Amnesty Report Guatemala 29. März 2022

Guatemala 2021

Sicherheitskräfte mit Helmen, Schilden und Mundnasenschutzmasken bilden mit ihren Schilden eine Barriere, vor der eine Frau sitzt, die ihr Gesicht in ihren Händen vergräbt.

Migrantin an einer Militärbarriere in Guatemala (Grenzgebiet zu Honduras nahe Puerto Barrios, 15.01.2022)

Berichtszeitraum: 01. Januar 2021 bis 31. Dezember 2021

Richter_innen und Staatsanwält_innen wurden zunehmend durch strafrechtliche Verfolgung unter Druck gesetzt, schikaniert und eingeschüchtert. Ein Gesetz, welches das Recht auf Verteidigung der Menschenrechte bedroht, trat in Kraft. Guatemala verzeichnete die niedrigste Impfquote gegen Corona in Lateinamerika. Die Impfkampagne war von Korruptionsvorwürfen begleitet.

Hintergrund

US-Vizepräsidentin Kamala Harris besuchte Guatemala im Juni 2021 und vereinbarte mit dem guatemaltekischen Präsidenten Giammattei, gemeinsam die Hauptursachen der Migration zu bekämpfen, u. a. Ungleichheit, Korruption und mangelnde Rechtsstaatlichkeit. Im Juli löste die Entlassung des Leiters der Sonderstaatsanwaltschaft gegen die Straflosigkeit (Fiscalía Especial contra la Impunidad) landesweite Proteste gegen Korruption, wirtschaftliche Ungleichheit und die Reaktion der Regierung auf die Coronapandemie aus.

Straflosigkeit

Angehörige der Justiz, die eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung der Straflosigkeit in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen und Korruption spielten, wurden ihrer Ämter enthoben oder daran gehindert, diese anzutreten. Sie waren zudem Drohungen, Strafverfolgungsmaßnahmen und Verleumdungskampagnen ausgesetzt.

Im April 2021 verließ die Richterin Gloria Porras das Land, nachdem der Kongress ihre Vereidigungszeremonie verhindert und ihr untersagt hatte, ihr Amt als Verfassungsrichterin anzutreten. Gloria Porras hatte in den letzten Jahren eine prominente Rolle als Verfechterin der Menschenrechte und bei der Korruptionsbekämpfung gespielt und war als Mitglied des guatemaltekischen Verfassungsgerichts wiedergewählt worden.

Im Juni 2021 berichteten vier Richter_innen an Strafgerichten für Fälle mit besonders hohem Sicherheitsrisiko (Tribunales de Mayor Riesgo), denen die Interamerikanische Menschenrechtskommission Schutzmaßnahmen gewährt hatte, der Staatsanwaltschaft, dass sie schikaniert und bedroht worden seien. Einen Monat später entließ die Generalstaatsanwältin den Leiter der Sonderstaatsanwaltschaft gegen die Straflosigkeit, Juan Francisco Sandoval, der daraufhin aus Sorge um seine Sicherheit das Land verließ. Im Oktober 2021 versetzte die Generalstaatsanwältin zudem die Leiterin der Sonderstaatsanwaltschaft für Menschenrechte, die dabei geholfen hatte, den ehemaligen Militärmachthaber Efraín Ríos Montt vor Gericht zu stellen.

Menschenrechtsverteidiger_innen und exzessive Gewaltanwendung

Die Menschenrechtsorganisation Unidad de Protección a Defensoras y Defensores de Derechos Humanos Guatemala verzeichnete zwischen Januar und November 2021 insgesamt 839 Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger_innen. Angaben der NGO Global Witness zufolge wies Guatemala gemessen an seiner Einwohnerzahl die weltweit vierthöchste Rate an Tötungen von Landrechtsverteidiger_innen und Umweltschützer_innen auf; im Jahr 2020 belief sich die Zahl der Tötungen auf 13.

Trotz der alarmierenden Zahlen hatte Guatemala bis Ende 2021 das Regionale Abkommen über den Zugang zu Informationen, Teilhabe und Gerechtigkeit in Umweltangelegenheiten in Lateinamerika und der Karibik (Escazú-Abkommen), das Bestimmungen zum Schutz von Menschenrechtler_innen im Umweltbereich enthält, noch immer nicht ratifiziert.

Im Mai 2021 wiesen die neuen Mitglieder des Verfassungsgerichts die Klagen zivilgesellschaftlicher Organisationen gegen das umstrittene NGO-Gesetz ab, das somit am 21. Juni 2021 in Kraft trat. In der Folge wurden mindestens drei Rechtsmittel beim Verfassungsgericht eingereicht. Sie bezogen sich auf Bestimmungen des Gesetzes, die schwerwiegende Verstöße gegen die Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit ermöglichen könnten. Dazu zählten vage formulierte Klauseln, die zur Schließung von NGOs oder zu anderen gegen sie gerichteten Maßnahmen führen könnten. Die eingelegten Rechtsmittel waren zum Jahresende noch anhängig.

Die Anhörungen im Fall des inhaftierten gewaltlosen politischen Gefangenen Bernardo Caal Xol wurden fortgesetzt. Er war im Januar 2018 inhaftiert worden, weil er die Rechte der vom Bau des Wasserkraftwerkprojekts Oxec betroffenen Maya-Q’eqchi-Gemeinden verteidigt hatte. Im August 2021 lehnte der Oberste Gerichtshof einen von seinen Rechtsbeiständen eingereichten Kassationsantrag für seine Freilassung ab. Im Oktober ging die Polizei gewaltsam gegen Angehörige der Maya-Q’eqchi vor, die drei Wochen lang friedlich gegen ein auf ihrem Land in El Estor tätiges Bergbauunternehmen protestiert hatten, ebenso wie gegen andere Demonstrierende und Journalist_innen. Nach diesem Vorfall verhängte der Präsident den Ausnahmezustand über die Gemeinde.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant_innen

Guatemaltek_innen waren weiterhin auf der Flucht vor Gewalt, Armut, Ungleichheit und den Folgen des Klimawandels.

Hunderte Guatemaltek_innen wurden abgeschoben oder von den mexikanischen Behörden zusammen mit anderen Menschen aus Mittelamerika und Haiti in abgelegene Gebiete an der Grenze zurückgeschoben, wo sie ohne angemessene Hilfe zurückgelassen wurden.

Im Januar 2021 gingen die Sicherheitskräfte unter dem Vorwand, die Coronaregeln durchzusetzen, mit Schlägen und Tränengas gegen Tausende aus Honduras kommende Migrant_innen und Asylsuchende vor, die auf der Durchreise in die USA waren.

Recht auf Gesundheit

Guatemala wies mit nur 25,7 Prozent den niedrigsten Prozentsatz an vollständig gegen Covid-19 geimpften Menschen in Lateinamerika auf. Im Zusammenhang mit dem Kauf von Impfstoffen und dem Umgang mit der Pandemie wurden Korruptionsvorwürfe erhoben.

Zwar wurde ein detaillierter nationaler Impfplan veröffentlicht, doch enthielt dieser keine Maßnahmen für die Einbeziehung der indigenen Bevölkerung.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Nachdem die Familie der 2001 im Alter von 15 Jahren getöteten María Isabel Veliz Franco zwei Jahrzehnte lang Gerechtigkeit gefordert hatte, verurteilte ein Gericht im März 2021 einen Mann wegen Mordes zu 30 Jahren Haft. Der Körper des Mädchens hatte Spuren sexueller Gewalt aufgewiesen. Die Behörden Guatemalaw waren 2014 vom Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte scharf kritisiert worden, weil sie den Tod des Mädchens nicht sorgfältig untersucht und Verstöße gegen dessen Rechte nicht verhindert hatten.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Im Dezember begann der Kongress über einen Gesetzesvorschlag (5940) zu beraten, der im Fall seiner Verabschiedung die Rechte von trans Kindern und trans Jugendlichen verletzen würde.

Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung

In dem als "Diario Militar" bekannten Fall nahmen die Sicherheitskräfte im Mai 2021 elf pensionierte Militär- und Polizeiangehörige fest. Sie wurden verdächtigt, zwischen 1983 und 1985 an Entführungen, Fällen des Verschwindenlassens, außergerichtlichen Hinrichtungen und anderen völkerrechtlichen Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen beteiligt gewesen zu sein, von denen mindestens 183 Personen betroffen waren, die als politische Gegner_innen galten. Mindestens acht der Beschuldigten befanden sich Ende des Jahres in Untersuchungshaft.

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