Amnesty Report Philippinen 10. Mai 2011

Philippinen 2011

 

Amtliche Bezeichnung: Republik der Philippinen Staats- und Regierungschef: Benigno S. Aquino III. (löste im Juni Gloria Macapagal-Arroyo im Amt ab) Todesstrafe: für alle Straftaten abgeschafft Einwohner: 93,6 Mio. Lebenserwartung: 72,3 Jahre Kindersterblichkeit (m/w): 32/21 pro 1000 Lebendgeburten Alphabetisierungsrate: 93,6%

Mehr als 200 Fälle des "Verschwindenlassens" von Personen sowie mindestens 305 Fälle außergerichticher Hinrichtungen (einige Schätzungen beziffern diese Hinrichtungen sogar auf 1200), die im letzten Jahrzehnt dokumentiert worden waren, blieben unaufgeklärt. Nur wenige der für diese Verbrechen verantwortlichen Personen wurden vor Gericht gestellt. Private bewaffnete Gruppen operierten weiterhin im ganzen Land, obwohl sich die Regierung dazu verpflichtet hatte, sie aufzulösen und zu entwaffnen. Der vorherigen Regierung gelang es trotz der bis 2010 gesetzten Frist nicht, die kommunistische Aufstandsbewegung zu "zerschlagen". So kündigte die neue Aquino-Regierung im August an, dass die Operationen zur Aufstandsbekämpfung ausgeweitet würden. Zwei Jahre nach Beendigung des internen bewaffneten Konflikts lebten Berichten zufolge in Mindanao noch Zehntausende außerhalb ihrer Heimatorte. Die tatsächliche Anzahl der noch nicht zurückgekehrten Binnenvertriebenen war allerdings nicht bekannt.

Hintergrund

Im Mai 2010 fanden nationale und im Oktober lokale Wahlen statt. Beide wurden von politisch motivierten Morden beeinträchtigt. Im Mai wurde Benigno Aquino III., der Sohn der ehemaligen Präsidentin Corazon Aquino und des ermordeten Senators Benigno Aquino Jr., zum Präsidenten gewählt.

Die Wiederaufnahme der Friedensgespräche zwischen der Regierung und der Islamischen Befreiungsfront der Moro (Moro Islamic Liberation Front – MILF) verzögerte sich weiter. Im Juli benannte die Regierung jedoch ihre Verhandlungskommission. Im September erklärte die MILF, dass sie bereit sei, Friedensgespräche zu beginnen, und benannte ihre Verhandlungsführer.

Friedensgespräche zwischen der Regierung und der kommunistischen Neuen Volksarmee (New People’s Army – NPA) erwiesen sich jedoch weiterhin als schwer realisierbar.

Rechtswidrige Tötungen

Während der in den Monaten Mai und Oktober 2010 durchgeführten Wahlen stieg die Anzahl politischer Morde an. Anhänger politischer Parteien waren Einschüchterung und Gewalttätigkeiten ausgesetzt. Dazu gehörten Granatenangriffe.

Hunderte Fälle außergerichtlicher Hinrichtungen und des "Verschwindenlassens", die im letzten Jahrzehnt dokumentiert worden waren, blieben unaufgeklärt, und die Täter wurden nicht vor Gericht gestellt. Nur eine verschwindend geringe Anzahl der Familien der Opfer erhielt Entschädigungszahlungen. Während des Berichtsjahrs wurden mindestens 38 mutmaßlich politisch motivierte Morde gemeldet.

  • Dem Vernehmen nach wurden im Jahr 2010 mindestens sechs Journalisten getötet. Innerhalb einer Woche im Juni wurden die Rundfunkreporter Desiderio Camangyan aus Mati City in den Südphilippinen und Joselito Agustín aus Laoag City in den Nordphilippinen sowie der Zeitungsjournalist Nestor Bedolido aus Digos City in den Südphilippinen erschossen.

Nach beträchtlichen Verzögerungen begann im September das Verfahren gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen des Massakers von Maguindanao. Bei dem Massaker, das im November 2009 im Vorfeld der für 2010 angesetzten Wahlen verübt worden war, wurden 57 Personen getötet, darunter 32 Journalisten. Mindestens 83 Tatverdächtige wurden festgenommen und angeklagt, darunter mindestens 16 Polizisten und Mitglieder der politisch einflussreichen Familie Ampatuan. 113 weitere Tatverdächtige blieben auf freiem Fuß.

  • Suwaid Upham, der vermutlich einer der Schützen des Massakers war, erklärte sich im März 2010 dazu bereit, vor Gericht als möglicher Zeuge auszusagen. Im Juni wurde er jedoch erschossen. Dem Vernehmen nach hatte er vergeblich versucht, in das Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden. Im Zusammenhang mit seiner Ermordung wurden zwei Tatverdächtige festgenommen.

Die nationale Polizei (Philippine National Police – PNP) meldete, dass im Februar 117 private bewaffnete Gruppen existierten. Im Mai berichtete die Unabhängige Kommission gegen Privatarmeen (Independent Commission Against Private Armies – ICAPA), dass es mindestens 72 aktive Privatarmeen im Land gäbe und dass weitere 35 bereits durch die Polizei und das Militär aufgelöst worden seien.

Viele Mitglieder der von der Regierung aufgestellten bewaffneten "Kampfkraftmultiplikatoren" (force multipliers), zu denen die Zivilen Freiwilligen-Organisationen (Civilian Volunteer Organizations – CVOs), die Polizei-Hilfseinheiten (Police Auxiliary Units – PAUs) und die örtlichen Einheiten der Bewaffneten Bürgerwehren (Citizens’ Armed Forces Geographical Units – CAFGUs) gehörten, waren gleichzeitig Mitglieder von privaten bewaffneten Gruppen. Ein ehemaliger Armeegeneral und Mitglied der Unabhängigen Kommission gegen Privatarmeen erklärte gegenüber den Medien, dass lokale Beamte diese Gruppen von Freiwilligen und Hilfseinheiten als Privatarmeen nutzten.

Im November 2010 sagte der Präsident zu, die ermittelten privaten bewaffneten Gruppen aufzulösen und zu entwaffnen. Er lehnte es jedoch ab, auch die CVOs, CAFGUs und die PAUs aufzulösen, und vertrat die Meinung, dass sie stattdessen professionalisiert werden müssten. Die Streitkräfte erklärten, dass es notwendig sei, die Anzahl der CAFGUs zu erhöhen. Nach dem Massaker von Maguindanao hatte die Polizei bekanntgegeben, dass sie die Rekrutierung von Mitgliedern für die Polizei-Hilfseinheiten suspendiert habe.

Im Februar 2010 vermeldete die Menschenrechtskommission der Philippinen, dass sie seit dem Jahr 2001 insgesamt 777 Fälle außergerichtlicher Hinrichtungen und 251 Fälle von "Verschwindenlassen" registriert habe. Im September dokumentierte die Menschenrechtsgruppe Karapatan im gleichen Zeitraum 1206 außergerichtliche Hinrichtungen und 206 Opfer von "Verschwindenlassen". Ein von der US-Behörde für Internationale Entwicklung (United States Agency for International Development – USAID) und der NGO Asia Foundation in Auftrag gegebener Bericht, der im September veröffentlicht wurde, dokumentierte 305 Fälle außergerichtlicher Hinrichtungen zwischen 2001 und 2010 mit insgesamt 390 Opfern. Der gleiche Bericht konstatierte, dass lediglich 1% der gemeldeten Fälle eine Verurteilung zur Folge gehabt habe und dass Angehörige der Streitkräfte in 20% der Fälle verwickelt gewesen seien.

Es kam weiterhin zu Tötungen von Zivilpersonen, da der Aufstandsbekämpfungsplan des Militärs keinen Unterschied zwischen Zivilpersonen und NPA-Angehörigen machte. In einigen Fällen behaupteten Polizei oder Militär, dass die Todesfälle Folge "legitimer Kampfhandlungen" gewesen seien.

  • Im November 2010 wurden der Botaniker Leonardo Co und zwei andere Mitglieder seines Teams in der Provinz Leyte in den Zentralphilippinen erschossen, als sie dort Samen gefährdeter einheimischer Baumarten sammelten. Militärangehörige gaben an, dass sie ins Kreuzfeuer zwischen der Armee und der NPA geraten seien. Ein überlebendes Mitglied des Botanikerteams dementierte diese Behauptung jedoch.

Folter und andere Misshandlungen

Im August 2010 strahlten philippinische Medien ein Video aus, das einen Polizisten in Zivilkleidung in einer Polizeistation in Manila zeigte, als er Darius Evangelista folterte, der offensichtlich wegen des Verdachts, einen geringfügigen Diebstahl begangen zu haben, festgenommen worden war. Uniformierte Polizeibeamte schauten dabei zu. Das Filmmaterial zeigte den Verdächtigen nackt. Er wurde mit einer an seinen Geschlechtsteilen befestigten Schnur gezogen und mit einem Seil ausgepeitscht. Das Video veranlasste die Behörden, alle elf an dem Vorfall beteiligten Polizeibeamten vom Dienst zu suspendieren. Darius Evangelista war im März von Polizisten festgenommen und seitdem nicht mehr gesehen worden. In den Polizeiprotokollen gab es keinen Eintrag über seine Festnahme. Die Ehefrau von Darius Evangelista legte eine offizielle Beschwerde gegen neun Polizeibeamte ein und erklärte, dass dieser Fall eine Verletzung des Antifoltergesetzes von 2009 darstelle.

  • Im Januar 2010 wurde Meldungen zufolge der 40-jährige Ambrosio Derejeno verschleppt. Ein Familienmitglied sah ihn zuletzt im Gewahrsam von CAFGU-Mitgliedern in der Provinz Samar. Er war gefesselt und umringt von Männern in Tarnuniformen, die ihre Gewehre auf ihn gerichtet hielten. Nach dem Antifoltergesetz von 2009 ist der Gebrauch von Schusswaffen zur Bedrohung einer gefesselten Person als Folter zu betrachten.

Im Dezember 2010 unterzeichnete der Präsident die Umsetzungsbestimmungen und Richtlinien für das Antifoltergesetz.

Rechte indigener Völker

Berichten zufolge wurden im Juni Angehörige der indigenen Gemeinschaft der Dumagat aus der Provinz Rizal vom Militär aus ihren Häusern vertrieben. Ein Mitglied der Gemeinschaft erklärte, dass die Soldaten die Männer gefesselt und mindestens einen von ihnen verschleppt hätten. Drei Angehörige der Gemeinschaft, die der linksgerichteten Partei Indigener Völker (Indigenous Peoples’ Party) angehört haben sollen, wurden im Juli von Unbekannten ermordet.

Einem Medienbericht zufolge reaktivierte die Armee im September während ihres Kampfeinsatzes gegen die NPA die Bürgerwehr Alsa Lumad (Erhebt Euch, indigene Völker). Laut diesem Bericht war zudem die Ausrüstung indigener Bevölkerungsgruppen mit Waffen Teil der Operationen der Regierung zur Bekämpfung der NPA.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Im September 2010 verkündete der Präsident, dass "die Regierung verpflichtet ist, jeden über seine Pflichten und Wahlmöglichkeiten zu informieren" und kündigte an, dass die Behörden in Armut lebenden Paaren auf Anfrage Verhütungsmittel zur Verfügung stellen werden. Die einflussreiche katholische Kirche lehnte diesen Schritt entschieden ab.

Im August gab das Center for Reproductive Rights einen Bericht heraus, laut dem pro Jahr mehr als 560000 Frauen ihre Schwangerschaft abbrechen und jedes Jahr ungefähr 1000 von ihnen nach heimlichen illegalen Abtreibungen sterben.

Amnesty International: Missionen

Eine Delegation von Amnesty International besuchte die Philippinen in den Monaten Januar und November/Dezember.

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