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Kultur der Demütigung
Die systematische Misshandlung von Gefangenen durch das US-Militär
in Guantánamo diente als Vorbild für die Spezialeinheiten im Irak und
Afghanistan, wie jetzt ein Untersuchungsbericht des US-Senats belegt.
Die US-Regierung unter George W. Bush legte viel Wert auf Geheimhaltung. Auch die Methoden, mit denen die CIA mutmaßliche Terroristen verhörte, erklärte sie zum Staatsgeheimnis. Als in Guantánamo die Prozesse gegen die mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001 begannen, saßen deshalb die wenigen zugelassenen Zuschauer hinter schalldichtem Glas. Den Ton der Aussagen vor den Militärkommissionen bekamen sie nur zeitverzögert zu hören. Sobald ein Angeklagter von den Misshandlungen sprach, denen er ausgesetzt war, schaltete ein Zensor den Ton ganz ab.
Dank der neuen US-Regierung unter Präsident Barack Obama werden jetzt immer neue Details aus dem von Bush ausgerufenen "Krieg gegen den Terror" bekannt. Wir kennen jetzt die Menge an Wasser, die Rechtsgutachter des Justizministeriums beim so genannten "Waterboarding" für angemessen hielten und die Zeit, die ein Gefangener in eine enge Kiste gesperrt werden durfte, so dass nach ihrer Ansicht die Schwelle zu verbotener Folter noch nicht überschritten war.
Auch neue Details zur Vorgeschichte der Folterfotos aus Abu Ghraib sind inzwischen öffentlich, seit Ende April das Pentagon große Teile eines Berichts des US-Senats freigegeben hat. Die Untersuchung, erstellt unter Leitung des demokratischen Senators Carl Levin und des Republikaners John McCain, bringt keine spektakulären neuen Erkenntnisse ans Licht. Sie zeigt aber, wie sich die Misshandlungsmethoden, die der damalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld am 2. Dezember 2002 für die Anwendung an Gefangenen in Guantánamo genehmigte, im US-Militär ausbreiteten.
Auch, dass Rumsfeld die Genehmigung für einen Teil der Methoden kurz darauf wieder zurücknahm, änderte daran nichts. Die Methoden – darunter Nacktheit und das Ausnutzen persönlicher Phobien, wie der Angst vor Hunden – wurden Vorbild für eine Verhörrichtlinie der Spezialeinheiten in Afghanistan. Später wurde nur der Briefkopf geändert und die gleiche Richtlinie für die Truppen im Irak erlassen. Als die Verhöre in Abu Ghraib nicht die erwünschten Ergebnisse brachten, schickte das Verteidigungsministerium Guantánamo-Kommandant Miller. Er forderte, die Gefangenen in Abu Ghraib "härter anzufassen". Der Bericht zeigt auf 232 Seiten in vielen weiteren Einzelheiten, wie sich insgesamt eine Kultur der Misshandlung, Demütigung und Folter im US-Militär verselbstständigte.
Die Fotos aus Abu Ghraib katapultieren einen besonders abstoßenden Ausschnitt dieser Kultur ins Bewusstsein der Menschen rund um die Welt. Für viele besiegelten sie die moralische Niederlage der USA im Irakkrieg. Ausgerechnet in Abu Ghraib, dem Gefängnis, das unter Saddam Hussein für Folter und Exekutionen berüchtigt war, misshandelten jetzt US-Soldaten irakische Gefangene. Die Bilder wurden zur Propagandawaffe für Al Qaida und andere Dschihadisten.
Das meiste, was auf den Bildern zu sehen ist, erscheint im Rückblick als eine Interpretation der Verhörtechniken, die in Guantánamo zeitweise erlaubt waren. "Verhörmethoden wie die Gefangenen nackt ausziehen, sie in Stresspositionen zwingen, Militärhunde benutzen, um sie einzuschüchtern, tauchten im Irak erst auf, nachdem sie für den Gebrauch in Guantánamo und Afghanistan erlaubt worden waren", schließt der US-Verteidigungsausschuss aus dem Untersuchungsbericht. Den Soldaten war auch das Vorgehen der CIA, der eine noch größeren Palette von grausamen Methoden erlaubt war, nicht unbekannt. Denn in dem Gefängnis war nicht nur das Militär selbst aktiv. Der Geheimdienst verhörte dort so genannte "Geistergefangene", also Gefangene, die nicht beim Roten Kreuz registriert waren.
Nach der Veröffentlichung der Fotos im Mai 2004 versuchte sich die US-Regierung in Schadensbegrenzung: Donald Rumsfeld trat vor die Presse, übernahm "die volle Verantwortung" – und blieb im Amt. Die "schrecklichen Taten", von denen Rumsfeld sprach, stellte sein Stellvertreter als Taten von einzelnen schwarzen Schafen ("bad apples") dar. Verfahren wurden lediglich gegen die unmittelbar beteiligten Soldaten eingeleitet.
Heute sitzt nur noch Charles Graner, der als Anführer der in den Fotos gezeigten Wachmannschaft gilt, im Militärgefängnis in Fort Leavenworth seine zehn Jahre Haft ab. Sein Anwalt will das Urteil gegen Graner jetzt anfechten. Der neue Untersuchungsbericht zeige, dass Graner zum Sündenbock gemacht worden sei. Wer wollte ihm da widersprechen.
Von Ferdinand Muggenthaler
Der Autor ist USA-Experte der deutschen Amnesty-Sektion.