Erst "verschwunden", jetzt in Haft

Ein Mann wird von anderen Männern mit Mundschutz durch eine Gasse geführt

Der Journalist Shafiqul Islam Kajol wird von Sicherheitskräften zu einem Gericht in der bangladeschischen Stadt Jessore gebracht (3. Mai 2020)

Shafiqul Islam Kajol, Fotograf und Redakteur einer bangladeschischen Tageszeitung, war 53 Tage "verschwunden". Nun ordneten die Behörden unbefristet Untersuchungshaft gegen ihn an. Gegen ihn liegen wegen seiner Facebook-Posts mehrere Anklagen unter dem repressiven Gesetz über die digitale Sicherheit (Digital Security Act – DSA) vor. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu sieben Jahre Haft. Shafiqul Islam Kajol ist ein gewaltloser politischer Gefangener, der allein wegen der Ausübung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung inhaftiert wurde. Er muss umgehend und bedingungslos freigelassen werden.

Appell an

Mr. Asaduzzaman Khan, MP

Ministry of Home Affairs

Bangladesh Secretariat

Dhaka-1000

BANGLADESCH

Sende eine Kopie an

Botschaft der Volksrepublik Bangladesch

S. E. Herrn Imtiaz Ahmed

Kaiserin-Augusta-Allee 111

10553 Berlin

Fax: 030–39 89 75 10

E-Mail: info.berlin@mofa.gov.bd

 

Amnesty fordert:

  • Bitte lassen Sie Shafiqul Islam Kajol umgehend und bedingungslos frei und lassen Sie die Anklagen gegen ihn und alle anderen Betroffenen fallen, die sich nur aufgrund der Wahrnehmung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung in Haft befinden.
  • Entkriminalisieren Sie Verleumdung und behandeln Sie den Tatbestand zivilrechtlich.
  • Reformieren Sie bitte unverzüglich das Gesetz über die digitale Sicherheit (DSA), damit es mit den internationalen Menschenrechtsnormen in Einklang steht, darunter mit dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dessen Vertragsstaat Bangladesch ist. Schieben Sie der Praxis des Verschwindenlassens bitte einen Riegel vor und ratifizieren Sie das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen.

Sachlage

Die Nachricht, dass Shafiqul Islam Kajol am Leben ist, rief große Erleichterung hervor. Der Fotograf und Redakteur der Tageszeitung Dainik Pokkhokal war 53 Tage lang "verschwunden". Doch die Behörden kümmern sich nicht um sein Wohlergehen und lassen ihn nicht zu seinen Angehörigen zurückkehren. Stattdessen verhängten sie auf unbestimmte Zeit Untersuchungshaft gegen ihn.

Gegen Shafiqul Islam Kajol liegt in mindestens drei Fällen Anklage unter dem repressiven Gesetz über die digitale Sicherheit (Digital Security Act – DSA) vor. Ihm wird vorgeworfen, "falsche, beleidigende und verleumderische" Informationen auf Facebook veröffentlicht zu haben, die sich gegen "Recht und Ordnung" richteten und die er sich "illegal beschafft" haben soll. Das DSA verstößt gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, zu dessen Vertragsstaaten Bangladesch gehört.

Außerdem erstattete die Polizei eine vierte Anzeige gegen Shafiqul Islam Kajol: gemäß der Passverordnung von 1973 beschuldigte sie ihn, am 3. Mai 2020 unbefugt in sein eigenes Land eingedrungen zu sein – an dem Tag, als die Polizei von Benapole bestätigte, ihn in Gewahrsam zu haben. Zwar verfügte das Amtsgericht von Jashore in diesem Fall, Shafiqul Islam Kajol gegen Kaution freizulassen, doch die Polizei ließ ihn nicht gehen. Vielmehr reichte sie noch am Abend desselben Tages eine weitere Klage gegen ihn ein, diesmal gemäß Abschnitt 54 der Strafprozessordnung von 1898. So will sie ihn bis zum Verfahren wegen der Anklagen unter dem DSA in Haft halten.

Gerade zum jetzigen Zeitpunkt, an dem im Rahmen der Vorbeugungsmaßnahmen gegen die Verbreitung von COVID-19 weltweit Gefangene freigelassen werden – so auch in Bangladesch –, ist es unverantwortlich, dass Shafiqul Islam Kajol weiterhin festgehalten wird.

Die Umstände seines Verschwindens, die Einreichung mehrerer Klagen gegen ihn und die Weigerung, ihn sofort freizulassen, geben Anlass zu großer Sorge hinsichtlich der Einhaltung menschenrechtlicher Standards.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Es ist davon auszugehen, dass der 50-jährige Fotograf und Redakteur der Tageszeitung Dainik Pokkhokal, Shafiqul Islam Kajol, ein Opfer des Verschwindenlassens wurde. Nun droht ihm eine unbefristete Untersuchungshaft.

Shafiqul Islam Kajol "verschwand" am 10. März 2020. Nach 53 Tagen meldete die Polizei am 3. Mai, dass er etwa 100 Meter vor der Grenze zu Indien aufgefunden worden sei. Sie zeigten Shafiqul Islam Kajol gemäß der Passverordnung von 1973 an und beschuldigten ihn, aus Indien unbefugt und ohne Pass in sein eigenes Land eingedrungen zu sein.

Zwar verfügte das Amtsgericht von Jashore in diesem Fall, Shafiqul Islam Kajol gegen Kaution freizulassen, da dieser die Anschuldigung zurückwies. Doch die Polizei ließ ihn nicht gehen und reichte stattdessen eine weitere Klage gegen ihn ein, diesmal gemäß Abschnitt 54 der Strafprozessordnung von 1898. Dieser ermächtigt die Polizei, eine Person auch ohne Haftbefehl festzuhalten, wenn diese einer nach Landesrecht anerkannten Straftat beschuldigt wird.

Einen Tag vor seinem Verschwinden hatte ein Abgeordneter der Regierungspartei Awami-Liga Anzeige gegen Shafiqul Islam Kajol und 31 weitere Personen unter dem repressiven Gesetz über die digitale Sicherheit (Digital Security Act – DSA) erstattet. Die Anzeige beruht auf den Paragrafen 25, 26 und 29 des DSA. Shafiqul Islam Kajol wird beschuldigt, "falsche, beleidigende und verleumderische" Informationen auf Facebook veröffentlicht zu haben, die sich gegen "Recht und Ordnung" richteten und die er sich "illegal beschafft" haben soll. Ungefähr drei Stunden nachdem Shafiqul Islam Kajol am 10. März um 18.51 Uhr beim Verlassen seines Büros zuletzt gesehen wurde, nahm die Polizei eine zweite Anzeige gegen den Redakteur auf. Auch diese beruht auf den Paragrafen 25, 26 und 29 des DSA. Es scheint nun, dass am folgenden Tag noch eine dritte Anzeige gemäß der Paragrafen 25, 26 und 29 des DSA gegen ihn erstattet wurde. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu 7 Jahre Haft.

Amnesty International liegen Aufzeichnungen von Überwachungskameras vor, auf denen zu sehen ist, wie sich drei unbekannte Männer an dem Motorrad von Shafiqul Islam Kajol zu schaffen machen, kurz bevor dieser damit davonfährt und nicht mehr gesehen wurde. Amnesty International veröffentlichte die Aufnahmen am 21. März 2020.

Vor seinem Verschwinden und den zahlreichen Anzeigen gegen ihn hatte Shafiqul Islam Kajol auf Facebook kritische Beiträge über die Beteiligung von Mitgliedern der Regierungspartei an einem Sexhändlerring gepostet, der seinen Sitz offenbar in einem Fünf-Sterne-Hotel in Dhaka hat.

Im November 2018 veröffentlichte Amnesty International den Bericht Muzzling Dissent Online, in dem Abschnitte innerhalb des Gesetzes über die digitale Sicherheit (DSA) identifiziert wurden, die mit den internationalen Menschenrechtsnormen, einschließlich des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, unvereinbar sind, und forderte die Regierung von Bangladesch auf, das Gesetz umgehend zu ändern.

Nach dem Völkerrecht begründet eine beleidigende Meinungsäußerung über Personen des öffentlichen Lebens noch keine Verhängung von Strafen. Insbesondere rief der UN-Menschenrechtsausschuss Staaten dazu auf, die Entkriminalisierung von Verleumdung in Betracht zu ziehen, und den Tatbestand zivilrechtlich statt strafrechtlich zu behandeln.

Mindestens 14 Delikte unter dem DSA, einschließlich die Abschnitte 26 und 31, die gegen Shafiqul Islam Kajol angewandt werden, dürfen nicht als strafbar gelten. Der Menschenrechtsausschuss stellte fest, dass Schikanen wie Festnahmen, Gerichtsverfahren, Inhaftierungen und Gefängnisstrafen aufgrund der Ansichten einer Person eine Verletzung von Artikel 19 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte darstellt.

Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte hat Bangladesch aufgefordert, "das Gesetz über die digitale Sicherheit dringend zu überarbeiten, um sicherzustellen, dass es mit den internationalen Menschenrechtsnormen in Einklang ist und dass es Schutzmaßnahmen gegen willkürliche Festnahmen, Inhaftierungen und andere unangemessene Einschränkungen der Rechte der Einzelnen auf die legitime Ausübung der Meinungs- und Redefreiheit vorsieht".

Seit des Inkrafttretens des DSA im Oktober 2018 sind mehr als 1000 entsprechende Klagen eingereicht worden.