Amnesty Journal China 02. Oktober 2009

Der Gott der kleinen Leute

In den achtziger Jahren engagierte sich der ­Schriftsteller Zhou Qing in der chinesischen Demokratiebewegung. Nach seiner Haft deckte er Lebensmittelskandale auf und schrieb über die mangelnden Rechte der Landbevölkerung. Über ein Leben unter Bewachung.

Zhou Qing wirkt ganz harmlos wie er so an seinem Schreibtisch sitzt und sich einen Film auf dem Notebook ansieht: Ein gemütlicher Typ mit Brille, mittelgroß, beleibt, graue Trainingshose, kariertes rustikales Hemd, kinnlange schwarze Haare und ein fülliges, freundliches Gesicht. Doch Zhou Qing ist einer der unbequemsten Menschen für die chinesische Regierung. Der 44-jährige Journalist und Schriftsteller legt den Finger in die Wunden des Systems. "Ich bin kein Regimegegner", sagt Zhou. Er sorgt sich nur um sein Land und will, dass es besser wird, für alle.

In zweijähriger Recherche deckte er auf, wie chinesische ­Lebensmittelhersteller durch die Beimischung von Hormonen, Pflanzenschutzmitteln und anderen hochgiftigen Stoffen ihre Produktionskosten drücken. Für die Reportage "What Kind of God", die daraus entstand, erhielt er 2006 den internationalen Lettre Ulysses Award.

Das gleichnamige Buch wurde kurz nach Erscheinen in China verboten, Diskussionen darüber in Internetforen gelöscht. Die Behörden versuchen, den Lebensmittelskandal zu vertuschen, weil er Potential zur Revolte birgt. Denn nichts ist den Chinesen so heilig wie ihr Essen. Ein Sprichwort, auf das der Titel von Zhous Reportage anspielt, besagt: "Das ­Essen ist der Gott der kleinen Leute". In der Geschichte Chinas stand und fiel das Ansehen der Herrschenden nicht zuletzt damit, ob sie das Volk gut ernähren konnten.

Das Buch ist deshalb so brisant für die chinesische Führung, weil es zeigt, dass korrupte Behörden oft mit Giftpanschern in Lebensmittelfabriken unter einer Decke stecken. Zhou schreibt, nur Rechtsstaatlichkeit und unabhängige Medien könnten Chinas Lebensmittel wieder sicher machen. Doch das kommt fast einem Aufruf zum Umsturz gleich, und somit wird Zhou zum Problem für das Regime. "Nichts ist unpolitisch in China", sagt er. Selbst für etwas so Essentielles wie Lebensmittel gilt das.

Zhou Qing ist den Behörden nicht erst seit diesem Buch ein Dorn im Auge. In den achtziger Jahren engagierte er sich in Xi’an, im Nordwesten Chinas, in der Demokratiebewegung und wurde dort als Redakteur einer pro-demokratischen Zeitung zu einem ihrer intellektuellen Köpfe. Nach der Niederschlagung der Bewegung 1989 wurde Zhou dafür zu zweieinhalb Jahre Gefängnis verurteilt. Nach einem Fluchtversuch kam er in Einzelhaft – angekettet. Die Folgen spürt er bis heute: "Manchmal schmerzen meine Gelenke so sehr, dass ich kaum schreiben kann", sagt er und zeigt die gezeichneten Handgelenke.

Heute lebt Zhou in Peking unter ständiger Beobachtung. Immer muss er damit rechnen, wieder verhaftet zu werden. Seine E-Mails und Telefongespräche werden kontrolliert, und seine Wohnung ist verwanzt. Aufpasser vor dem Wohnblock beobachten, wer kommt und geht. "Das fühlt sich an, als ob man nackt in einen öffentlichen Bus steigt", sagt Zhou.

Immer wieder klingeln die Polizisten der Staatssicherheit an seiner Tür und befragen ihn. Das geht schon so lange, dass Zhou mittlerweile ein persönliches Verhältnis zu seinen Aufpassern entwickelt hat. "Unter anderen Umständen würde ich mich gut mit denen verstehen", sagt er. "Manchmal frage ich sie, ob ihre Familien wissen, was sie da tun und ob sie sich dafür nicht schämen." Dann winden sie sich, und er spürt ihr Unbehagen. "Wir haben unsere Vorschriften", entgegnen sie dann, und einer habe kleinlaut zugegeben, ein bisschen peinlich sei ihm das schon. "Ich muss mich nicht schämen für das, was ich tue", sagt Zhou.

Unter der ständigen Kontrolle leidet nicht nur er selbst, sondern auch seine Familie. Kurz vor den Olympischen Spielen in Peking im vergangenen Jahr behelligten Staatsdiener seine Ex-Frau, von der er seit gut zehn Jahren geschieden ist und zu der er kaum noch Kontakt hat. Zhou wurde gedroht, wenn er nicht aufhöre, sich kritisch zu äußern, würden die Behörden dafür sorgen, dass sein Sohn keinen Studienplatz bekomme.

Um das zu verhindern, schickte Zhou ihn vor ein paar Monaten in die USA, wo er jetzt weiter zur Schule geht. Man ahnt, wie schwer ihm das gefallen sein muss. Täglich telefoniert er mit ihm über Skype. Dann verändert sich seine Stimme. Das so hart klingende Chinesisch wird ganz weich, säuselnd. Auf dem Bildschirm erscheint über Webcam ein schüchterner 16-jähriger Junge, der leise von seinem neuen Leben erzählt.

Die Behörden haben Zhou mehrfach nahegelegt, auszuwandern. Doch das will er nicht. "Ich kann nur über die Missstände in meinem Land schreiben, wenn ich dort bin", sagt er. Er lässt sich nicht mürbe machen. Und er hofft weiter auf mehr Demokratie. "Wenn ich nicht daran glauben würde, könnte ich meine Arbeit nicht fortsetzen", sagt er. Derzeit schreibt Zhou über die ungleichen Rechte von Stadt- und Landbevölkerung in China.

Doch hin und wieder braucht Zhou eine Auszeit. Von Oktober 2008 bis Juli 2009 lebte er als Stipendiat im Heinrich-Böll-Haus bei Köln. Eine Auszeit, in der er sich ganz dem Schreiben widmen konnte. "Unter Druck arbeitet man nicht gut", sagt er. Zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse Anfang Oktober wird sein Buch über die chinesische Lebensmittelindustrie auf Deutsch erscheinen. Höchst peinlich für das Gastland China.

Von Nina Ritter.
Die Autorin reist als freie Journalistin regelmäßig nach China.

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