Amnesty Report Ägypten 22. Februar 2018

Ägypten 2017/18

Report Cover 17/18

Im Juni 2017 trat Präsident Abdel Fattah al-Sisi zwei unbewohnte Inseln im Roten Meer an Saudi-Arabien ab, was zu breiter öffentlicher Kritik führte. Im Juli trat der Assoziationsrat EU-Ägypten erstmals seit 2011 wieder zusammen und billigte die Schwerpunkte der Partnerschaft.

Im Februar 2017 legte ein Parlamentsabgeordneter einen Entwurf für eine Verfassungsänderung vor, die die Amtszeit des Präsidenten von vier auf sechs Jahre verlängern würde. Im April unterzeichnete Präsident al-Sisi eine Reihe von Gesetzesänderungen, die Garantien für faire Gerichtsverfahren schwächten und willkürliche Festnahmen, unbefristete Untersuchungshaft, Verschwindenlassen sowie die Verhängung weiterer Strafen erleichterten. Außerdem erhielten Strafgerichte die Befugnis, Personen und Körperschaften lediglich aufgrund von Polizeiinformationen auf "Terrorismuslisten" zu setzen. Im selben Monat unterzeichnete der Präsident das Gesetz über Justizorgane (Gesetz 13/2017), das ihn ermächtigte, die Vorsitzenden der Justizorgane zu ernennen. Dies betraf u. a. das Kassationsgericht und das Oberste Verwaltungsgericht (Staatsrat). Die beiden Gerichtshöfe hatten bis dahin als die unabhängigsten Justizorgane gegolten, die auch die Exekutive zur Rechenschaft zogen.

2017 wurden mindestens 111 Angehörige der Sicherheitskräfte getötet, die meisten von ihnen im Norden der Sinai-Halbinsel. Zu einem Großteil der landesweit verübten Anschläge bekannte sich Willayet Sinai ("Provinz Sinai"), ein Ableger der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat (IS). Für kleinere Anschläge übernahmen bewaffnete Gruppen wie HasmLiwaa al-Thawra und Ansar al-Islam die Verantwortung. Der IS reklamierte Anschläge auf zwei Kirchen in Tanta und Alexandria für sich, bei denen im April 2017 mindestens 44 Menschen getötet wurden. Bei einem Überfall aus dem Hinterhalt in der westlichen Wüste, einem der seltenen Angriffe im Landesinneren, wurden im Oktober mindestens 16 Angehörige des ägyptischen Innenministeriums getötet. Der Angriff einer bewaffneten Gruppe auf eine Moschee während des Freitagsgebets stellte ein Novum dar. Bei dem Anschlag im Norden der Sinai-Halbinsel wurden im November mindestens 300 Gläubige getötet.

HINTERGRUND

Im Juni 2017 trat Präsident Abdel Fattah al-Sisi zwei unbewohnte Inseln im Roten Meer an Saudi-Arabien ab, was zu breiter öffentlicher Kritik führte. Im Juli trat der Assoziationsrat EU-Ägypten erstmals seit 2011 wieder zusammen und billigte die Schwerpunkte der Partnerschaft.

Im Februar 2017 legte ein Parlamentsabgeordneter einen Entwurf für eine Verfassungsänderung vor, die die Amtszeit des Präsidenten von vier auf sechs Jahre verlängern würde. Im April unterzeichnete Präsident al-Sisi eine Reihe von Gesetzesänderungen, die Garantien für faire Gerichtsverfahren schwächten und willkürliche Festnahmen, unbefristete Untersuchungshaft, Verschwindenlassen sowie die Verhängung weiterer Strafen erleichterten. Außerdem erhielten Strafgerichte die Befugnis, Personen und Körperschaften lediglich aufgrund von Polizeiinformationen auf "Terrorismuslisten" zu setzen. Im selben Monat unterzeichnete der Präsident das Gesetz über Justizorgane (Gesetz 13/2017), das ihn ermächtigte, die Vorsitzenden der Justizorgane zu ernennen. Dies betraf u. a. das Kassationsgericht und das Oberste Verwaltungsgericht (Staatsrat). Die beiden Gerichtshöfe hatten bis dahin als die unabhängigsten Justizorgane gegolten, die auch die Exekutive zur Rechenschaft zogen.

2017 wurden mindestens 111 Angehörige der Sicherheitskräfte getötet, die meisten von ihnen im Norden der Sinai-Halbinsel. Zu einem Großteil der landesweit verübten Anschläge bekannte sich Willayet Sinai ("Provinz Sinai"), ein Ableger der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat (IS). Für kleinere Anschläge übernahmen bewaffnete Gruppen wie HasmLiwaa al-Thawra und Ansar al-Islam die Verantwortung. Der IS reklamierte Anschläge auf zwei Kirchen in Tanta und Alexandria für sich, bei denen im April 2017 mindestens 44 Menschen getötet wurden. Bei einem Überfall aus dem Hinterhalt in der westlichen Wüste, einem der seltenen Angriffe im Landesinneren, wurden im Oktober mindestens 16 Angehörige des ägyptischen Innenministeriums getötet. Der Angriff einer bewaffneten Gruppe auf eine Moschee während des Freitagsgebets stellte ein Novum dar. Bei dem Anschlag im Norden der Sinai-Halbinsel wurden im November mindestens 300 Gläubige getötet.

MENSCHENRECHTSVERTEIDIGER

Im Zuge ihrer unerbittlichen Anstrengungen, alle kritischen Stimmen zum Schweigen zu bringen, schränkten die Behörden die Arbeit von Menschenrechtsverteidigern weiterhin drastisch ein. Im Februar 2017 schlossen die Behörden das Nadeem-Zentrum (Al Nadeem Center for Rehabilitation of Victims of Violence), eine NGO, die sich um die Rehabilitation von Opfern von Folter und Gewalt bemüht. Die strafrechtlichen Ermittlungen gegen Menschenrechtsverteidiger und NGOs, die als "Fall 173" bekannt wurden, dauerten an: Untersuchungsrichter bestellten im Laufe des Jahres mindestens 28 weitere Menschenrechtsverteidiger und NGO-Mitarbeiter zum Verhör ein. Damit waren seit 2013 insgesamt 66 Männer und Frauen im Zusammenhang mit diesem Fall verhört oder strafrechtlich verfolgt worden. Ein Anklagepunkt war der "Erhalt von Finanzmitteln aus dem Ausland, um der nationalen Sicherheit zu schaden", der nach Paragraph 78 des Strafgesetzbuchs mit bis zu 25 Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Die Untersuchungsrichter belegten weitere drei Personen mit einem Reiseverbot. Damit stieg die Zahl der Menschenrechtsverteidiger, die nicht mehr ins Ausland reisen durften, auf 25. Im Januar 2017 ordnete ein Gericht an, die Konten der NGOs Nazra for Feminist Studies und Arab Organisation for Penal Reform sowie die Konten von deren Führungspersonal einzufrieren.

Im Mai 2017 unterzeichnete Präsident al-Sisi ein drakonisches neues Gesetz, das den Behörden weitreichende Befugnisse einräumt, um NGOs die offizielle Registrierung zu verweigern, sie aufzulösen und ihre Verwaltungsräte zu entlassen. Das Gesetz sieht fünf Jahre Gefängnis vor, sollten die Organisationen Rechercheergebnisse ohne Genehmigung der Regierung veröffentlichen. Ende 2017 hatte die Regierung noch keine Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz erlassen.

RECHTE AUF MEINUNGS- UND VERSAMMLUNGSFREIHEIT

Von Januar bis Mai 2017 verurteilten Gerichte mindestens 15 Journalisten zu Gefängnisstrafen zwischen drei Monaten und fünf Jahren. Zu den Anklagepunkten, die ausschließlich auf von den Journalisten verfasste Texte zurückgingen, zählten "Diffamierung" und Veröffentlichung "falscher" Informationen. Am 25. September verurteilte ein Gericht den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten und bekannten Menschenrechtsanwalt Khaled Ali zu drei Monaten Gefängnis wegen "Verstoß gegen die öffentliche Moral". Anlass war ein Foto, das ihn beim Feiern eines Gerichtsbeschlusses zeigte, der verhindern sollte, dass Ägypten zwei Inseln an Saudi-Arabien abtritt. Ab Mai 2017 blockierten die Behörden den Zugang zu mindestens 434 Internetseiten. Betroffen waren u. a. unabhängige Online-Zeitungen wie Mada Masr und Menschenrechtsorganisationen wie das Arab Network for Human Rights Information. Im März 2017 bestellte der Justizminister die beiden Richter Hisham Raouf und Assem Abdelgabar zu einer disziplinarischen Anhörung ein, weil sie an einem Workshop einer ägyptischen Menschenrechtsgruppe teilgenommen hatten, der zum Ziel hatte, ein Antifoltergesetz zu entwerfen.

Die Sicherheitskräfte nahmen von April bis September 2017 mindestens 240 politische Aktivisten und Protestierende in Gewahrsam. Die Anklagen bezogen sich auf Online-Kommentare, die nach Auffassung der Behörden den Präsidenten "beleidigt" hatten, oder auf die Teilnahme an nicht genehmigten Protestaktionen. Im April 2017 verurteilte ein Strafgericht den Anwalt und Aktivisten Mohamed Ramadan auf Grundlage des drakonischen Antiterrorgesetzes in Abwesenheit zu zehn Jahren Gefängnis. Ein Gericht in Alexandria verurteilte die Menschenrechtsanwältin Mahinour El-Masry im Dezember zu zwei Jahren Haft, weil sie sich friedlich an einer Protestveranstaltung beteiligt hatte.

WILLKÜRLICHE FESTNAHMEN UND INHAFTIERUNGEN

Sicherheitskräfte des Innenministeriums ließen weiterhin Menschen verschwinden und richteten Personen außergerichtlich hin, die im Verdacht standen, sich an politisch motivierter Gewalt beteiligt zu haben. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Egyptian Commission for Rights and Freedoms ließen die Sicherheitskräfte zwischen Januar und August 2017 mindestens 165 Personen für die Dauer von sieben bis 30 Tagen verschwinden.

Das Innenministerium gab an, dass im Laufe des Jahres 2017 mehr als 120 Personen bei Schusswechseln mit Sicherheitskräften getötet worden seien. In vielen Fällen waren die Getöteten jedoch zum fraglichen Zeitpunkt bereits in staatlichem Gewahrsam gewesen und Opfer des Verschwindenlassens geworden. Im Mai 2017 erklärte das Ministerium, der Lehrer Mohamed Abdelsatar sei "bei einem Schusswechsel mit der Polizei" gestorben. Seine Kollegen konnten jedoch bezeugen, dass er einen Monat zuvor an seinem Arbeitsplatz festgenommen worden war. Im April kam ein Video an die Öffentlichkeit, das zeigte, wie Militärkräfte im Norden der Sinai-Halbinsel sechs unbewaffnete Männer und einen 17-jährigen Jungen außergerichtlich hinrichteten.

AUßERGERICHTLICHE HINRICHTUNGEN UND VERSCHWINDENLASSEN

Sicherheitskräfte des Innenministeriums ließen weiterhin Menschen verschwinden und richteten Personen außergerichtlich hin, die im Verdacht standen, sich an politisch motivierter Gewalt beteiligt zu haben. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Egyptian Commission for Rights and Freedoms ließen die Sicherheitskräfte zwischen Januar und August 2017 mindestens 165 Personen für die Dauer von sieben bis 30 Tagen verschwinden. 

Das Innenministerium gab an, dass im Laufe des Jahres 2017 mehr als 120 Personen bei Schusswechseln mit Sicherheitskräften getötet worden seien. In vielen Fällen waren die Getöteten jedoch zum fraglichen Zeitpunkt bereits in staatlichem Gewahrsam gewesen und Opfer des Verschwindenlassens geworden. Im Mai 2017 erklärte das Ministerium, der Lehrer Mohamed Abdelsatar sei "bei einem Schusswechsel mit der Polizei" gestorben. Seine Kollegen konnten jedoch bezeugen, dass er einen Monat zuvor an seinem Arbeitsplatz festgenommen worden war. Im April kam ein Video an die Öffentlichkeit, das zeigte, wie Militärkräfte im Norden der Sinai-Halbinsel sechs unbewaffnete Männer und einen 17-jährigen Jungen außergerichtlich hinrichteten.

HAFT UND FOLTER

Folter und andere Misshandlungen blieben in den offiziellen Hafteinrichtungen an der Tagesordnung und wurden in den Haftzentren des nationalen Geheimdienstes systematisch praktiziert. Im Juli 2017 wurde ein koptischer Mann wegen eines Bagatelldelikts festgenommen und auf der Polizeiwache in Manshyet Nasir, einem informellen Stadtteil der Hauptstadt Kairo, inhaftiert. 15 Stunden später war er tot. Familienangehörige sagten aus, sie hätten auf seinem Oberkörper Blutergüsse gesehen. Der offizielle Obduktionsbericht stellte fest, sein Tod sei die Folge einer "mutmaßlichen Straftat" gewesen.

Gefängnisverwaltungen wie die des Tora-Hochsicherheitsgefängnisses oder des Wadi el-Natrun-Gefängnisses bestraften Gefangene, die aus politischen Gründen inhaftiert waren, mit unbegrenzter oder lang andauernder Einzelhaft. Im Februar 2017 änderte das Innenministerium die Gefängnisbestimmungen dahingehend, dass die Dauer der Einzelhaft auf bis zu sechs Monate verlängert werden konnte – eine Praxis, die Folter und anderen Misshandlungen gleichkommen kann. Der politische Aktivist Ahmed Douma verbrachte im Tora-Gefängnis sein drittes Jahr in Einzelhaft und musste täglich mindestens 22 Stunden in seiner Zelle ausharren. Der Sprecher der Muslimbruderschaft, Gehad el-Hadad, wurde seit seiner Festnahme am 17. September 2013 auf unbegrenzte Zeit im Al-Aqrab-Hochsicherheitsgefängnis in Einzelhaft gehalten.

Andere Formen von Misshandlungen und mangelnde medizinische Versorgung waren in Gefängnissen weiterhin an der Tagesordnung. Zahlreiche Inhaftierte starben, weil die Gefängnisbehörden sich weigerten, sie zur medizinischen Behandlung in ein Krankenhaus zu verlegen. Im September 2017 starb der ehemalige Anführer der Muslimbruderschaft Mohamed Mahdi Akef im Gefängnis an Bauchspeicheldrüsenkrebs.

UNFAIRE GERICHTSVERFAHREN

Hunderte Angeklagte wurden nach grob unfairen Massenprozessen verurteilt, gegen einige von ihnen ergingen Todesurteile. Im September 2017 verurteilte ein Strafgericht in Kairo 442 Menschen zu Gefängnisstrafen zwischen fünf und 25 Jahren. Sie hatten im August 2013 an Massenprotesten vor der al-Fateh-Moschee teilgenommen. Das Verfahren gegen die insgesamt 494 Angeklagten war grob unfair. Gerichte verließen sich bei der Urteilsfindung maßgeblich auf Berichte des nationalen Geheimdienstes und ließen Beweise zu, die nicht stichhaltig waren, darunter auch unter Folter erpresste "Geständnisse". Zivilpersonen mussten nach wie vor mit unfairen Gerichtsverfahren vor Militärgerichten rechnen. Mindestens 384 Zivilpersonen wurde 2017 vor Militärgerichten der Prozess gemacht.

TODESSTRAFE

Sowohl ordentliche Gerichte als auch Militärgerichte fällten 2017 weiterhin nach grob unfairen Massenprozessen Todesurteile. Im Juni bestätigte das Kassationsgericht, Ägyptens oberstes Berufungsgericht, die Todesurteile gegen sieben Männer, die in zwei verschiedenen Fällen nach grob unfairen Gerichtsverfahren ergangen waren. Mindestens sechs der Männer waren dem Verschwindenlassen zum Opfer gefallen und gefoltert worden, um "Geständnisse" von ihnen zu erpressen. Das Gericht berief sich bei der Urteilsfindung und Strafbemessung in starkem Maße auf die erzwungenen "Geständnisse". Das Oberste Militärgericht bestätigte im Juni 2017 die Todesurteile gegen vier Männer, die nach grob unfairen Prozessen gefällt worden waren. Die Urteile beruhten auf "Geständnissen", die während 93 Tagen Haft ohne Kontakt zur Außenwelt unter Folter zustande gekommen waren. Am 26. Dezember 2017 wurden 15 Männer hingerichtet, die ein Militärgericht für schuldig befunden hatte, 2013 im Norden der Sinai-Halbinsel neun Angehörige des Militärs getötet zu haben.

RECHTE VON FRAUEN UND MÄDCHEN

Frauen und Mädchen waren weiterhin nicht ausreichend vor sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt geschützt und wurden durch Gesetze und im täglichen Leben diskriminiert. Es wurden weiterhin keine Maßnahmen ergriffen, um die Privatsphäre zu wahren und Frauen zu schützen, wenn sie Fälle von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt zur Anzeige bringen wollten. Dies hielt nach wie vor viele Frauen und Mädchen davon ab, Gewalttaten anzuzeigen. Diejenigen, die Straftaten dennoch zur Anzeige brachten, mussten mit Drangsalierungen und Vergeltungsmaßnahmen seitens der Täter oder deren Familien rechnen. In einigen Fällen machten Staatsbedienstete und Parlamentsabgeordnete die Opfer sexualisierter Gewalt für die Straftaten verantwortlich, weil diese "freizügige Kleidung" getragen hätten. Im März 2017 wurde eine junge Studentin in Zagazig in der Provinz al-Sharkia von einer Gruppe von Männern sexuell bedrängt und angegriffen. Statt die Täter festzunehmen und sie zur Verantwortung zu ziehen, veröffentlichte die Leitung der Sicherheitsbehörde in der Provinz eine Erklärung, in der es hieß, das Opfer habe durch das "Tragen eines kurzen Kleides" den "Angriff der Meute verursacht".

Frauen wurden im Justizwesen weiterhin diskriminiert. Eine Reihe von Frauen, die sich beim Staatsrat als Richterinnen bewerben wollten, erhielten nicht die notwendigen Dokumente, die für eine Bewerbung erforderlich waren. Eine der Frauen reichte Klage gegen den Staatsrat wegen Diskriminierung ein.

RECHTE VON FLÜCHTLINGEN UND MIGRANTEN

Asylsuchende und Flüchtlinge mussten weiterhin mit Festnahme, Inhaftierung und Abschiebung rechnen, wenn sie das Land ohne gültige Reisedokumente betreten oder verlassen wollten. Von Januar bis April 2017 schoben die Behörden mindestens 50 Asylsuchende aus Eritrea, Äthiopien und dem Sudan in ihre Heimatländer ab, darunter auch kleine Kinder. Sie hatten keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand oder zum Amt des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) erhalten. Die Rückführung eritreischer Asylsuchender sowie äthiopischer und sudanesischer Staatsbürger, die Grund zur Annahme hatten, dass ihnen in ihren Heimatländern Menschenrechtsverletzungen drohten, verstieß gegen den Grundsatz der Nicht-Zurückweisung (Non-Refoulement). Im Juli 2017 gingen die Behörden mit Massenfestnahmen gegen chinesische Studierende vor, die überwiegend der ethnischen Minderheit der Uiguren angehörten. Mindestens 200 Personen wurden festgenommen und mindestens 21 Männer und eine Frau wurden nach China abgeschoben, was einen Verstoß gegen das Non-Refoulement-Prinzip darstellte.

RECHTE VON LESBEN, SCHWULEN, BISEXUELLEN, TRANS- UND INTERGESCHLECHTLICHEN

Die Behörden nahmen in ganz Ägypten massenhaft Menschen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung fest und verfolgten sie strafrechtlich. Auslöser der schlimmsten Unterdrückungswelle seit mehr als zehn Jahren war eine Regenbogenflagge, die bei einem Konzert in Kairo am 22. September 2017 geschwenkt wurde. Die Verfolgungsmaßnahmen sorgten in der Öffentlichkeit für Empörung. Die Sicherheitskräfte nahmen mindestens 76 Personen fest und führten mindestens fünf Analuntersuchungen durch, was den Tatbestand der Folter erfüllte. Unter den Festgenommenen waren ein Mann und eine Frau, die für drei Monate inhaftiert wurden, weil sie die Regenbogenflagge zum Konzert mitgebracht hatten, sowie Personen, die im Internet ihre Unterstützung für das Flaggenschwenken bekundet hatten. Viele der Festgenommenen waren von Sicherheitskräften in Internet-Dating-Portalen aufgespürt worden. Gerichte verurteilten mindestens 48 Menschen zu Gefängnisstrafen zwischen drei Monaten und sechs Jahren wegen "gewohnheitsmäßiger Ausschweifung" oder anderen Anklagepunkten. Die übrigen Personen blieben in Gewahrsam und wurden von der Staatsanwaltschaft verhört.

Ende Oktober 2017 schlug eine Gruppe von Parlamentsabgeordneten ein äußerst diskriminierendes Gesetz vor, das vorsah, einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen ausdrücklich unter Strafe zu stellen. Auch jegliche öffentliche Werbung für Veranstaltungen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen sowie das Zeigen von Symbolen und Flaggen sollten demnach strafbar sein. Der Gesetzentwurf sah Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren vor. Sollte eine Person wegen mehrerer Anklagepunkte für schuldig befunden werden, drohten ihr 15 Jahre Gefängnis.

RECHT AUF RELIGIONS- UND GLAUBENSFREIHEIT

Die Behörden verletzten weiterhin das Recht auf Religionsfreiheit, indem sie Christen diskriminierten. Im August 2017 hinderten Sicherheitskräfte zahlreiche koptische Christen daran, in einem Haus im Dorf Alforn (Provinz al-Minya) zu beten, und beriefen sich dabei auf Sicherheitsgründe. Religiös motivierte Angriffe auf christliche Gemeinden wurden weiterhin nicht geahndet. Die Behörden verließen sich vielmehr auf die traditionell übliche Versöhnung und auf Ausgleichsvereinbarungen zwischen örtlichen Behörden und führenden Geistlichen. Dieses Klima der Straflosigkeit trug dazu bei, dass gewaltsame Angriffe auf Christen durch nichtstaatliche Akteure zunahmen. Im Norden der Sinai-Halbinsel töteten bewaffnete Gruppen zwischen dem 30. Januar und dem 23. Februar 2017 sieben koptische Christen. Der Angriff löste einen beispiellosen Strom von Binnenvertriebenen aus. Mindestens 150 koptische Familien, die im Norden der Sinai-Halbinsel gelebt hatten, verließen die Gegend. Die Behörden boten ihnen weder den notwendigen Schutz noch eine angemessene Entschädigung. Im Dezember reklamierte der IS einen Angriff auf eine Kirche in Helwan im Süden Kairos für sich, bei dem zehn Menschen erschossen worden waren.

Im November 2017 wurden bei einem Anschlag auf eine Moschee im Norden der Sinai-Halbinsel während des Freitagsgebets mindestens 300 Gläubige getötet. Niemand bekannte sich zu dem Angriff.

ARBEITNEHMERRECHTE

Zahlreiche Arbeiter und Gewerkschafter sahen sich mit Festnahmen, Prozessen vor Militärgerichten, Entlassungen und verschiedenen Disziplinarmaßnahmen konfrontiert, weil sie von ihrem Streikrecht Gebrauch gemacht oder unabhängige Gewerkschaften gegründet hatten. Im Juni 2017 verurteilte ein Berufungsgericht für Bagatelldelikte in Kairo 32 Arbeiter des Privatunternehmens Tora Cement Company zu zwei Monaten Gefängnis, weil sie nach Ansicht des Gerichts an einer nicht genehmigten Protestaktion teilgenommen und "Sicherheitskräfte angegriffen" hatten. Die Arbeiter hatten jedoch lediglich friedlich mit einem 55-tägigen Sitzstreik gegen ihre Entlassung protestiert. Im Dezember 2017 nahm ein Militärgericht in Alexandria das Verfahren gegen 25 Arbeiter der vom Militär betriebenen Alexandria Shipyard Company wieder auf. In dem Prozess, der im Mai 2016 begonnen hatte, wurde den Angeklagten u. a. "Anstachelung von Arbeitern zum Streik" zur Last gelegt. Die Regierung und der staatlich kontrollierte Gewerkschaftsverband versuchten, den unabhängigen Gewerkschaften die De-facto-Genehmigungen zu entziehen, die ihnen im Jahr 2011 durch eine Erklärung des damaligen Arbeitsministers erteilt worden waren. Die Behörden weigerten sich weiterhin, unabhängige Gewerkschaften offiziell anzuerkennen, und hinderten sie mit einer Reihe von Maßnahmen daran, frei arbeiten zu können. Am 5. Dezember verabschiedete das Parlament ein neues Gewerkschaftsgesetz, das ein Gesetz aus dem Jahr 1976 (Gesetz 35/1976) ersetzte. Das neue Gesetz enthält hohe Hürden für Gewerkschaften. So benötigen sie mindestens 150 Mitglieder, um offiziell anerkannt zu werden, ansonsten droht ihnen automatisch die Auflösung.

RECHTE INDIGENER BEVÖLKERUNGSGRUPPEN

Obwohl das Recht der indigenen Bevölkerungsgruppe der Nubier auf Rückkehr in ihr traditionelles Siedlungsgebiet in der Verfassung ausdrücklich verankert ist, verweigerte die Regierung nubischen Binnenvertriebenen weiterhin den Zugang zu ihrem angestammten Land und bedrohte damit die Erhaltung ihrer kulturellen, historischen und sprachlichen Identität. Am 3. September 2017 hielten nubische Aktivsten eine Protestaktion ab und forderten, ein Dekret des Präsidenten aus dem Jahr 2014 aufzuheben, das 16 Dörfer auf nubischem Gebiet zu militärischen Zonen erklärte und den Nubiern untersagte, dort zu leben. Die Polizei nahm 25 Aktivisten fest und inhaftierte sie für drei Monate.

Weitere Artikel