Zwei Jahre Haft für Menschenrechtler

Jiang Tianyong auf dem Kongress gegen die Todesstrafe 2010

Jiang Tianyong auf dem Kongress gegen die Todesstrafe 2010

Der Menschenrechtsanwalt Jiang Tianyong ist wegen "Anstiftung zum Umsturz der Staatsmacht" zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er musste sich im Gerichtsverfahren von einem staatlich benannten Anwalt vertreten lassen. Jiang Tianyong drohen Folter und andere Misshandlungen.

Appell an

PRÄSIDENT

Xi Jinping

The State Council General Office

2 Fuyoujie, Xichengqu, Beijing Shi 100017

VOLKSREPUBLIK CHINA

Sende eine Kopie an

Minister für öffentliche Sicherheit

Minister of Public Security

Zhao Kezhi Buzhang

Gonganbu 14 Dongchanganjie

Dongchengqu, Beijing Shi 100741

VOLKSREPUBLIK CHINA

E-Mail: gabzfwz@mps.gov.cn

Botschaft der Volksrepublik China

S. E. Herrn Mingde Shi

Märkisches Ufer 54

10179 Berlin


Fax: 030-27 58 82 21

E-Mail: presse.botschaftchina@gmail.com und de@mofcom.gov.cn

Amnesty fordert:

  • Bitte lassen Sie Jiang Tianyong umgehend frei, da er nur aufgrund der friedlichen Wahrnehmung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde.
  • Sorgen Sie bitte dafür, dass er während seiner Haft vor Folter und anderweitigen Misshandlungen geschützt ist und regelmäßigen und uneingeschränkten Zugang zu seiner Familie, einem Rechtsbeistand seiner Wahl und angemessener medizinischer Versorgung erhält, wann immer er diese benötigt und darum bittet.

Sachlage

Das Mittlere Volksgericht der Stadt Changsha sprach Jiang Tianyong am 21. November der "Anstiftung zum Umsturz der Staatsmacht" schuldig. Er wurde zu zwei Jahren Gefängnis und einem dreijährigen Entzug seiner politischen Rechte verurteilt. Noch vor Gericht sagte er, er würde keine Rechtsmittel einlegen.

Am 19. November erhielt Jiang Tianyongs Vater einen Anruf des Anwalts Yang Jielin, den die chinesischen Behörden als Anwalt für Jiang Tianyong bestimmt hatten. Yang Jielin informierte die Familie darüber, dass das Urteil im Verfahren gegen Jiang Tianyong am 21. November ergehen würde. Als Jiang Tianyongs Vater fragte, warum er keine offizielle Benachrichtigung erhalten habe, antwortete Yang Jielin: "Mir ist es gleichgültig, ob Sie zum Gericht kommen. Ich habe Sie informiert."

Die erste Verhandlung vor dem Mittleren Volksgericht der Stadt Changsa fand am 22. August statt. Darin gab Jiang Tianyong den Vorwurf "Anstiftung zum Umsturz der Staatsmacht" zu. Im Verfahren "entschuldigte" er sich dafür, der chinesischen Polizei konstruierte Foltervorwürfe gemacht zu haben und im Ausland Seminare besucht zu haben, um einen Wandel des politisches Systems Chinas zu diskutieren. Laut Angaben von Jin Bianling, der Ehefrau von Jiang Tianyong, hatte eine "nicht namentlich genannte Person der Behörden von Changsha" gesagt, dass Jiang Tianyong gefoltert worden sei und sein Bein über die ganze Länge so geschwollen war, dass er nicht stehen konnte. Möglicherweise hat er aufgrund von Folter oder anderer Misshandlung die "Anstiftung zum Umsturz der Staatsmacht" gestanden.

Jiang Tianyong wurde über ein Jahr ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten. Und weder seine Familienangehörigen noch die von der Familie beauftragten Rechtsbeistände wurden im Vorhinein über das im August stattfindende Verfahren informiert. Dieses Vorgehen verstößt gegen chinesisches Recht. Die Familie erfuhr nur durch einen Nachrichtenbericht unmittelbar vor der Gerichtsverhandlung von deren Beginn. Jiang Tianyong wurde darin von zwei staatlich eingesetzten Rechtsbeiständen vertreten. Laut Jin Bianling wurde Jiang Tianyongs Vater von Angehörigen der Staatssicherheitsbehörde mitgenommen und zur August-Verhandlung eskortiert.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Jiang Tianyong wird seit seiner Inhaftierung am 21. November 2016 ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten. Er hat keinen Zugang zu seinen Angehörigen oder Rechtsbeiständen seiner Wahl. Er durfte nach dem Schuldspruch am 21. November mit seinem Vater telefonieren. Während seiner Haft hat das Büro für Öffentliche Sicherheit alle Besuchsanträge der von der Familie beauftragten Rechtsbeistände abgelehnt und dies mit "Behinderung der Ermittlungen" und "Gefährdung der nationalen Sicherheit" begründet.

Im Juli 2015 war der Menschenrechtsanwalt Xie Yang im Zuge des repressiven Vorgehens gegen Anwält_innen inhaftiert worden. Sein Anwalt, mit dem er im Januar 2017 gesprochen hatte, legte später einen detaillierten Bericht über die Folter von Xie Yang in Haft vor. Über die Foltervorwürfe wurde in den internationalen Medien umfassend berichtet. Daraufhin schrieben im Februar 2017 sieben Länder einen nicht öffentlichen Brief an die chinesische Regierung, in dem sie ihre "wachsende Sorge bezüglich der jüngsten Vorwürfe über Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe durch inhaftierte Menschenrechtsanwält_innen und andere Menschenrechtsverteidiger_innen" zum Ausdruck brachten. Sie forderten die chinesische Regierung auf, die Praxis der "stationären Überwachung an einem dafür bestimmten Ort" einzustellen – dies ist eine Form der geheimen Haft ohne Kontakt zur Außenwelt, die es der Polizei ermöglicht, Menschen bis zu sechs Monaten außerhalb des offiziellen Strafvollzugsystems in Haft zu halten, ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand ihrer Wahl, ihren Angehörigen oder einer anderen Person der Außenwelt. Damit werden vermeintliche Verdächtige dem Risiko der Folter und anderen Formen der Misshandlung ausgesetzt. Der Inhalt dieses Briefes wurde später der internationalen Presse zugänglich gemacht. Die staatlichen chinesischen Medien veröffentlichten daraufhin eine Fülle von Berichten zur Entkräftung der Foltervorwürfe als "Falschmeldung".

Im Zuge der Kampagne zur Diffamierung der Foltervorwürfe veröffentlichten die chinesischen Festlandmedien im Februar eine Videoaufnahme mit einem Interview mit Jiang Tianyong. In diesem Video sagt Jiang Tianyong, dass er die Foltervorwürfe von Xie Yang konstruiert habe. Doch Analytiker_innen merkten an, dass Jiang Tianyong sich ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft befand, als Xie Yangs Foltervorwürfe erstmals in den internationalen Medien auftauchten. Zudem sei es in jüngsten Jahren gängige Praxis geworden, erzwungene "Geständnisse" im staatlichen chinesischen Fernsehen zu senden.

Jiang Tianyong wurde am 31. Mai 2017 offiziell inhaftiert. Am 15. Juni informierte der Leiter der Hafteinrichtung Nr. 1 in Changsha die beiden von der Familie beauftragten Rechtsbeistände mündlich darüber, dass Jiang Tianyong zwei andere Rechtsbeistände mit seiner Vertretung betraut habe. Die Familie erklärte öffentlich, dass sie die von der Regierung bestimmten Rechtsbeistände nicht akzeptiere und kritisierte die Regierung scharf für deren Benennung. Die Hafteinrichtung hat keinerlei Nachweis darüber vorgelegt, dass Jiang Tianyong das Auswechseln der Rechtsbeistände befürwortete. Zudem verweigerte die Hafteinrichtung den von der Familie beauftragten Rechtsbeiständen, Jiang Tianyong zu besuchen.

Jiang Tianyong war bereits in einige prominente Gerichtsverfahren involviert und hat anderen Menschenrechtsverteidiger_innen geholfen. Darunter dem Menschenrechtsanwalt Gao Zhisheng, der wegen seiner Menschenrechtsarbeit immer wieder drangsaliert und auch inhaftiert wurde, sowie dem blinden Rechtsaktivisten Chen Guangcheng, der aufdeckte, dass Frauen in der Ortschaft Dongshigu in Linyi in der Provinz Shandong von Beamt_innen zu Abtreibungen gezwungen wurden.

Vor seiner derzeitigen Inhaftierung war Jiang Tianyong zuletzt im März 2014 festgenommen worden, nachdem er und drei weitere Anwält_innen Untersuchungen zu einer rechtswidrigen Hafteinrichtung ("Black Jail") in Jiansanjiang in der Provinz Heilongjiang eingeleitet hatten, in der Falun-Gong-Praktizierende festgehalten werden sollen. Jiang Tianyong wurde im Gewahrsam geschlagen, was acht gebrochene Rippen zur Folge hatte.

Zuvor war Jiang Tianyong im Mai 2012 von Angehörigen der Öffentlichen Sicherheit festgenommen worden, als er Chen Guangcheng im Krankenhaus von Chaoyang im Pekinger Stadtbezirk Haidian besuchen wollte. Er wurde neun Stunden lang festgehalten und dabei so schwer verprügelt, dass er eine Trommelfellperforation im linken Ohr davontrug und auf dem rechten Ohr zeitweise nicht richtig hören konnte.

In einem noch nie dagewesenen scharfen Vorgehen der Regierung gegen Menschenrechtsanwält_innen und andere Aktivist_innen sind seit dem 9. Juli 2015 mindestens 248 Anwält_innen und Aktivist_innen von Angehörigen der Staatssicherheit verhört oder inhaftiert worden. Der Rechtsanwalt Wang Quanzhang wird seit über zweieinhalb Jahren ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten. Von der angegriffen Gruppe ist er der letzte, dessen Gerichtsverhandlung noch aussteht.