Amnesty Journal 26. März 2019

Kriegsverbrechen im Kongo: Der Feldherr von Mannheim

Ein blutiger Angriff auf eine Siedlung mit vielen Toten, deren Leichname auf den Straßen liegen.

Hunderte FDLR-Kämpfer haben im Mai 2009 die Siedlung Busurungi angegriffen.

Aus dem Exil befehligte Ignace Murwanashyaka Milizen im Kongo – per Mail und SMS. Jetzt geht das Verfahren gegen den FDLR-Kommandeur in eine neue Runde.

Von Jamil Balga und Benjamin Winter mit Zeichnungen von El Marto

Besonders schlimm traf es wohl Busurungi. Mindestens 96 Zivilisten kamen in der Siedlung um. Sie wurden erschossen, erschlagen, erstochen, mit Macheten zerhackt. Schwangeren wurde der Bauch aufgeschlitzt, Mädchen und Mütter vor den Augen ihrer Väter und Männer vergewaltigt und verschleppt.

Einige starben eingeschlossen in ihren brennenden Häusern. Mindestens 700 Hütten und Häuser brannten ab, auch Schulen, Kirchen und Gesundheitszentren. Der Ort im Osten der Demokratischen Republik Kongo, der im Mai 2009 von den Soldaten der berüchtigten Rebellentruppe FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) heimgesucht wurde, ist bis heute unbewohnt.

Ein Teil des Unrechts wird seit nunmehr zehn Jahren gut 9.000 Kilometer weiter nördlich juristisch aufgearbeitet. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe ist davon überzeugt, dass in Busurungi eins von fünf Massakern verübt wurde, für die Ignace Murwanashyaka zumindest mitverantwortlich ist. "Wir grüßen Sie, Exzellenz", steht in einer SMS, mit der ihn FDLR-Kämpfer über die Einzelheiten des Gemetzels in ­Busurungi informierten.

"Haben Dorf in Brand gesetzt", hieß es im Mai 2009 in einer E-Mail aus dem Kongo. "Grüße die jungen Männer von mir", bedankte sich Murwanashyaka noch am selben Tag. Das kam vor Ort gut an. Denn Murwanashyaka war damals Präsident des politischen Arms der FDLR. Ihre Kämpfer ziehen seit inzwischen zwei Jahrzehnten mordend, vergewaltigend und plündernd durch den Kongo.

Die Spur führt nach Mannheim

Der promovierte Volkswirt Murwanashyaka lebte aber in Mannheim – ein Grund für die deutschen Ermittler, den ruandischen Staatsbürger vor dem Oberlandesgericht Stuttgart wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung anzuklagen.

Das Verfahren schrieb Justizgeschichte: Es war der erste Prozess nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch. Es regelt seit 2002 die Verfolgung von Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, auch wenn sie im Ausland ohne deutsche Beteiligung begangen wurden.

Von der deutschen Öffentlichkeit fast unbemerkt

Fast unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit ging das Mammutverfahren gegen Murwanashyaka und seinen ebenfalls in Deutschland lebenden Vize Straton Musoni im September 2015 nach mehr als vier Jahren vorerst zu Ende. Murwanashyaka erhielt eine Haftstrafe von 13 Jahren, Musoni bekam 8 Jahre. Amnesty International verfolgte den Prozess mit dem weltweit ers­ten Urteil gegen Mitglieder der FDLR. Prozessbeobachter werteten über die Jahre mehr als 1.500 Seiten Protokolle aus.

Nun geht die Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen in eine weitere Runde: Nachdem sowohl die Anklage als auch Murwanashyaka in Revision gingen, hob der Bundesgerichtshof im Dezember 2018 das Urteil gegen ihn wegen Rechtsfehlern teilweise auf. Das Oberlandesgericht in Stuttgart muss also erneut ein Urteil sprechen.

Alles hatte am 17. November 2009 begonnen. An diesem Tag wurden Murwanashyaka und Musoni von der deutschen Polizei verhaftet. Murwanashyaka war 1989 mit einem Stipendium an die Universität Bonn gekommen, hatte später Asyl in Deutschland erhalten und sich in einer Mannheimer Kirchen­gemeinde engagiert. Angeblich war er gut integriert. Wie sein Stellvertreter Musoni. Er heiratete eine Deutsche, lebte in der Nähe von Stuttgart und arbeitete als IT-Experte auch für das Landesjustizministerium. Mit pikanten Folgen: SMS von den Kämpfern im Kongo empfing er auf seinem Diensthandy.

Inwieweit hatten die beiden die Kontrolle über die Milizen im Kongo?

Die zentralen Fragen im Stuttgarter Verfahren lauten: Inwieweit hatten die beiden die Kontrolle über die Milizen im Kongo? Nahmen sie die Verbrechen der FDLR zumindest billigend in Kauf? Murwanashyaka habe zwar keine Einzelbefehle erteilt, aber die militärische Strategie der Strafaktionen gegen die Zivilbevölkerung mitentworfen, sagte Bundesanwalt Christian Ritscher in seinem Schlussplädoyer. Für den Ankläger war Murwanashyaka die unumstrittene Autorität der FDLR-Miliz. Er sei kein "Möchtegern-Feldherr auf dem Sofa in Mannheim" gewesen, sondern habe in ständigem Kontakt mit den Militärchefs im Ostkongo die "sadistischen Orgien" der FDLR eindeutig unterstützt.

Hätte Murwanashyaka die Gräueltaten also verhindern können? Nein, sagte die Verteidigung. Der heute 55-Jährige sei nur ein FDLR-Repräsentant im Ausland gewesen. Er habe die Miliz zwar beraten, aber keine Macht über ihre Soldaten gehabt.

Hintergrund des Konflikts ist der Genozid im Nachbarland Ruanda von 1994. Im Bürgerkrieg flohen viele Hutu in die Demokratische Republik Kongo, vor allem in die Region Kivu im Osten des Landes. Dort gründeten sie im Jahr 2000 die FDLR, um von hier aus die Regierung in Ruanda zu entmachten. Viele der Milizenchefs sind Hutu-Extremisten, die für den Völkermord verantwortlich gemacht werden.

Das Stuttgarter Gericht sah es bei seinem Urteil als erwiesen an, dass Murwanashyaka die FDLR-Verbrechen in zweifacher Weise unterstützte. So besorgte er Telefonkarten und Zubehör für die Satellitentelefone der Soldaten, um die Kommunikation während der Kämpfe sicherzustellen.

Auch mentale Unterstützung

Gleichzeitig leistete er laut Gericht auch mentale Unterstützung: Bei seiner Öffentlichkeitsarbeit für die FDLR habe er deren Verbrechen dementiert und bagatellisiert. Dies belegten auch die Zeugenaussagen, Mails, abgehörten Telefonate und SMS. Im Prozess füllten die Protokolle der Telekommunikationsüberwachung der Angeklagten 38 Leitz-Ordner. Tagelang wurden vor Gericht Mails verlesen und Telefonate vorgespielt.

Ohnehin forderte der Prozess einen enormen Aufwand. Um die Vorgänge aufklären zu können, vernahm das Gericht 50 Zeugen, von denen einige sogar von Ruanda nach Stuttgart eingeflogen wurden. Außerdem waren Opfer in Afrika per Videoübertragung zugeschaltet. Vor Ort achteten dabei Beamte des Bundeskriminalamts darauf, dass sie während der Vernehmung nicht von Dritten beeinflusst wurden. Die gesamte Kommunikation in den Kongo lief in der Bantusprache Kinyarwanda ab. Das Verfahren kostete mehr als fünf Millionen Euro.

Der Prozess war bahnbrechend, was den Kampf gegen die Straflosigkeit für schwerste Menschenrechtsverletzungen betrifft. Und zeigte gleichzeitig dessen Tücken. Trotz aller Bemühungen war es fast unmöglich, bis ins Detail zu erfahren, welche Verbrechen die FDLR-Milizen auf Geheiß aus Deutschland begangen hatten.

Mehr als 300 Prozesstage

Nach mehr als 300 Prozesstagen waren von 16 Anklagepunkten nur noch fünf übrig. Vor allem die Vorwürfe, bei denen es um sexuelle Verbrechen ging, wurden alle im Laufe des Verfahrens eingestellt – trotz der Anhörung von Zeuginnen, die Opfer geworden waren. Neben der Schwierigkeit, die Vorgänge zu beweisen, spielte dabei auch die Prozessökonomie eine Rolle: Die Einstellung erfolgte, um das Verfahren nicht noch weiter in die Länge zu ­ziehen.

Bei der Urteilsverkündung sprach der Vorsitzende Richter von einer "Herkulesaufgabe" und sagte: "So geht es nicht." Und dennoch entschied der Bundesgerichtshof im Dezember 2018, das Stuttgarter Gericht habe nicht hinreichend belegen können, dass Murwanashyaka die Verbrechen der Milizen objektiv gefördert oder erleichtert habe. Deshalb muss sich das Oberlandesgericht nun erneut damit beschäftigen, ob und wie er verantwortlich gemacht werden kann.

Immerhin: Das BGH-Urteil bestätigte, dass die Verbrechen gegen die ­Zivilbevölkerung stattgefunden haben, dass es Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren und dass die FDLR mit ­einer systematischen Taktik gegen Zivilisten vorging. Letzteres war im Stuttgarter Verfahren noch verneint worden. 

In absehbarer Zeit dürften weitere Verfahren nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch folgen. Da hier viele Syrer leben, bietet sich die Bundesrepublik als Ort für die Aufarbeitung syrischer Kriegsverbrechen an. Menschenrechtsaktivisten und Folterüberlebende aus Syrien haben 2017 gemeinsam mit dem European Center for Constitutional and Human Rights 27 hochrangige Funktionäre der syrischen Geheimdienste und des Militärs angezeigt.

Als der deutsche Generalbundesanwalt im Juni 2018 Haftbefehl gegen den Chef des Luftwaffengeheimdienstes erließ, bewerteten sie das als "Meilenstein", denn es war weltweit der erste Fahndungsaufruf gegen einen Vertrauten von ­Baschar al-Assad. Mitte Februar wurden in Berlin und in Rheinland-Pfalz zwei Syrer von Beamten des Bundeskriminalamts festgenommen. Sie sollen für die Folterung von Tausenden ­Oppositionellen in der Nähe von Damaskus verantwortlich sein. Ein Prozess gegen sie wäre der weltweit erste gegen Mitglieder des syrischen Geheimdienstes.

 

Die Autoren sind Mitglieder der Amnesty-Themenkoordinationsgruppe ­Völkerstrafrecht.

Der Künstler El Marto und der Journalist Frederik Richter zeichnen nach, wie der Milizenführer Murwanashyaka aus dem deutschen Exil Massaker im Ostkongo ermöglicht. Das Buch "MADE IN GERMANE: Ein Massaker im Kongo" ist im Verlag des gemeinnützigen Recherchezentrums CORRECTIV erschienen. 

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