Amnesty Journal 18. Juli 2013

"Menschenrechtlich katastrophal"

Deutsche Firmen, die Bundesregierung und die EU spielen beim internationalen
Landgrabbing eine unrühmliche Rolle. Ein Gespräch mit Roman Herre,
Agrarexperte des "Food First Informations- und Aktionsnetzwerks" (FIAN).

Wer sind die großen Player im internationalen Landgrabbing?
Da gibt es keine einfache Antwort. Mit von der Partie sind global aufgestellte Agrarkonzerne der Futtermittel-, Ernährungs- und Agrartreibstoff-Branche. Wichtig sind oft auch nationale Konzerne und Eliten und in manchen Fällen auch andere Staaten, die sich fruchtbares Land außerhalb ihrer Grenzen sichern wollen. Die Akteure, die meistens unter den Tisch fallen und am meisten unterschätzt werden, kommen aus der Finanzbranche: Banken, Investmentgesellschaften, Pensionskassen und so weiter. Deren Aktivitäten sind nur schwer zu durchschauen und werden auch kaum von staatlicher Seite kontrolliert und reguliert. Pensionskassen beispielsweise halten weltweit ein unglaubliches Vermögen – geschätzte 23.000 Milliarden Dollar. Wenn sie alle ihre Anlagestrategien ändern und nur ein Prozent ihres Geldes in Landkäufe oder -pachten stecken, hat dies enorme Auswirkungen weltweit.

Wie stark sind deutsche Konzerne involviert?
2012 waren Berichten zufolge deutsche Firmen mit einer halben Million Hektar Land in Ostafrika am globalen Landgrabbing beteiligt. Aber auch bei diesen Zahlen sind deutsche Banken und Pensionskassen nicht mit aufgeführt. Dabei war die DWS, die Fondsgesellschaft der Deutschen Bank, beispielsweise laut unserer Untersuchung 2010 mit 280 Millionen Euro an Firmen beteiligt, die sich in den vergangenen Jahren mehr als drei Millionen Hektar Land in Afrika, Südamerika und Südostasien gesichert haben. Auch die Ärzteversorgung Westfalen-Lippe, eine ­regionale Pensionskasse der Ärzte, hat sich mit mindestens 100 Millionen Euro an einem 500 Millionen bis eine Milliarde Dollar schweren globalen Landfonds beteiligt, der unter anderem Land in Brasilien aufkauft. Die Firma, die in Brasilien die Inves­titionen verwaltet, ist spezialisiert auf riesige Soja- und Zuckerrohrmonokulturen. Die aggressive Expansion dieser beiden Pflanzen ist eine zentrale Ursache von Menschenrechtsverletzungen im ländlichen Brasilien – Landlose, Bauern und Bäuerinnen kämpfen in Brasilien seit vielen Jahren für ein kleines Stück Land, um sich und ihre Familien zu ernähren.

Welche Rolle spielt hierbei die Politik der deutschen Regierung?
Gerade was die Rolle deutscher Akteure angeht, leider keine sehr rühmliche. Bei den deutschen Akteuren hätte sie die direkteste und größte Einflussmöglichkeit. Auch menschenrechtlich bewertet müsste sie aktiv werden, um ihre Staatenpflichten umzusetzen – konkret die Pflicht, das Menschenrecht auf Nahrung und andere Menschenrechte zu schützen. Wir haben der Bundesregierung hierzu mehrfach konkrete Vorschläge gemacht.

Welche?
Sie könnte eine Offenlegungspflicht aller Beteiligungen deutscher Akteure an Landtransaktionen einführen und eine verbindliche und unabhängige menschenrechtliche Folgenabschätzung festschreiben. Das wäre sicherlich ein wichtiger erster Schritt. FIAN fordert seit drei Jahren, dass als erster Schritt ein öffentliches nationales Register eingeführt wird, in dem alle Beteiligungen deutscher Akteure an Landnahmen aufgenommen werden. Dies wäre auch eine wichtige Unterstützung der Betroffenen vor Ort, die sich bei möglichen Menschenrechtsverletzungen durch ein solches Register direkt an die Bundesregierung wenden könnten.

Die Landflächen, auf denen Agrokonzerne Mais für Biosprit anbauen, sind für den Nahrungsanbau verloren. Was ist die Folge für die örtliche Bevölkerung?
In den konkreten Fällen, die FIAN unterstützt, verlieren die Menschen oft ihre gesamte Lebensgrundlage. Sie können keine Nahrung mehr für sich selbst anbauen und auch nicht den lokalen Markt mit Nahrungsmitteln versorgen. Sie verlieren so ihre wichtigste Einkommensquelle. Viele sind gezwungen, in die Slums der Großstädte abzuwandern. Einige wenige verdingen sich als Saisonarbeiter auf den neuen Plantagen, auf denen sie zwei bis drei Monate während der Erntezeit für einen Hungerlohn im wahrsten Sinn des Wortes arbeiten, der nicht mehr als ein Überleben sichert. Langfristig bedeutet das einen Exodus aus dem ländlichen Raum, in dem wenige Konzerne auf viel Land mit wenigen Menschen Agrarrohstoffe produzieren. Paraguay ist da ein trauriger Vorreiter – es sollte uns eine Warnung sein.

Nimmt der "verborgene Hunger", also die Mangelversorgung mit lebenswichtigen Nährstoffen, durch Landgrabbing zu?
Ja, auch das ist oft ein Problem. Anbau und Nutzung verengen sich von einer kleinteiligen, vielfältigen und auch kulturell angepassten Landwirtschaft hin zum Anbau von wenigen global gehandelten Pflanzen, wie Zuckerrohr, Palmöl oder eben Mais. Das bedeutet oft ganz konkret, dass weniger Gemüse angebaut und weniger im Wald gesammelte Früchte gegessen werden, da der von der lokalen Bevölkerung genutzte Wald oft ein Teil des Landes ist, das sich die "Landgrabber" unter den Nagel reißen.

In welchem Maße führt Landgrabbing zu politischen Unruhen?
Kürzlich sicherte sich der südkoreanische Konzern Daewoo Logistics für 99 Jahre die Hälfte des fruchtbaren Ackerlands von Madagaskar. In der Folge kam es zu schweren Unruhen. Das ist sicherlich ein herausragendes Beispiel. Auf den Phi­lippinen wurde ein ähnlich großer Deal mit China gestoppt, als er an die Öffentlichkeit drang und es zu Protesten kam. Dabei spielen mehrere Aspekte eine Rolle. Es geht um den totalen Verlust der nationalen Souveränität, wenn eine ganze Region durch einen ausländischen Investor kontrolliert wird. Es geht aber auch – wie etwa in Kenia – darum, dass man während einer massiven Hungerkrise Land zur Ernährung reicherer Länder verteilt. Es gibt aber weitere Zusammenhänge. Legt man beispielsweise ein Diagramm der Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel über ein Diagramm der Aufstände in der arabischen Welt, zeigt sich eine völlige Überschneidung der Aufstände im Frühjahr 2008 und im Jahr 2011 mit den Preisspitzen. Landgrabbing verschärft die Abhängigkeit vom Weltmarkt weiter und multipliziert daher die Effekte von Preissteigerungen auf dem Weltmarkt für die lokale Bevölkerung.

Agrartreibstoffe werden von der EU gefördert. Wie hoch ist ihr Anteil an der Anbaufläche weltweit?
Globale Zahlen sind immer mit Vorsicht zu genießen. Man kann aber sagen, dass der Anbau von sogenannten Energie­pflanzen den größten Anteil am Landgrabbing hat. Einige Studien sprechen von einem 40 bis 70-prozentigen Anteil an allen Landnahmen. Wichtig ist aber, dass viele Pflanzen zu den sogenannten Flexcrops zählen. Sie können zur Ernährung, als Futtermittel, als Agrartreibstoffe oder zur stofflichen Nutzung – Beispiel "Bioplastik" – genutzt werden. Die Nutzung hängt dann davon ab, wo der Konzern am meisten Gewinne machen kann.

Wie beurteilen Sie die Politik der EU in diesem Zusammenhang?
Menschenrechtlich ist es katastrophal, dass EU und Bundesregierung Förderungen beschlossen haben, die explizit weltweit den Anbau stimulieren sollen und menschenrechtliche Risiken dabei einfach ausblenden. Wir fordern hier, die Beimischungsquote für Agrartreibstoffe abzuschaffen und die Förderungen einzustellen.

Das Zusatzprotokoll zum Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte räumt Menschen, deren Recht auf Nahrung verletzt wird, ein internationales Klagerecht ein. Was hält die deutsche Regierung davon ab, das Protokoll zu ratifizieren?
Das sind in erster Linie sicherlich innenpolitische Themen wie Fragen zum Recht auf Arbeit, Hartz IV-Regelsätze, der Umgang mit Asylsuchenden und ähnliches.

Wäre dies ein wirksamer internationaler Hebel gegen Landgrabbing?
Sicherlich wäre das ein wichtiger zusätzlicher Hebel, wenn Menschen, deren Recht auf Nahrung durch Landgrabbing verletzt wurde, auf internationaler Ebene eine Instanz hätten, an die sie ihre Klage richten könnten. Denn gerade bei Landkonflikten ist es oft so, dass Interessen von Investoren und Eliten unabhängige Gerichtsverfahren unmöglich machen.

Was könnte noch politisch zur Eindämmung des Landgrabbing getan werden?
Landgrabbing muss sicherlich auch im Kontext einer 40-jährigen Politik der Diskriminierung der ländlichen Bevölkerung gesehen werden. Landgrabbing ist ein weiteres Symptom dieser massiven Diskriminierung von Bauern und Kleinfischern, von Hirtenvölkern und indigenen Gemeinschaften. Der Diskriminierung muss – wie wir auch aus den Debatten hier in Deutschland wissen – eine Politik der aktiven Förderung, der Inklusion in politische Prozesse und in das Alltagsleben entgegengesetzt werden. Daher muss auch der Blick auf Prozesse geschärft werden und müssen gerade die Betroffenen aktiv und zentral an der Erarbeitung einer Antwort auf diese Fragen beteiligt werden. FIAN ist daher Teil der globalen Allianz gegen Landgrabbing, in der die Organisationen der Betroffenen eine zentrale Rolle spielen. Leider wollen viele einflussreiche Akteure, wie beispielsweise die deutsche Entwicklungszusammenarbeit, den ländlichen sozialen Bewegungen diese zentrale Rolle nicht zugestehen.

Fragen: Uta von Schrenk

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