Hexenjagd

Monica Paulus besucht die Familie Kiupa, die von ihren Nachbarn beinahe getötet wurde.
© Carsten Stormer
In Papua-Neuguinea ist der Glaube an schwarze Magie und Hexen weit verbreitet. Hunderte Menschen fallen ihm jedes Jahr zum Opfer.
Von Carsten Stormer
Bevor wir die Tote sehen, riechen wir sie: Seit drei Tagen verwest der Leichnam in dem feucht-heißen Klima des Hochlands. Waja Lokos geschundener Körper liegt auf einer stockfleckigen Matratze in einer Hütte, ihre Beine sind von Striemen bedeckt, der Bauch aufgebläht. Ihre Schwester weint, während einer ihrer Söhne vergeblich versucht, mit einem Erfrischungsspray den Geruch des Todes zu verdrängen.
Waja Loko war 55 Jahre alt. Sie wurde ermordet, weil man sie für eine Hexe hielt. Angeblich tötete sie einen jungen Mann aus der Nachbarschaft mit dem bösen Blick.
Monica Paulus ist sofort nach Goroka geeilt, als sie von dem Mord erfuhr. Eine befreundete Nonne hatte sie angerufen. Die tote Hexe liege im Dorf Asaroufa, irgendwo dort unten im Tal, erzählte man ihr. Wir hasten durch die Straßen von Goroka, einer kleinen Stadt im Hochland Papua-Neuguineas, nur eine Flugstunde, aber ein gefühltes Jahrhundert von der Hauptstadt Port Moresby entfernt. Es ist acht Uhr morgens. Wir laufen am Markt vorbei, auf dem es Betelnüsse und Gemüse zu kaufen gibt. Betrunkene Männer wanken uns entgegen und lallen "fuck you!". Uve Loko ermahnt uns, schneller zu gehen. "Die Mörder beobachten uns. Es ist nicht sicher hier!", flüstert er, dabei wandert sein Blick unruhig über die Straße.
Papua-Neuguinea ist eigentlich ein Paradies: Östlich von Indonesien und nördlich von Australien gelegen, 6,3 Millionen Einwohner, achthundert Ethnien, rauchende Vulkane, reißende Flüsse, endloser Dschungel, hohe Berge. Die Menschen sind warmherzig und freundlich, die Uhren laufen langsamer. Doch ist das Land, das erst in den beiden vergangenen Jahrhunderten von der Steinzeit in die Moderne katapultiert wurde, auch Schauplatz des archaischen und blutrünstigen Aberglaubens: Sanguma. So nennt man hier den Glauben an schwarze Magie, böse Geister und Hexen. Hunderte Menschen fallen ihm jährlich zum Opfer, meistens Frauen, aber auch Kinder und manchmal Männer, die man der Hexerei beschuldigt. Sanguma ist die Schattenseite des Paradieses.
Uve Loko ist der Neffe der Toten. Der 28-Jährige ist ein kräftiger Mann mit schmutzverkrusteten Händen und fauligen Zähnen. Er trägt eine Häkelmütze in den Nationalfarben Neuguineas: schwarz, rot und gelb. Wir biegen an einem Friedhof links ab, klettern über einen Zaun, laufen durch Bananenplantagen, über Kassavafelder, kämpfen uns durchs Gestrüpp und blicken uns immer wieder um, ob uns jemand folgt. Durch das Dickicht dringt das Wehklagen einer Trauerfeier. Am Ende des Pfads stehen zwei Hütten im Schatten eines Baums.
Monica Paulus presst ein Taschentuch vor ihr Gesicht, um das Atmen erträglicher zu machen. Sie ist eine rundliche Frau mit kurz geschorenem Haar und traurigen Augen. Die 42-Jährige kennt den Anblick toter Frauen. Seit vier Jahren kämpft sie gegen den Irrglauben, zieht durch die Dörfer des Hochlands, spricht mit Überlebenden oder Familien von Opfern, schreibt ihre Geschichten auf, vermittelt Anwälte, versteckt vermeintliche Hexen bei sich zu Hause oder bei Freunden, hilft ihnen bei der Polizei gegen die Täter auszusagen oder bringt sie ins nächste Krankenhaus – meistens bezahlt sie all dies aus eigener Tasche. Manchmal arbeitet sie für die Vereinten Nationen als Übersetzerin, ansonsten verkauft sie Gemüse, das sie zu Hause anbaut. Sie hat nur wenige Verbündete: Mitarbeiter von Hilfsorganisationen oder der UNO, Menschenrechtler, Ärzte. Der Leiter der Mordkommission in ihrem Heimatort Kundiawa steht auf ihrer Seite, und ein Arzt, der Sanguma-Opfer im Krankenhaus von Kundiawa kostenlos behandelt.
Wie viele Menschen dem Aberglauben jedes Jahr zum Opfer fallen, kann niemand genau sagen. Sie werden willkürlich stigmatisiert, gefoltert und getötet, weil sie angeblich mit schwarzer Magie oder bösem Blick den Tod eines Menschen verursacht oder eine Krankheit ins Dorf gehext haben, wie zum Beispiel Aids, Tuberkulose oder Blutvergiftung. Seitdem sich das Aidsvirus in der Bevölkerung verbreitet, steigt auch die Zahl der Sanguma-Toten. Angebliche Hexen werden auch für schlechte Ernten, Unfälle, Ehebruch und Diebstahl verantwortlich gemacht – alles wird auf Sanguma geschoben. Tritt ein Unglück ein, setzen sich die Clans und Familien zusammen und bestimmen, wer dafür büßen muss. Meistens sind es alleinstehende Frauen, Witwen, Kranke, Eigenbrötler, Menschen, die sich von der Gemeinschaft abwenden, Geisteskranke.
Inzwischen hat auch die Regierung das Problem erkannt und ein Gesetz gegen Hexenverfolgung erlassen. Lokale Zeitungen berichten wöchentlich über Sanguma-Morde, doch Statistiken gibt es nicht. Auch wer überlebt oder fliehen kann, ist gebrandmarkt. Der Makel überträgt sich selbst auf die Kinder wie ein geerbter Fluch, und das Urteil macht vogelfrei: Wer der Hexerei verdächtigt wird, muss jederzeit mit dem Tod rechnen. Sangumas willige Vollstrecker sind fast immer junge Männer, aufgepeitscht von Drogen und Alkohol, arbeitslos und ungebildet.
Der Fall von Waja Loko
So war es auch im Fall von Waja Loko, der angeblichen Hexe von Asaroufa. Mehrere Männer kamen in das Dorf, um den Tod des Nachbarn zu sühnen, der zwei Wochen zuvor an einer sonderbaren Krankheit gestorben war. Niemand wusste, woran er gestorben war, doch eins war gewiss: Es musste Hexerei im Spiel sein. "Sanguma!", lallten sich die Mörder zu und suchten eine Erklärung in schwarzer Magie. Diese Nacht, hatten die Männer beschlossen, war Zahltag im Dorf Asaroufa. Jemand sollte büßen.
Sie tranken sich flaschenweise Mut an, rauchten Marihuana und tanzten sich in Stimmung. Sie wankten den Pfad hinunter, wo die drei Frauen, die sie verurteilt hatten, in ihren Hütten schliefen. Mit jedem Schritt schaukelten sich die Männer mehr in Rage. Dann zerrten sie die Frauen aus ihren Hütten und banden sie an einen Baum, zwanzig, vielleicht dreißig Männer, die nach Schweiß, Betel und Fusel stanken. "Hexen, ihr seid Hexen", schrien sie die Frauen an, spuckten ihnen ins Gesicht und verlangten mit Messern und Knüppeln ein Geständnis.
Währenddessen kauerte Lekaphi Loko in ihrer Hütte, hielt sich die Ohren zu und beobachtete durch ein Loch in der Wand, wie man ihre Schwester langsam tötete: Sie schlugen mit Stöcken zu, brachen Rippen, warfen Steine und rammten glühende Drähte unter die Haut der Gefesselten; sechs Stunden lang. Als die Frauen endlich gestanden, holte jemand die Axt aus dem Gebüsch. Waja Loko war sofort tot, die beiden anderen Frauen entkamen, erzählt Lekaphi Loko. Die 65-Jährige ist klein und schmal. Das Leben hat tiefe Furchen in ihr Gesicht gegraben.
Sie kauert neben der Ermordeten, streichelt ihr die Wangen und massiert ihre Kopfhaut, so als könne sie ihre Schwester damit wieder zum Leben erwecken
Eine der überlebenden Frauen soll sich in dem Dörfchen Kama verstecken, nicht weit von hier. Wo sich die dritte Frau aufhält, weiß niemand. Vielleicht ist sie tot, verblutet im Busch, vielleicht versteckt sie sich auch irgendwo. Monica Paulus bittet einen Verwandten von Waja Loko, sie nach Kama zu führen.
Rose Bob muss sich verstecken
Rose Bob liegt auf einer Matratze und starrt ins Leere. Ihr Mund wirkt wie ein Riss im Gesicht, die Arme hat sie um ihren Körper geschlungen; als hätte jemand sie in eine Zwangsjacke gesteckt. Ihr Rücken ist mit blauen Flecken und blutigen Striemen übersät. Als sie von den Ereignissen vor drei Tagen erzählt, wird ihre Stimme dünner und dünner, bis sie kaum noch zu hören ist.
Rose Bob ist 28 Jahre alt und das Leben, das sie bis jetzt kannte, existiert nicht mehr. Wer sie beschuldigt hat, schwarze Magie auszuüben, weiß sie nicht, auch den Grund dafür kennt sie nicht. Ihr neues Leben wird darin bestehen, sich zu verstecken. "Sie werden mich finden und umbringen", sagt sie, ihre Stimme überschlägt sich, Tränen laufen die Wangen herunter.
Als man Rose Bob die Fesseln durchtrennte, um sie zu ermorden, rannte sie weg. Sie blickte sich nicht um, lief, bis sie nicht mehr konnte und versteckte sich im Gebüsch. Zum Glück folgte ihr niemand. Jetzt verkriecht sie sich hier im Dörfchen Kama, eine Ansammlung aus windschiefen Hütten, die sich hinter einem Berghang verschanzen – zwei Stunden Fußmarsch von ihren Verfolgern entfernt.
Jeder Schritt ist eine Qual, jede Bewegung mit Schmerzen verbunden. Sie bewegt sich mechanisch. Zur Polizei will sie nicht, denn die würde sie nur in ihrem Dorf abliefern. "Die Polizisten glauben doch auch alle an Sanguma, und dass ich meine gerechte Strafe erhalten soll. Ich habe niemanden getötet, ich bin keine Hexe! Ich bin keine Hexe!" Rose Bob wiederholt dies wie ein Mantra und zeigt dann eine Röntgenaufnahme, die man im Krankenhaus von Goroka gemacht hat – zwei gebrochene Rippen. Sie hat Schnittwunden an beiden Oberarmen – von den Buschmessern. Jetzt ist sie auf Almosen ihrer Familie angewiesen und hofft, dass die Verwandten ihr Versteck nicht verraten. Manchmal sitzt sie nur da, den Mund wie zum Schrei aufgerissen. Rose Bob lebt – aber man hat ihr das Leben gestohlen, denn ab jetzt führt sie ein Dasein in ständiger Todesangst.
Monica Paulus sitzt neben Rose Bob, streichelt ihre Hände und hört sich ihre Geschichte an, nur manchmal fragt sie sanft. Diese Hütte, die sich an den Abhang quetscht, ist ein gutes Versteck, findet Monica Paulus, abgeschirmt durch Pinien, Eukalyptusbäume und Büsche, weit weg von ihrem Heimatdorf. Monica Paulus schlingt den Arm um Rose Bob, flüstert ihr Mut zu, wischt eine Träne aus dem Gesicht der jungen Frau und drückt ihr, als niemand hinsieht, zwanzig Kina in die Hand, umgerechnet knapp sechs Euro, mehr hat sie nicht bei sich.
Monica Paulus kämpft gegen die Unwissenheit
Monica Paulus ist eine Einzelkämpferin. Vor vier Jahren ist sie selbst nur knapp dem Tod entronnen, weil ihr Stiefbruder sie der schwarzen Magie beschuldigte, nachdem der Vater an einem Schlaganfall gestorben war. "Er wollte das Erbe für sich haben", sagt Monica Paulus, ihr Mund lächelt dabei, ihre Augen nicht. Die Gründe sind meistens so banal wie tödlich: Eifersucht, Habgier, Erbschaftsstreitereien, Besitzansprüche. Sanguma ist die einfache Lösung, um Familienangehörige, Feinde, Nebenbuhler oder Konkurrenten loszuwerden.
Seit vier Jahren hat Monica Paulus ihre Familie nicht mehr besucht – zu gefährlich. Ihre drei Kinder trifft sie zuweilen heimlich. Der Ehemann, ein Polizist, hat sich von ihr getrennt. Monica Paulus ist allein und alles, was sie aufrecht hält, ist der Kampf gegen den Aberglauben und für dessen Opfer. Sie hat immer noch Angst. Selbst nach vier Jahren bekommt sie Panik, wenn jemand unangemeldet an ihre Tür klopft: Jetzt holen sie mich und bringen mich um, denkt sie dann. Stirbt jemand unerwartet in ihrer Umgebung, befürchtet sie, dass man ihr die Schuld gibt.
Wut? "Nein, was geschehen ist, ist geschehen." Ihr Schicksal habe ihrem Leben eine Richtung gegeben, ein Ziel. Daraus schöpfe sie Kraft. "Niemand hilft uns, aber wir müssen für unser Recht kämpfen. Wenn wir uns verstecken, wird niemand von unserem Schicksal erfahren. Wir müssen uns wehren, sonst bringen sie uns um."
Es ist ein Kampf gegen Gleichgültigkeit und Unwissenheit. Niemand fühlt sich verantwortlich, weil die meisten glauben, dass die Opfer ihre gerechte Strafe bekommen.
In der Polizeistation von Goraka sitzt Sergeant Fogi Kotfege an seinem Schreibtisch, vor ihm ein Stapel Akten mit unerledigten Fällen und ein defekter Computer. Der Strom ist gerade mal wieder ausgefallen, Schimmel frisst sich durch den Putz. Monica Paulus erzählt dem Polizisten von der toten Hexe. Ja, sagt er, er habe von dem Mord an Waja Loko gehört, sehr tragisch. Aber bisher sei er leider noch nicht dazugekommen, den Fall zu untersuchen.
Er bittet um Nachsicht, denn die wenigen fahrtüchtigen Fahrzeuge seien gerade alle im Einsatz, und der Rest habe kein Benzin. Außerdem habe er nicht genügend Personal, um den Fall zu bearbeiten – und Zeugen gebe es bestimmt auch nicht. Er zuckt mit den Schultern. Mehr Sorgen macht Sergeant Fogi Kotfege, dass die Clans und Familien nun aufeinander losgehen könnten, um abzurechnen. Ansonsten ist der Fall erledigt. Er reicht Monica Paulus die Hand und bittet sie zu gehen.
Alltag im Hochland von Neuguinea: Die Opfer werden alleingelassen, die Täter kommen meistens ohne Strafe davon. In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Fälle von Hexenverfolgung: In Mount Hagen, Immeguna, Sirau, Emai, überall. Drei Stunden Busreise und unzählige Schlaglöcher von Goroka entfernt liegt das Städtchen Kundiawa. Monica Paulus möchte dort ihre Freundin Maxi Annah Gelupa besuchen. Die 27-jährige Krankenschwester fürchtet um ihr Leben, seitdem ihre Schwiegereltern sie beschuldigen, das Essen ihres Schwagers mit Aids vergiftet zu haben. Anfang des Jahres brachte man ihn in das Krankenhaus, in dem Maxi arbeitet. Sechs Wochen später war er tot, an Aids gestorben. Seitdem versteckt sich Maxi Annah Gelupa bei einer Freundin.
Billy Kiupa kennt die Täter
Der rostige Laster ohne Türen und Windschutzscheibe rumpelt den Berg hinauf, immer höher und höher. Von hier aus hat man einen atemberaubenden Blick auf das Bergpanorama der Eastern Highlands, im Dunst liegt das Massiv des Mount Wilhelm, des höchsten Berges in Neuguinea, weit unten im Tal glitzert der Fluss Wahgi in der Nachmittagssonne. Monica Paulus wird auf der Ladefläche des Lasters durchgerüttelt, für die Schönheit der Natur hat sie keinen Blick. Ihr Ziel ist das Bergdorf Giu. Dort hat sie eine Verabredung mit der Familie Kiupa, die als Hexer gelten.
Der 63-jährige Billy Kiupa und seine Zweitfrau Doris sitzen auf der Terrasse ihres Hauses und trinken selbstangebauten Kaffee. Mühsam erhebt sich Doris aus ihrem Stuhl und humpelt auf einer Krücke in die Wohnstube, um ein paar Avocados zu holen. Dass die 52-Jährige humpelt, ist ein Andenken an die Nacht, die sie beide nur durch Zufall überlebten.
Damals umzingelten etwa hundert Männer das Wohnhaus, in dem Billy mit seiner Ehefrau Rose und seiner Zweitfrau Doris schlief. Der Mob wollte die Familie lynchen. Sie drangen in das Haus ein, warfen Doris vom Balkon und brachen ihr Becken und die Hüfte. Mit Macheten schlugen sie auf Billy und Rose ein und bewarfen sie stundenlang mit Steinen. Der Anführer der Bande sagte, die Kiupas seien Hexer und schuld am Tod des Dorfbürgermeisters. Als der Morgen graute, ließen sie von Billy und Doris ab. Rose banden sie an die Stoßstange eines Autos und schleiften sie die Straße hinunter zum Fluss. Dort warfen sie ihren Leichnam ins Wasser.
Schweigen. Monica Paulus nippt an ihrem Kaffee, die Avocados liegen unberührt vor ihr auf dem Teller. Sie ist mit den Kiupas befreundet, seit sie diese kurz nach dem Angriff im Krankenhaus traf. Doris Kiupa wischt sich mit der Hand über ihr Gesicht, Tränen laufen ihr über die Wangen. Der Überfall geschah vor einem Jahr, noch immer leiden die Kiupas an den Folgen. Doris hat jede Nacht Albträume und kann nur unter Schmerzen gehen, die gebrochene Hüfte ist nur schlecht verheilt. Billy zeigt die Narben an seinem Schädel und an den Unterarmen. Im Krankenhaus von Kundiawa wurden sie zwar kostenlos behandelt, wie alle Sanguma-Opfer, aber gegen die psychischen Schäden kann man dort nicht viel tun. Billy Kiupa kennt die Täter alle persönlich, aber bislang wurde niemand verurteilt.
Uve Loko fühlt sich schuldig
Während sich Billy und Doris Kiupa in den Trümmern ihres Lebens einrichten, die Krankenschwester Maxi Annah Gelupa sich vor ihren Schwiegereltern versteckt, trauern in Asaroufa Angehörige und Clanmitglieder um Waja Loko. Frauen liegen sich in den Armen und weinen. Verwandte kommen aus Nachbardörfern und sprechen ihr Beileid aus. Die Männer, die den Leichnam in den Sarg legen, tragen Atemschutzmasken. Der Verwesungsgeruch mischt sich mit dem Erfrischungsspray. Bunte Falter hüpfen von Busch zu Busch und ein paar Kinder führen ein Ferkel an einer Leine spazieren.
Wenige Meter abseits sitzt Uve Loko, der Neffe der Toten, unter einer Pinie und flüstert Monica Paulus etwas ins Ohr. Die Familie der Toten bittet sie, an der Beerdigung teilzunehmen. Er zittert und weint. Monica Paulus streicht ihm übers Haar, nickt ab und zu mit dem Kopf, hört zu und sagt kein Wort. "Ich wollte nicht, dass sie stirbt", jammert Uve Loko und verbirgt sein Gesicht in den Händen. "Wir wollten ihr doch nur eine Lektion erteilen, damit sie mit Sanguma aufhört."
Ein paar Schritte von ihm entfernt heben zwei junge Männer das Grab aus. "Die beiden waren dabei, als meine Tante ermordet wurde", sagt Uve Loko in Pidgin und zeigt auf die Männer. "Der da hinten auch, der auch, und der auch", er zeigt auf Männer, die am Sarg und zwischen den Trauernden stehen; es sind Familienangehörige, Freunde, Nachbarn. Sie rauchen selbstgedrehte Zigaretten aus Zeitungspapier und lachen. "Woher weißt Du das, Uve", fragt Monica Paulus. Und dann erzählt Uve sein Geheimnis, das an ihm nagt: Er war derjenige, der seine Tante der Hexerei beschuldigte und dem Mob die Erlaubnis gab, sie in der Mordnacht zu verhören. "Ich war mir sicher, dass sie eine Hexe ist! Sie hatte keine Kinder, ihr Mann starb an einer Krankheit, die niemand kannte, ihr Bruder auch. Wer sollte sonst dafür verantwortlich sein?"
Uve Loko hat die Männer in der Mordnacht zu seiner Tante geführt und schlief anschließend zu Hause seinen Rausch aus. Er bittet Monica Paulus, es nicht seiner Mutter zu verraten. Sie verspricht es, unter einer Bedingung: Dass er andere Frauen, die man als Hexe verdächtigt, beschützt. Nur so könne er seine Schuld wieder gut machen.
Uve Loko nickt heftig und umarmt Monica Paulus. Dann springt er auf, schnappt sich eine Schaufel und stellt sich zu den Jugendlichen, die seine Tante ermordet haben, um mit ihnen gemeinsam das Grab auszuheben. Als sie den Sarg in die Erde lassen, blickt Uve Loko so lange in die Grube, bis sie zugeschüttet ist. Dann legt er eine Plastikblume auf den Grabhügel. Neben ihm steht seine Mutter und beweint ihre Schwester.
Zwei Tage nach der Beerdigung wird eine weitere Frau in der Gegend wegen Sanguma ermordet.
Der Autor ist freier Journalist und lebt in Manila.
Info-Kasten: Papua-Neuguinea
Das Land, das im 19. Jahrhundert eine deutsche Kolonie war, hat heute die höchste Aids-Rate im gesamten pazifischen Raum. Die Regierung spricht von zwei Prozent Infizierten, doch diese Zahl ist mit Sicherheit stark untertrieben. Hilfsorganisationen zufolge ist jede dritte junge Frau HIV-positiv. Bis 2025, so schätzen Experten, könnte es eine halbe Million Infizierte geben. Die Bergbewohner können der Krankheit nichts entgegensetzen. Zur Schulmedizin haben die 5,5 Millionen Menschen kaum Zugang. Von der Hauptstadt Port Moresby führen bis heute keine Straßen ins Landesinnere. Das Gesundheitswesen ist völlig unzureichend, die Menschen sind auf sich allein gestellt. Viele flüchten sich daher in alte Traditionen.
Amnesty International hat die Behörden des Landes wegen der ungestraften Morde mehrfach kritisiert. Die Menschen trauen oft den Behörden nicht und suchen stattdessen übernatürliche Gründe für die Ereignisse, heißt es dazu in einem Amnesty-Bericht. Die Organisation hat die Regierung mehrfach dazu aufgefordert, effektive Maßnahmen zu ergreifen, um die Gewalt zu unterbinden.