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„Menschenrechte werden durch übergroßen Reichtum gefährdet“
Pecunia non olet? Christian Neuhäuser, Professor für Philosophie, beschäftigt sich mit den moralischen Fragen von Reichtum.
© Roland Baege
Ist Reichtum per se ungerecht? Und sind Menschenrechte für manche Menschen unbezahlbar? Der Philosoph Christian Neuhäuser erklärt, wie Reichtum und Menschenrechte zusammenhängen.
Interview: Lea De Gregorio
Was genau bezeichnen Sie als Reichtum?
Das ist gar nicht so leicht zu sagen. Es gibt keine eindeutige Definition. Reichtum ist das, was man in der Philosophie einen dicken Begriff nennt. Er hat eine beschreibende, aber auch eine bewertende Seite. Das macht es schwer, ihn eindeutig zu fassen. Mein eigener Vorschlag lautet, dass jemand dann reich ist, wenn er deutlich mehr hat als er bräuchte, um in Würde leben zu können. Und superreich ist jemand dann, wenn er unvorstellbar viel mehr hat.
Ist Reichtum per se ungerecht?
Nein. Es ist nicht so, dass Reichsein allein eine ungerechte Beziehung zu einem anderen Menschen mit sich bringt. Geld muss nicht immer auf ungerechte Weise erworben werden. Reichtum kann lediglich in der Konsequenz ungerecht sein oder eben dann, wenn er auf eine ungerechte Weise erworben wurde, zum Beispiel durch Ausbeutung.
Müsste Reichtum nicht gerechter verteilt werden?
Wenn Reichtum ungerecht ist, dann muss er gerechter verteilt werden. Etwa dann, wenn Reichtum anderswo gerechter genutzt wäre. Denken wir etwa an die Bekämpfung des Klimawandels oder an die Bekämpfung von Armut. Reichtum muss auch dann gerechter verteilt werden, wenn er ein Resultat der Ausbeutung anderer Menschen ist. Reichtum könnte zum Beispiel durch bestimmte Politikmaßnahmen besser verteilen werden, etwa mit einer Steuer, die Reichtum auf eine bestimmte Höhe begrenzt.
Menschen, die in Armut leben, werden an der Ausübung ihrer Menschenrechte häufiger gehindert als reiche Menschen. Sind Menschenrechte für manche Menschen unbezahlbar?
In einem Land wie Deutschland wird die Einhaltung der Menschenrechte über ein Rechtssystem gewährleistet. Das ist aber nicht überall so. In einigen Ländern können reiche Menschen sehr viel stärker dafür sorgen, dass ihre Menschenrechte geschützt sind. Denken wir etwa an ein Land, in dem Gewalt verbreitet ist. Dort können sich reiche Menschen privat Sicherheit leisten. Das führt zu einer deutlichen Ungleichheit. Zwischen der Rechtsunsicherheit der Armen und dem Reichtum der Reichen besteht ein unmittelbarer Zusammenhang. Denn Reichtum bedeutet immer wirtschaftliche und politische Macht. Und die Rechtsunsicherheit der Armen wird durch die politische und wirtschaftliche Macht der Reichen fortgesetzt.
Wann genau führt Reichtum zu Macht?
Vor allem geht es dabei um strukturelle Macht. Man muss sich das nicht verschwörungstheoretisch vorstellen. Es ist nicht so, dass ein einzelner Mensch irgendwelche Strippen in der Hand hat. Eher ist es so: Viele reiche Menschen, bei denen es sich meistens um Unternehmer handelt, kontrollieren sehr viel Kapital. Und damit bestimmen sie die Wirtschaft und den Handlungsspielraum der Politik. Es geht also nicht um einzelne Menschen, sondern um eine soziale Gruppe, die mit ihren Unternehmen wirtschaftliche Interessen verfolgt.
Menschenrechte werden dann von übergroßem Reichtum gefährdet, zum Beispiel wenn politische Entscheidungen gekauft werden?
Genau. Je stärker der Reichtum in wenigen Händen liegt, desto stärker ist es vom guten Willen der Reichen abhängig, ob Menschenrechte eingehalten werden. Durch Reichtum entstehen oligarchische Strukturen, die die Demokratie gefährden. Man muss sich zum Beispiel fragen, ob es sich in den USA noch um ein funktionierendes demokratisches System handelt, weil die Wahlkämpfe dort stark von der privaten Finanzierung zumeist durch Reiche abhängen.
Wie hängen Reichtum und Menschenrechte noch zusammen?
Wir haben als Gesellschaft so etwas wie eine Reichtumsorientierung entwickelt: Wir sind strukturell darauf ausgerichtet, immer reicher zu werden. Alle anderen Ziele werden dadurch verdrängt – wie etwa der Klimaschutz, mit dem ja viele Menschenrechte verbunden sind. Stattdessen geht es stets darum, das Bruttosozialprodukt zu maximieren. Deswegen sehen etwa die Bemühungen, mit China Freihandel zu betreiben, über Menschenrechtsverletzungen hinweg. Der Handel ist wichtiger als die kritische Menschenrechtspolitik. Und das liegt nicht daran, dass einzelne Menschen immer reicher werden wollen, sondern dass wir als Gesellschaft insgesamt eine Struktur geschaffen haben, die auf Reichtum ausgerichtet ist.
Haben reiche Menschen häufiger moralische Probleme als arme?
Da bin ich unsicher. Das hängt sicherlich vom persönlichen Gewissen ab. Viele Reiche sind anständige Personen, die spenden und versuchen, wohltätig zu sein. Ich finde aber, sie könnten sich mehr gegen das strukturelle Problem der Reichtumsorientierung einsetzen. Es gibt aber auch Reiche, die sagen: Wir bräuchten ein anderes Wirtschafts- und ein anderes Steuersystem, weil wir zu reich sind. Das Wirtschaftssystem ist darauf ausgerichtet, dass viele arm bleiben und sehr wenige reich werden.
Christian Neuhäuser ist Professor für Philosophie an der TU Dortmund. Sein Buch "Reichtum als moralisches Problem" erschien im Suhrkamp-Verlag. Das Buch "Wie reich darf man sein?" bei Reclam.
Lea De Gregorio ist Volontärin des Amnesty Journals. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder.