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"Ein Schutzschild für unsere Arbeit"
Abel Barrera ist Leiter des Menschenrechtszentrums Tlachinollan in Tlapa im südmexikanischen Bundesstaat Guerrero. Das Zentrum setzt sich vor allem für die Rechte der indigenen Gemeinden in der Region ein. Vor drei Jahren erhielt der heute 54-jährige Barrera den 6. Menschenrechtspreis von Amnesty International Deutschland.
Drei Jahre ist es jetzt her, dass Sie in Berlin den Menschenrechtspreis von Amnesty International entgegennahmen. Haben sich die Bedingungen für Ihre Arbeit seither verändert?
Ja, die Lage in den indigen geprägten Gebieten im Süden Mexikos ist noch schwieriger geworden. Zunehmend werden Aktivistinnen und Aktivisten kriminalisiert, bedroht oder getötet. In den vergangenen zwei Jahren wurden in Guerrero fünf Menschenrechtsverteidigerinnen ermordet. Andere Mitstreiter sind verschwunden. Die Behörden unternehmen indes immer weniger, um die Fälle aufzuklären. Die Straflosigkeit nimmt also zu und das stärkt die Täter.
Mexiko ist wegen der außergewöhnlichen Gewalt der Mafia in den internationalen Medien. Spielen die Kriminellen in Ihrer Region eine große Rolle?
Das organisierte Verbrechen ist auch bei uns stärker geworden. Die Kartelle kontrollieren ganze Landstriche und haben Polizisten aller Einheiten infiltriert. Viele föderale, bundesstaatliche und lokale Beamte stehen in ihrem Sold, auch mit anderen staatlichen Institutionen sind sie eng verflochten. Da die Behörden der Kriminalität untergeordnet sind, vertreten sie nicht mehr die Interessen der Bevölkerung. So gewannen zum Beispiel einige Gemeindepräsidenten die Wahlen nur durch die Unterstützung der Mafia. Nun müssen sie für die Kartelle arbeiten.
Welche Konsequenzen hat das für Ihre Arbeit?
Wir müssen uns mit Angriffen von Soldaten, Polizisten und Kriminellen beschäftigen, die von den Kriminellen unterstützt werden und diese zugleich schützen sollen. Wir haben es mit gestärkten kriminellen Strukturen und schwachen Institutionen zu tun. Den Umgang mit den staatlichen Akteuren sind wir gewohnt, jetzt müssen wir aber auch mit den Codes der Mafia klarkommen. Das ist ein neues Szenario, das unseren Alltag überschattet und uns Angst macht.
Präsident Enrique Peña Nieto hat nach seinem Amtsantritt 2012 angekündigt, das Militär zurückzuziehen, um die Gewalt einzudämmen. Hat sich tatsächlich etwas getan?
Peña Nieto wollte sich von seinem Vorgänger Felipe Calderón distanzieren, der auf militärische Konfrontation mit den Kartellen setzte. Er änderte den Diskurs, sprach von stärkerer Prävention und eben vom Rückzug des Militärs. Außerdem wollte er eine neue Einheit gründen, die er Gendarmerie nannte: eine Truppe von spezialisierten, der Armee unterstellten Polizisten. Bis jetzt gibt es diese Gendarmerie jedoch nicht. Außerdem hat er das bis dato eigenständige Ministerium für Öffentliche Sicherheit dem Innenministerium unterstellt, um der Behörde ein anderes Profil zu geben. Aber das neue Design hat nichts geändert. Und die Soldaten sind weiterhin präsent.
Im Kampf gegen die Mafia könnte das nötig sein …
Die Sicherheitskräfte agieren aber nicht nur gegen die Mafia, sondern auch gegen soziale Organisationen. Zum Beispiel gegen die Gemeindepolizei, die selbstorganisierten Gruppen, mit denen sich die Bevölkerung gegen die Kriminellen verteidigt. Die Soldaten verfolgen diese Leute. Sie verhaften ihre Sprecher, als wären sie gefährliche Personen. Dabei könnten die Gemeindepolizisten eine Hilfe sein: Sie wissen am besten, wie die Netze der Kriminalität funktionieren und wie das organisierte Verbrechen mit den lokalen Behörden verbunden ist. Die Politik hat sich nicht geändert. Das Land wird weiter militarisiert und die Armee zur Widerstandsbekämpfung eingesetzt. Das führt zu vermehrten Spannungen zwischen Bürgern, sozialen Organisationen und indigenen Gemeinden einerseits und staatlichen Sicherheitskräften andererseits.
In Deutschland kam der Bundesstaat Guerrero in die Schlagzeilen, weil dort Polizisten mit deutschen Gewehren schießen, die laut Exportgenehmigung nie in diese Region hätten gelangen dürfen. Was bedeutet es, dass die Beamten mit solchen Waffen ausgestattet sind?
Es ist völlig unverhältnismäßig und gefährlich, dass Polizisten diese High-Tech-Waffen tragen. Sie setzen die Gewehre ja auch gegen Kleinbauern, Studenten oder prekär Beschäftigte ein. Gegen Menschen, die lediglich ihr Recht einfordern oder sich gegen Kriminelle schützen. Ich denke etwa an die Studentenproteste im Dezember 2011, bei denen zwei Demonstranten von Polizisten erschossen wurden. Oder an die Gemeindepolizisten, die selbst nur einfache Jagdgewehre tragen. Viele staatliche Sicherheitskräfte haben keine Ausbildung und vor allem keinen Respekt vor den Menschenrechten. Sie sind unkontrollierbar. Manche setzen Waffen nur ein, um Macht auszuüben.
Das Menschenrechtszentrum Tlachinollan zieht mit Frauen, die von Soldaten vergewaltigt wurden, vor den Interamerikanischen Gerichtshof, kümmert sich um Bauern, die gegen Bergbauprojekte kämpfen und hilft den Opfern eines Wirbelsturms – um nur einige Aspekte zu erwähnen. Wie schaffen Sie das alles?
Unser großes Privileg ist es, dass wir im Leben der Menschen verankert sind. Wir haben keine ausgefeilten Methoden und auch nicht das Team von Experten, das Tlachinollan eigentlich bräuchte. Aber schon als wir vor 20 Jahren anfingen, entwickelte sich eine große Nähe zwischen uns und den indigenen Gemeinden. Wir bewegen uns in den Dörfern, auf den verschlammten Straßen, in den vom Sturm zerstörten Dörfern. So kreuzen sich unsere Wege mit Tagelöhnern, die ausgebeutet werden, mit Menschen, die von Soldaten angegriffen werden, oder mit Bauern, die von Kriminellen erpresst werden. Wenn man selbst vom Regen überrascht wird, sich durch überschwemmte Gebiete kämpfen muss und im Schlamm versinkt, richtet man die Augen auf das, was wichtig ist. Niemand interessiert dann noch, dass im Jahresplan nicht vorgesehen war, bei einer Naturkatastrophe helfen zu müssen. Das heißt nicht, dass wir unsere Pläne nicht ernst nehmen. Aber wir müssen sie ständig mit der Wirklichkeit abgleichen und flexibel sein.
Hat Ihnen der Amnesty-Preis bei Ihrer Arbeit vor Ort geholfen?
Für uns war der Preis wie eine Brücke, um das Meer zu überqueren und uns mit unseren Brüdern und Schwestern zu treffen. Er ist ein Schutzschild und gab uns die Sicherheit, dass wir auf Amnesty zählen können. Zum Beispiel, als unser Anwalt Vidulfo Rosales wegen Drohungen das Land verlassen musste. Vor drei Jahren haben wir uns in Berlin mit unseren Mitstreitern getroffen. Das ist in unseren Herzen geblieben und hat auch auf die Menschen gewirkt, mit denen wir hier kämpfen.
Interview: Wolf-Dieter Vogel