Amnesty Report 17. Februar 2016

Eritrea 2016

 

Nach wie vor verließen Tausende Menschen das Land, um sich dem zeitlich nicht begrenzten Militärdienst zu entziehen, der Zwangsarbeit gleichkam. Menschen aus Eritrea machten nach syrischen und afghanischen Staatsangehörigen die drittgrößte Gruppe derer aus, die im Sommer 2015 über das Mittelmeer nach Europa kamen. Bei den Menschen, die bei einer Überfahrt umkamen, handelte es sich überwiegend um Eritreer. In Eritrea gab es nach wie vor keine Rechtsstaatlichkeit, die politische Opposition war weiterhin verboten, und unabhängige Medien und Universitäten durften sich nicht betätigen. Die Einschränkungen der Religions- und Bewegungsfreiheit bestanden fort. Nach wie vor befanden sich Tausende gewaltlose politische Gefangene, die willkürlich inhaftiert worden waren, ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren in Haft.

Hintergrund

Im Mai 2015 wurden ein neues Zivil- und Strafgesetzbuch sowie eine neues Zivil- und Strafprozessordnung bekannt gegeben. Die neuen Vorschriften lösten die Übergangsbestimmungen ab, die seit der Erlangung der Unabhängigkeit des Landes in Kraft gewesen waren.

Im September 2015 unterzeichnete ein Gemeinschaftsunternehmen bestehend aus dem kanadischen Bergbauunternehmen Sunridge Gold Corp. und der staatlichen eritreischen Bergbaugesellschaft (Eritrean National Mining Corporation – ENAMCO) eine Vereinbarung über den Abbau von Gold, Kupfer und Zink mit dem eritreischen Ministerium für Energie und Bergbau. Im Zusammenhang mit dem Bergwerk Bisha, einem Gemeinschaftsunternehmen der ENAMCO mit dem kanadischen Bergbauunternehmen Nevsun Resources Ltd., war in Kanada eine Anklage anhängig. Nevsun Resources wurde vorgeworfen, ein eritreischer Subunternehmer, das Staatsunternehmen Segen Construction, habe in dem Bergwerk Personen zur Arbeit eingesetzt, die gerade ihren Militärdienst ableisteten.

Zwangsarbeit – Militärdienst

Der obligatorische Militärdienst konnte nach wie vor auf unbestimmte Zeit verlängert werden. Die Umstände, unter denen der Wehrdienst abgeleistet werden musste, kamen Zwangsarbeit gleich. Ein großer Teil der Bevölkerung war auf unbestimmte Zeit – in einigen Fällen bis zu 20 Jahre lang – zum Militärdienst eingezogen. Die Militärdienstleistenden erhielten nur eine geringe Besoldung, mit der sie die Grundbedürfnisse ihrer Familien nicht decken konnten. Außerdem gewährte man ihnen nur selten und willkürlich Urlaub, was in vielen Fällen dazu führte, dass kein geregeltes Familienleben möglich war. Die Wehrpflichtigen dienten in den Streitkräften und wurden zu Arbeiten in der Landwirtschaft, der Bauindustrie, im Schul- und öffentlichen Dienst sowie in anderen Bereichen verpflichtet. Es gab keine rechtliche Regelung, die es ermöglichte, den Militärdienst aus Gewissensgründen zu verweigern.

Alle Schüler mussten auch weiterhin das letzte Schuljahr im militärischen Ausbildungslager Sawa verbringen, womit de facto auch Minderjährige zum Militärdienst eingezogen wurden. Die Lebensumstände in dem Ausbildungslager waren hart. Die Schüler unterlagen militärischer Disziplin und erhielten ein Waffentraining. Um diesem Schicksal zu entgehen, brachen einige Schüler die Schule frühzeitig ab. Minderjährige wurden zudem zwangsverpflichtet, an Razzien teilzunehmen, die das Militär durchführte, um Menschen aufzuspüren, die sich dem Wehrdienst entziehen wollten.

Tausende Frauen und Männer bemühten sich dem Militärdienst zu entkommen, u.a. indem sie versuchten, außer Landes zu fliehen. Personen, die von den Behörden bei einem Fluchtversuch aufgegriffen wurden, wurden willkürlich ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren und häufig unter harten Bedingungen inhaftiert und durften weder von einem Rechtsbeistand noch von Angehörigen besucht werden. Dieses Vorgehen fand auch bei Minderjährigen Anwendung.

Nach wie vor gab es einen Schießbefehl gegen jeden, der versuchte, sich der Gefangennahme zu entziehen und die Grenze nach Äthiopien zu überqueren.

Auch ältere Frauen und Männer wurden weiterhin zur "Volksarmee" eingezogen. Dort gab man ihnen eine Waffe und wies ihnen Aufgaben zu, die sie unter Androhung von Strafen zu verrichten hatten. Männer konnten bis zum Alter von 67 Jahren zum Militärdienst verpflichtet werden.

Gewaltlose politische Gefangene

In Eritrea waren nach wie vor Tausende gewaltlose und andere politische Gefangene ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren inhaftiert. Unter ihnen befanden sich ehemalige Politiker, Journalisten und Menschen, die ihren Glauben praktizierten und deren Religionsgemeinschaft nicht anerkannt war. Sie hatten weder Zugang zu einem Rechtsbeistand noch durften sie Besuch von Angehörigen erhalten. Viele waren bereits seit weit über einem Jahrzehnt inhaftiert.

Die Regierung dementierte in vielen Fällen, dass sich die betreffenden Personen in Haft befanden und weigerte sich, Angehörigen Informationen über den Aufenthaltsort und den Gesundheitszustand von Gefangenen zu geben oder Todesfälle in Gewahrsam zu bestätigen.

Folter und andere Misshandlungen

Gefangene, darunter auch Minderjährige, waren unter schlechten Bedingungen in unterirdischen Zellen oder in Schiffscontainern eingesperrt. Sie erhielten weder ausreichend Nahrung noch sauberes Trinkwasser. Schlafgelegenheiten und der Zugang zu sanitären Einrichtungen und Tageslicht waren unzureichend. In einigen Fällen kamen diese Haftbedingungen Folter gleich. Minderjährige waren zum Teil gemeinsam mit Erwachsenen inhaftiert.

Flüchtlinge und Asylsuchende

Eritreer, die außer Landes flüchteten, waren auf den Routen nach Europa durch den Sudan, Libyen und über das Mittelmeer zahlreichen Gefahren ausgesetzt, u.a. von bewaffneten Gruppen und Schleusern als Geiseln genommen zu werden. Diese versuchten dann von den Angehörigen Lösegeld zu erpressen.

In Europa angekommene Flüchtlinge berichteten, dass sie Schleuser, von denen viele selbst Eritreer waren, für jede Etappe der Flucht bezahlen mussten. Es gab Berichte, denen zufolge Militärangehörige an der Schleusung von Menschen aus Eritrea beteiligt waren.

Zahlreiche unbegleitete Minderjähriger verließ Eritrea, um nicht zum Militärdienst eingezogen zu werden. Sie liefen Gefahr, Opfer von Übergriffen zu werden. Berichten zufolge boten Schleuser an, die Minderjährigen kostenfrei nach Europa zu bringen. Wenn sie dann Libyen erreichten, wurden sie als Geiseln genommen, und von ihren Eltern in Eritrea wurde ein Lösegeld für ihre Freilassung gefordert.

Als Reaktion auf die steigende Zahl von Flüchtlingen aus Eritrea verschärften einige europäische Staaten wie Großbritannien ihre Richtlinien für Asylanträge eritreischer Staatsangehöriger. Ihre Asylanträge wurden mit der unhaltbaren Begründung abgelehnt, dass sich die Lage im Herkunftsland verbessert habe.

Internationale Kontrolle

Im Juni 2015 legte die von den Vereinten Nationen beauftragte Untersuchungskommission für Menschenrechte in Eritrea ihren ersten Bericht vor. Darin dokumentierte die Kommission systematische Menschenrechtsverletzungen seit der Unabhängigkeit des Landes und erklärte, dass die Regierung möglicherweise für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich sei.

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