Amnesty Report Kroatien 29. März 2022

Kroatien 2021

Zwei junge Afghanen in T-Shirts stehen in einer alten verlassenen Fabrik und posieren für ein Foto.

Afghanische Migrant*innen in einer verlassenen Fabrik an der kroatischen Grenze (Archivbild 2019)

Berichtszeitraum 01. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021

Asylsuchende erhielten keinen Zugang zu Asylverfahren. Die Polizei setzte Pushbacks gegen Personen ein, die ohne offizielle Erlaubnis einreisen wollten, und misshandelte sie. Die rechtlichen Bestimmungen in Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt wurden weiter verbessert, doch nahm die Zahl der Fälle nach wie vor zu. Der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen blieb streng eingeschränkt. Gleichgeschlechtliche Paare bekamen das Recht zugesprochen, Kinder zu adoptieren. Verleumdungsklagen bedrohten die Arbeit von Journalist_innen und Medien.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant_innen

Kroatien verweigerte nach wie vor Tausenden potenziellen Asylsuchenden den Zugang zu einem Asylverfahren. Hilfsorganisationen dokumentierten etwa 10.000 Fälle von Pushbacks und Kollektivabschiebungen sowie zahlreiche Fälle von Gewaltanwendung und Misshandlungen. Im Februar 2021 meldete der Dänische Flüchtlingsrat, eine internationale NGO, dass zwei Frauen sexuell misshandelt worden seien, als kroatische Polizisten sie mit vorgehaltener Waffe zwangen, sich nackt auszuziehen, und ihnen mit Vergewaltigung drohten. Das Innenministerium dementierte die Berichte.

Die Menschenrechtskommissarin des Europarats erklärte, die anhaltenden Vorwürfe deuteten auf eine systematische Praxis von Kollektivabschiebungen und Misshandlungen von Migrant_innen sowie das Ausbleiben unverzüglicher Ermittlungen hin. Im Juli 2021 bestätigte der Sonderberichterstatter über die Menschenrechte von Migrant_innen ebenfalls Meldungen über verbreitete Pushbacks von kroatischem Staatsgebiet aus, verbunden mit Berichten über Diebstahl, Zerstörung von Eigentum, körperliche Misshandlung und Übergriffe.

Im April 2021 stellte das Verfassungsgericht fest, dass Kroatien das Recht einer afghanischen Familie auf Asyl verletzt habe, indem man sie 2018 nach Serbien abschob, ohne die Gefahren einer solchen Abschiebung angemessen zu berücksichtigen. Im November entschied zudem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, Kroatien habe gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen, indem die Regierung dieselbe Familie im Jahr 2017 nach Serbien zurückgeschoben hatte. Damals wurde deren sechsjährige Tochter Madina Hussiny von einem Zug getötet. Im Dezember 2021 bestätigte das Gericht für schwere Ordnungswidrigkeiten in Zagreb das Urteil eines vorinstanzlichen Gerichts gegen einen ehrenamtlichen Helfer der Organisation Are You Syrious, der die Familie 2018 zur Polizeiwache begleitet hatte, damit sie einen Asylantrag stellen konnte. Das Urteil gegen ihn beruht auf einem Schuldspruch wegen "Beihilfe zur unerlaubten Einreise" und beläuft sich auf eine Geldstrafe von 60.000 Kroatischen Kuna (ca. 8.000 Euro) plus Gerichtsgebühren.

Gerichte in Italien und Österreich stellten außerdem fest, dass die auf bilateralen Abkommen beruhenden Kettenabschiebungen von Asylsuchenden aus diesen Ländern nach Slowenien und weiter nach Kroatien gegen internationales Recht verstießen und die Betroffenen erniedrigender Behandlung durch die kroatische Polizei aussetzten.

Im Juni 2021 richteten die Behörden eine Kontrollinstanz ein, die Berichte über Menschenrechtsverletzungen an den kroatischen Grenzen untersuchen soll. Menschenrechtsorganisationen gaben allerdings zu bedenken, dass es dem Organ an Unabhängigkeit und einem robusten Mandat mangele, um effektiv gegen die Menschenrechtsverletzungen vorgehen zu können.

Im Oktober 2021 veröffentlichten einige europäische Medienunternehmen einen Bericht mit Filmaufnahmen, die Angehörige einer Sondereinheit der kroatischen Polizei dabei zeigten, wie sie unbewaffnete Asylsuchende verprügelten, bevor sie sie nach Bosnien und Herzegowina zurückschoben. Der Bericht zog interne und strafrechtliche Ermittlungen nach sich, die zur Suspendierung der daran beteiligten Polizisten führten. Die Behörden betrachteten dies als einen einmaligen Vorfall, obwohl NGOs erklärten, dass gewaltsame Pushbacks an den kroatischen Grenzen an der Tagesordnung und systemisch seien.

Im Dezember 2021 erklärte der Ausschuss des Europarats zur Verhütung von Folter, man habe bei einem früheren Besuch an der kroatischen Grenze mehrere glaubwürdige Berichte über die schwere Misshandlung von Migrant_innen und Asylsuchenden durch die kroatische Polizei angehört.

Die Anerkennungsquote für Asylsuchende blieb niedrig, und so erhielten bis Ende 2021 nur 42 Personen internationalen Schutz.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Es gab nennenswerte Verbesserungen im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Das Strafgesetzbuch wurde erweitert und sieht nun, im Einklang mit den im Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) enthaltenen Standards, Folgendes vor: die Strafverfolgung von Amts wegen in Fällen von geschlechtsspezifischer Gewalt, wenn die Betroffenen keine Anzeige erstatten können oder wollen, die Kriminalisierung von "Rachepornos" sowie die Erweiterung der Definition von "Intimpartner_in" dahingehend, dass sowohl frühere als auch aktuelle Partner_innen eingeschlossen sind.

Die Behörden meldeten allerdings einen stetigen Anstieg von geschlechtsspezifischer Gewalt, darunter auch Vergewaltigung und häusliche Gewalt. Die Ombudsperson für Geschlechtergleichstellung drängte die Behörden, sich noch stärker für Prävention und Aufklärungsprogramme einzusetzen.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Der Zugang zu Dienstleistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit war dadurch eingeschränkt, dass es zahlreiche Ärzt_innen und einige Kliniken aus Gewissensgründen ablehnten, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, sowie durch die unerschwinglich hohen Kosten für solche Dienstleistungen und die mangelhafte regionale Verfügbarkeit befugter Anbieter. Dies wirkte sich unverhältnismäßig stark auf Personen mit begrenzten finanziellen Mitteln aus.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen (LGBTI+)

Im April 2021 bestätigte ein Gericht in der Hauptstadt Zagreb das Recht gleichgeschlechtlicher Paare zur Adoption von Kindern.

Zum ersten Mal seit über zehn Jahren kam es bei der jährlichen Pride-Parade im Juli in Zagreb zu einer Reihe tätlicher und verbaler homofeindlicher Attacken sowie dem Verbrennen einer Regenbogenflagge. Auch eine Journalistin, die über die Veranstaltung berichtete, wurde angegriffen. Mehrere Personen wurden festgenommen.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Journalist_innen waren nach wie vor Zielscheibe von Drohungen und Einschüchterungen, sowohl im Internet als auch offline, und sahen sich mit Redeverboten und häufigen Gerichtsverfahren konfrontiert.

Im September 2021 verhängte ein Gericht in Zagreb eine einstweilige Verfügung gegen die Nachrichtenwebsite H-alter und unterband jegliche Berichterstattung über eine lokale Kinderschutzeinrichtung und deren Direktorin. Die Website hatte eine Reihe von Artikeln veröffentlicht, denen zufolge die Einrichtung bei Sorgerechtsstreitigkeiten Väter begünstige, selbst wenn diese für ungeeignet befunden worden waren. Die Behörden distanzierten sich von der Gerichtsentscheidung.

Der kroatische Journalist_innenverband berichtete von über 900 laufenden Verleumdungsklagen gegen Journalist_innen und Medieneinrichtungen. Die meisten Klagen waren von Politiker_innen, Staatsbeamt_innen und sogar dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk selbst angestrengt worden. Der Verband zeigte sich besorgt darüber, dass diese Klagen sich einschüchternd auswirkten und eine besondere Bedrohung für kleinere Medienunternehmen und freie Journalist_innen darstellten. Die Europäische Journalisten-Föderation drängte die Behörden, Verleumdung zu entkriminalisieren und entsprechende Fälle als Zivilklagen zu behandeln. Zudem forderte die Föderation, einen Rahmenplan einzurichten, um Verleumdungsklagen zu verhindern, deren einziges Ziel es ist, Kritik zu unterdrücken.

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