-hin ist einer der 28 Aktivist_innen, die im Rahmen des am 30. Juni in Kraft getretenen Sicherheitsgesetzes für Hongkong festgenommen wurden. Das Amt des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte und andere UN-Gremien haben wiederholt ihre Besorgnis über das nationale Sicherheitsgesetz für Hongkong ausgedrückt. Die vage formulierte Rechtsprechung könne zu "diskriminierender oder willkürlicher Auslegung und Durchsetzung des Rechtes führen, was den Menschenrechtsschutz untergraben könnte". Einigen der 28 inhaftierten Personen wird vorgeworfen, allein durch ihre friedliche Meinungsäußerung, wie den Besitz von Bannern mit politischen Parolen oder das Teilen von Inhalten in den Sozialen Medien, die nationale Sicherheit gefährdet zu haben. Gemäß dem Völkerrecht kann die "nationale Sicherheit" nicht vorgeschoben werden, um Menschen zu verweigern, ihr Recht auf Ausdruck verschiedener politischer Einstellungen und ihre anderen Menschenrechte auszuüben, die von völkerrechtlichen Normen gestützt werden.