Amnesty Report 23. Mai 2018

Angola 2017/18

Report Cover 17/18

Agroindustrielle Großprojekte führten zur Vertreibung der ansässigen Bevölkerung von ihren Landflächen. Obwohl das restriktive NGO-Gesetz außer Kraft gesetzt wurde, nahmen die Handlungsspielräume von Menschen, die ihre bürgerlichen und politischen Rechte wahrnehmen wollten, 2017 weiter ab. Friedliche Demonstrierende wurden gewaltsam unterdrückt und Regierungskritiker wegen Verleumdung angeklagt. Versuche der Nationalversammlung, Schwangerschaftsabbrüche ausnahmslos zu verbieten, wurden abgewehrt. 

Hintergrund

Am 23. August 2017 fand in Angola eine historische Wahl statt, aus der João Lourenço von der regierenden Volksbewegung für die Befreiung Angolas (Movimento Popular de Libertação de Angola – MPLA) als Präsident hervorging. Nach Angaben der Wahlbehörde stimmten 61 % der Wähler für die MPLA. 2012 waren es noch 81 % gewesen. Oppositionsparteien wie die Nationale Union für die völlige Unabhängigkeit Angolas (União Nacional para a Independência Total de Angola – UNITA), das Wahlbündnis zur Rettung Angolas (Convergência Ampla de Salvação de Angola – Coligação Eleitoral, CASA-CE) und die Nationale Front zur Befreiung Angolas (Frente Nacional de Libertação de Angola) vertraten die Ansicht, dass die Wahlergebnisse nicht rechtens seien. Dennoch nahmen sie ihre Sitze in der Nationalversammlung ein.

Die anhaltende Wirtschaftskrise führte dazu, dass immer mehr Menschen mit der MPLA unzufrieden waren. Die Regierung reagierte auf die Krise mit Plänen für die Entwicklung von agroindustriellen Großprojekten, großflächiger Landnahme und der Enteignung der Landbevölkerung. Damit gefährdete sie die Sicherung des Lebensunterhalts der Betroffenen.

Das politische Klima war zunehmend von Intoleranz geprägt, ein Phänomen, das zum Teil durch die gleichgültige Haltung der Regierung gegenüber der Gewalt zwischen Anhängern der MPLA und der UNITA in Monte Belo in der Provinz Benguela befördert wurde. Nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der Regierung und der UNITA im Jahr 2002 war es in Monte Belo zu einer zunehmenden Polarisierung zwischen Anhängern der MPLA und der UNITA gekommen, die sich auch in Gewalttaten manifestierte. Die Bewohner von Monte Belo litten wegen ihrer vermeintlichen Zugehörigkeit zu jeweils einer der beiden Parteien auch 2017 unter Verfolgung, Gewalt, Morddrohungen, Einschüchterungsversuchen und Plünderungen. Trotz öffentlicher Kritik aus den Reihen der Zivilgesellschaft ließ die Regierung es zu, dass sich eine Kultur der Straflosigkeit und der gewalttätigen politischen Intoleranz entwickeln konnte.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Um Kritiker, vor allem Journalisten und Wissenschaftler, mundtot zu machen, bedienten sich die staatlichen Stellen u. a. der Verleumdungsgesetze und schränkten damit die Meinungsfreiheit und den Zugang zu Informationen ein. Der Missbrauch der Justiz und anderer staatlicher Institutionen war ein gängiges Mittel, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Die Nationalversammlung nahm im Januar 2017 ein aus fünf Gesetzentwürfen bestehendes Gesetzespaket zum Medienrecht an. Es handelte sich dabei um das Presse-, das Journalismus-, das Rundfunk- und das Fernsehgesetz sowie das Gesetz über die Regulierungsbehörde für soziale Medien.

Die Gesetze enthielten Bestimmungen, die das Recht auf freie Meinungsäußerung einschränkten. Diese zielten vor allem auf die Einschränkung der Pressefreiheit ab. Sie enthielten u. a. Verbotsbestimmungen für die Kommunikation in sozialen Medien und Bestimmungen für die Schaffung einer Regulierungsbehörde für soziale Kommunikation mit weitreichenden Regulierungs- und Aufsichtsbefugnissen. Die Behörde kann z. B. darüber entscheiden, ob eine bestimmte Meldung den Richtlinien für eine gute journalistische Praxis entspricht. Dies kam einer Vorabzensur und einer Behinderung des freien Flusses von Gedanken und Meinungen gleich. 

Die Behörde bestand mehrheitlich aus Personen, die von der MPLA, der Partei mit den meisten Sitzen in der Nationalversammlung, benannt wurden. Dies gab Anlass zu Befürchtungen hinsichtlich der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Behörde.

Rafael Marques de Morais, investigativer Journalist und Herausgeber der Online-Publikation Maka Angola, und Mariano Brás Lourenço, Journalist und Herausgeber der Zeitung O Crime, wurden am 20. Juni 2017 der "Verleumdung einer staatlichen Autorität" und der "Verunglimpfung eines Staatsorgans" angeklagt, weil sie einen Artikel veröffentlicht hatten, in dem der Erwerb von öffentlichem Land durch den Generalstaatsanwalt hinterfragt wurde.

Recht auf Versammlungsfreiheit

Demonstrationen wurden von den Behörden immer wieder verboten, obwohl sie laut Gesetz nicht genehmigt werden müssen. Wenn Demonstrationen stattfanden, nahmen Polizeikräfte friedliche Demonstrierende häufig willkürlich fest, inhaftierten und misshandelten sie. Das Verhalten der Polizei zog jedoch keine Ermittlungen nach sich.

Am 24. Februar 2017 unterdrückte die Polizei zwei friedliche Proteste der Angolanischen Revolutionsbewegung (Movimento Revolucionário de Angola), die gleichzeitig in der Hauptstadt Luanda und in Benguela stattfanden. Die Demonstrierenden forderten den Rücktritt des Ministers für Territorialverwaltung Bornito de Sousa, der für die Erstellung des Wählerverzeichnisses für die Wahlen im August 2017 zuständig war, gleichzeitig aber für die MPLA für das Amt des Vizepräsidenten kandidierte. Dies wurde als Interessenkonflikt und als Verstoß gegen das Wahlgesetz bewertet. Polizisten legten den Demonstrierenden Handschellen an und zwangen sie, sich auf den Boden zu legen. Dann schlugen sie mit Schlagstöcken auf die Menschen ein.

Am 24. Juni lösten Sicherheitskräfte eine friedliche Demonstration der politischen Gruppierung Comissão do Manifesto Jurídico Sociológico do Protectorado da Lunda Tchokwe mit Gewalt auf, die sich für die Autonomie der Gebiete im Osten und Südosten der Provinz Lunda Norte einsetzt. Die Sicherheitskräfte beschossen die Demonstrierenden mit scharfer Munition und töteten eine unbeteiligte Person. Dreizehn Demonstrierende erlitten Verletzungen; 70 Frauen und Männer wurden festgenommen. Das zuständige Gericht verurteilte sie alle am 28. Juni 2017 zu jeweils 45 Tagen Gefängnis und einer Geldstrafe von 22000 Kwanza (etwa 118 Euro). Bei denen, die die Geldstrafe begleichen konnten, wurde die Haftstrafe sogleich zur Bewährung ausgesetzt. Die anderen mussten die gesamte Haftstrafe absitzen. Die Demonstrierenden hatten u. a. die Einstellung der Verfolgung und willkürlichen Inhaftierungen von Mitgliedern der Bewegung sowie die Freilassung politischer Gefangener aus dem Gefängnis in Cacanda in der Provinz Lunda Norte gefordert.

Recht auf Vereinigungsfreiheit

Das Recht auf Vereinigungsfreiheit wurde weiterhin unterdrückt. Der Handlungsspielraum, innerhalb dessen Menschenrechtsverteidiger, politisch aktive Personen, Journalisten, Sendeanstalten und Organisationen der Zivilgesellschaft ihre bürgerlichen und politischen Rechte ausüben konnten, nahm immer mehr ab. Am 11. Juli 2017 erklärte das Verfassungsgericht jedoch das NGO-Gesetz für ungültig, das 2015 durch den Präsidentenerlass Nr. 74/15 in Kraft getreten war. Das Gesetz hatte den rechtlichen Rahmen für die Arbeit von NGOs beschnitten und der Strafverfolgungsbehörde das Recht gegeben, die Einstellung der Arbeit von angolanischen und internationalen NGOs anzuordnen, wenn der Verdacht auf Geldwäsche oder auf illegale oder schädliche Aktivitäten bestand, die "eine Gefahr für Angolas Souveränität und Integrität darstellen". Der Erlass hatte zivilgesellschaftlichen Organisationen viele Hindernisse in den Weg gelegt, darunter übertriebene Anforderungen und komplizierte Registrierungsverfahren, die exzessive Kontrolle ihrer Aktivitäten sowie Beschränkungen bei der Einwerbung finanzieller Mittel und Sanktionen.

Unfaire Gerichtsverfahren

Am 25. September 2017 begann vor dem Gericht der Provinz Luanda der Prozess gegen eine Frau und fünf Männer, denen die "Planung von Terrorakten" zur Last gelegt wurde. Fünf der sechs Angeklagten hatten bereits ein Jahr in Untersuchungshaft zugebracht. Der Prozess wurde jedoch am selben Tag vertagt, da der Vertreter der Anklage – wie es hieß aus gesundheitlichen Gründen – nicht zur Verhandlung erschien. Das Gericht gab dem Antrag des Staatsanwalts, der für den Erkrankten eingesprungen war, statt und gewährte ihm mehr Zeit für die Einarbeitung in den Fall. Ende 2017 waren die fünf angeklagten Männer immer noch inhaftiert. Die Frau, die mit einem der fünf Männer verheiratet war, befand sich unter Hausarrest.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Die Regierung legte im März 2017 einen Vorschlag zur Änderung des Strafgesetzbuchs vor, nach der Schwangerschaftsabbrüche nicht länger rechtswidrig wären, wenn die Schwangerschaft die Folge einer Vergewaltigung ist oder die Gesundheit der Schwangeren in Gefahr bringt. Die Nationalversammlung lehnte den Vorschlag ab. Die endgültige Abstimmung über das Gesetz wurde zunächst auf einen späteren Termin im März verschoben. Als die Öffentlichkeit mit einem Aufschrei auf die Ablehnung durch die Nationalversammlung reagierte, wurde die Abstimmung über den von der Regierung eingebrachten Liberalisierungsvorschlag jedoch auf unbestimmte Zeit vertagt.

Landkonflikte

Die kontinuierliche Landnahme zu industriellen Zwecken, von der vor allem die südlichen Provinzen Cunene und Huíla betroffen waren, hatte auch 2017 verheerende Folgen für die dort ansässige Bevölkerung, die auf die Landflächen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts angewiesen war.

Die Regierung der Provinz Huíla stellte im April und im Mai 2017 ihr Herdenwanderungs-Projekt vor. Für das Projekt sollte u. a. ein Brunnen beschlagnahmt werden, der von den Bewohnern von Capela de Santo António im Gebiet von Kahila im Kreis Gambos genutzt wurde. In Capela de Santo António leben 600 Familien, die zur Versorgung mit Trinkwasser, dem Tränken ihres Viehs und zur Bewässerung ihrer Böden auf den Brunnen angewiesen sind. Die Gemeindebewohner wurden zu den Plänen nicht konsultiert, und die Behörden führten auch keine Umweltverträglichkeitsprüfung durch. Die Regierung der Provinz Huíla sah nicht von ihrem Vorhaben ab, die Brunnen zu beschlagnahmen, obwohl sie damit gegen die Verfassung und gegen andere Gesetze wie das Landrecht und das Umweltrecht verstieß.

Im Juni 2017 stellte sich heraus, dass die angolanische Regierung dem Großprojekt Agro-Industrial Horizonte 2020 erlaubt hatte, sich 76000 Hektar fruchtbaren Bodens anzueignen, ohne zuvor die freiwillige und informierte Zustimmung der betroffenen Gemeinden eingeholt zu haben. Die Landflächen befinden sich im Westen des Kreises Ombadja und im Süden des Kreises Curoca in der Provinz Cunene. Dort leben am Ufer des Flusses Cunene 39 Gemeinden mit 2129 Familien und 10675 Kindern. Die hier ansässige Bevölkerung hat ihren Lebensunterhalt seit jeher mit Land- und Viehwirtschaft bestritten. Ende 2017 war auf einer Fläche von 15000 Hektar die Vegetation zerstört worden, darunter auch Bäume, die zur Ernährung und als Feuerholz genutzt wurden, und Grasflächen für weidendes Vieh, außerdem Grabstätten. 19 Familien waren von dem Land bereits vertrieben worden und mussten umherziehen, wobei ihre Zugangsmöglichkeiten zu Nahrungsmitteln und Wasser immer kritischer wurden.

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