Amnesty Journal 21. Mai 2014

"Wir haben mächtige Gegner"

Seit mehr als zwei Jahrzehnten kämpft ­Natalia Sarapura in Argentinien für die ­Rechte der Ureinwohner. Im Interview spricht die 39-Jährige über die Verbrechen der Kolonialzeit, den Landraub ausländischer Konzerne und die Diskriminierung ­indigener Frauen.

"Lasst uns die Indianer mit gutem Gewissem vernichten!", schrieb einst Julio Argentino Roca. Der General befehligte Ende des 19. Jahrhunderts den Völkermord an den Ureinwohnern Argentiniens, später wurde er Präsident. Heute ziert sein Porträt Geldscheine, Denkmäler ehren ihn, sogar eine Stadt ist nach ihm benannt. Hat Argentinien seine blutige Vergangenheit verdrängt?
Ja, die Völkermörder von einst werden noch immer als Nationalhelden verehrt. Die Geschichte Argentiniens beginnt mit einem Genozid, doch die Erinnerung daran spielt im öffentlichen Diskurs keine Rolle. Argentinien setzt sich derzeit intensiv mit den Verbrechen der Militärjunta auseinander, die vor mehr als dreißig Jahren das Land terrorisierte. Mit den Untaten der Kolonialzeit will man sich nicht beschäftigen. Lange Zeit wurde ja sogar geleugnet, dass überhaupt Indigene existieren. Argentinien sei eine europäische Nation, die Weißen hätten ein leeres Territorium besiedelt, so lautete der Gründungsmythos. Doch es gibt uns, rund zwei Millionen Indigene leben im Land – und noch immer werden unsere Rechte miss­achtet.

Inwiefern?
Früher vertrieben uns die spanischen Kolonialherren, heute schielen internationale Großkonzerne auf unseren Boden. Im Norden Argentiniens wollen große ausländische Konzerne unser Erdgas fördern, im Süden geht es ihnen ums Erdöl. In anderen Regionen wollen die Unternehmen den Indigenen das Land rauben, um Sojaplantagen zu errichten oder Lithium zu schürfen. Der argentinische Staat unterstützt sie dabei, da er von diesen Investitionen natürlich finanziell profitiert. Wir haben also mächtige Gegner.

Viele Ureinwohner haben eine ganz besondere Bindung an ihr Land …
Unser Land ist uns heilig, denn wir verehren die Mutter Erde als Gottheit. Nehmen wir als Beispiel die Felsen und Steine – sie sind für uns nicht einfach leblose Dinge, sondern unsere Brüder und Schwestern. Wenn ein ausländischer Konzern bei uns aufkreuzt und sagt: "Wir wollen nur kurz eure Steine beiseiteschieben, um zu schauen, ob hier Rohstoffe liegen", dann ist das für uns ein riesiges Problem.

Sie kämpfen seit Jahren für die Rechte der Ureinwohner. Wie kam es zu diesem Engagement?
Ein kleines Referat brachte alles ins Rollen. Als ich 14 Jahre alt war, besuchte ich die weiterführende Schule – 200 Kilometer von meiner Heimatprovinz Jujuy entfernt. Eines Tages gab mir mein Lehrer eine besondere Hausaufgabe: Ich sollte ein Referat über die Geschichte meiner Heimatgemeinde vorbereiten. So kam ich mit dem COAJ, dem "Rat der Indigenen Organisationen von Jujuy", in Kontakt. Der Rat macht sich in meiner Heimat für die Interessen der Indigenen stark.

Das ist 25 Jahre her. Heute sind Sie die Präsidentin dieses ­Rates …
Stimmt, aber ich brauchte einen langen Atem. Indigene Frauen haben es in Argentinien doppelt schwer. Außerhalb unserer Gemeinden werden wir diskriminiert, weil wir Indigene sind. In unseren Gemeinden werden wir diskriminiert, weil wir Frauen sind. Als ich bei COAJ einstieg, musste ich zunächst meinen männlichen Chefs Tee servieren. Später erledigte ich als Sekretärin Büroarbeit. Aber es gelang mir, die Karriereleiter hochzusteigen. Heute vertrete ich als Präsidentin die Interessen von 200.000 Menschen. Die Emanzipation indigener Frauen ist übrigens mittlerweile eines unserer wichtigsten Projekte.

Fragen: Ramin M. Nowzad

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