Amnesty Journal Bosnien und Herzegowina 07. Februar 2025

Gemeinsam für Majevica

Menschenmassen auf einer Autobahn in Belgrad, sie demonstrieren gegen Lithiumabbau, manche tragen Transparente.

Auch in Serbien wird gegen die Lithium-Gewinnung protestiert: Straßenblockade in Belgrad, August 2024

In Bosnien-Herzegowina will ein internationaler Konzern Lithium fördern. Dagegen formiert sich vor Ort breiter Widerstand, der sogar einstige Feinde zu Verbündeten macht.

Aus Lopare und Čelić von Sead Husic

"Sie haben gemeinsam gegen die Faschisten gekämpft, und sie sind gemeinsam gestorben. Serben, Kroaten, Bosniaken. Heute erzählen uns die Politiker, dass wir nicht zusammenleben können", sagt Adi Selman und schüttelt den Kopf. Er liest einige Namen vor, die in goldener Schrift auf Tafeln stehen. "Jusuf, Ivo, Mihajlo …"

Adi ist 32 Jahre alt und hat die Kriege zwischen Bosnien, Kroatien und Serbien von 1991 bis 1995 nicht bewusst erlebt. Doch er kennt die schrecklichen Geschichten aus dieser Zeit von seinen Eltern. Er steht auf dem Areal eines verfal­lenen Partisanendenkmals in Vukosavci. Der weitläufige Park mit einem Gedenkfriedhof und einem Tagungszentrum zu Ehren gefallener Partisan*innen und Soldat*innen im Zweiten Weltkrieg wurde in den 1970er Jahren in Jugoslawien erbaut.

Seit dem Zerfall des Landes rottet dieser Platz vor sich hin. Denn heute und hier, in der Republika Srpska (RS), einem Teilstaat Bosnien-Herzegowinas, erinnern die nationalistischen Parteien nicht gern an die multiethnische Geschichte des 1992 entstandenen Balkanstaats. In diesem Teil des Landes kämpfte man unter Führung von Radovan Karadžić und General Ratko Mladić für einen "ethnisch reinen" Staat, indem Millionen Nicht­serben vertrieben und Zehntausende Bosniak*innen, Kroat*innen und Rom*nja ermordet wurden. Für den Völkermord von Srebrenica im Juli 1995, bei dem mehr als 8.000 Bosniak*innen innerhalb weniger Tage getötet wurden, erhielten Karadžić und Mladić lebenslange Haftstrafen. Doch gelten sie vielen Serb*innen immer noch als Helden.

Extremer Nationalismus

Adi ist Bosniake. Wenn es nach dem aktuellen Präsidenten der RS geht, dem extremen Nationalisten Milorad Dodik, hat jemand wie er hier nichts zu suchen. Seit mehr als 18 Jahren beherrscht Dodik die RS. Er unterstützt den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, macht Geschäfte mit dem belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko, gilt als enger Freund des ungarischen Machthabers Viktor Orbán und wünschte sich, dass ­Donald Trump die US-Präsidentschaftswahlen gewinnt. Dann, so glaubt er, könnte er seinen Landesteil von Bosnien abspalten, um sich Serbien anzuschließen. Öffentlich behauptet er, Bosniak*innen und Serb*innen könnten nicht zusammenleben.

Aber Adi beweist das Gegenteil, er hat in der Nähe Freund*innen wie die serbische Aktivistin Andrijana Pekić in Lopare. Der Ort ist nur zwei Kilometer von Vukosavci entfernt und sorgt seit zwei Jahren für Schlagzeilen. Denn im Herbst 2022 wurde bekannt, dass die Schweizer Firma Arcore im angrenzenden Majevica-Gebirge immense Vorkommen an Lithium entdeckte, das nun bald gefördert werden soll. Lithium gilt in der Europäischen ­Union als strategisch wichtiger Rohstoff. Denn die EU will bis 2050 von der fossilen zur regenerativen Energiegewinnung übergehen und dabei weltweit ein Vorbild sein. Dafür sollen Elektrofahrzeuge gebaut werden, mit entsprechender Lade­infrastruktur, außerdem Windkraft- und Photovoltaikanlagen. Und für all das braucht es Rohstoffe wie Blei, Bor, Kupfer, Kobalt, Zink – und Lithium.

Schlüsselprojekt für deutsche Energiewende

Arcore gibt an, dass im Mittelgebirge Majevica auf etwa 25 Quadratkilometern 1,5 Millionen Tonnen Lithiumkarbonat, 14 Millionen Tonnen Borsäure, 35 Millionen Tonnen Kali sowie 94 Millionen Tonnen Magnesiumsulfat lagern. Nach Unternehmensangaben sollen hier in den kommenden 50 Jahren Milliarden Euro Umsatz und entsprechende Gewinne erzielt werden. Im November 2023 teilte Arcore mit, mit dem deutsch-kanadischen Unternehmen Rock Tech Lithium eine strategische Partnerschaft vereinbart zu haben. Rock Tech baut derzeit im brandenburgischen Guben ein Konverterwerk, in dem aus Lithiumkarbonat Lithiumhydroxid produziert werden soll, um jährlich 150.000 Batterien für die deutsche Autoindustrie herzustellen. Mercedes-Benz soll als Abnehmer bereitstehen. Das Projekt gilt als eines der Schlüsselprojekte der deutschen Energie- und Verkehrswende.
 
"Den Preis dafür bezahlen wir. Bei der ­Lithiumförderung wird sehr viel Wasser verbraucht, und sie sorgt für eine immense Umweltverschmutzung", sagt Andrijana Pekić bitter. Gleich nachdem sie von den Plänen der Regierung unter Dodik zum Lithiumabbau aus der Presse erfahren hatte, wurde sie aktiv und gründete den Verein Čuvari Majevice, die "Beschützer der Majevica". Seither kämpft sie um den Erhalt ihrer Heimat, wie sie sagt. Sie und Adi treffen sich an der Ortseinfahrt von Lopare, und sie zeigt ihm ein neues Plakat, das sie hier anbringen ließ. Darauf steht: "Fremder Profit, unser Untergang?" Adi gratuliert ihr. Als Mitarbeiter der NGO Karton Revolucija, die gegen die landesweit grassierende Korruption kämpft, weiß er, wie man in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erzielt. Und gerade jetzt ist das Thema virulent, denn es stehen Kommunalwahlen an.

Lithium zu fördern sorgt für eine immense Verschmutzung der Umwelt.

Andrijana
Pekić
Aktivistin
Kästen mit Gesteinsproben, unterschiedlichste Formen, stehen systematisch aufgereiht auf dem Boden, eine Frau steht davor.

Profit in Rohform: Boden- und Steinproben der Arcore AG in Lopare, 2024

Andrijana und Adi fahren zum Vereinspavillon der Majevica-Aktivist*innen. Andrijana arbeitet als Grundschullehrerin. Ihr Ehemann ist Rechtsanwalt. Wegen ihres Engagements in Lopare war sie oft in den Medien zu sehen und erhielt schon einige Male Drohanrufe von angeblichen Veteranen, die ihr antiserbische Politik vorwerfen. Sie stellt Säfte, Limonade, Mineralwasser und Süßigkeiten auf den Tisch. Adi erzählt, dass ihn der unabhängige Kandidat für das Amt des Bürgermeisters in Lopare, Milanko Tošić, zu ­einer gemeinsamen Veranstaltung ein­geladen hat. Auf Tošićs Wahlplakaten steht: "Leben! Kein Lithium."

Gewaltdrohungen von serbischen Nationalist*innen

Adi hätte über seine Erfahrungen in Serbien reden sollen. Dort nahm er nämlich an mehreren Veranstaltungen von NGOs teil, die sich, wie etwa in Jadar, erfolgreich gegen den Lithiumabbau wehrten. Aber serbische Nationalist*innen drohten Tošić Gewalt an, sollte er einen Bosniaken auf einer serbischen Versammlung auftreten lassen. Andrijana ist entsetzt. "Diese Leute dürfen nicht gewinnen", sagt sie. 

Zahlreiche Aktive in Politik und Gesellschaft haben längst die ethnischen oder administrativen Grenzen überwunden, um den geplanten Lithiumabbau in Lopare gemeinsam zu stoppen. Das passiert nicht häufig, denn Bosnien-Herzegowina wurde 1995 mit dem Friedensvertrag von Dayton in zwei Landesteile aufgespalten. Es gibt die RS, in der vor allem Serb*innen leben, und die Föderation Bosnien-Herzegowina, die überwiegend aus Bosniak*in­nen und Kroa­t*innen besteht. Beide verfügen über ein hohes Maß an Eigenständigkeit. 

Mehrere Gemeinden wie die von Lopare und Čelić arbeiten aber mittlerweile über die Grenzen hinweg. Admir Hrusta­nović ist der parteilose Gemeindevorsteher von Čelić, das sich in der Föderation Bosnien-Herzegowina befindet und an das nördliche Ende des Majevica-Gebirges angrenzt. Hrustanović erlebte als Kind den Krieg und floh mit seiner Familie in die USA. Nach seiner Rückkehr engagierte er sich politisch in seinem Geburtsort. Stolz erzählt er, dass er auch mit den Stimmen von Kroat*innen und Serb*innen ins Amt gewählt wurde.

Dieses Land kann nur ­vorankommen, wenn wir alle zusammenarbeiten, ganz gleich welchen religiösen oder kulturellen Hintergrund jemand hat

Admir
Hrusta­nović
Gemeindevorsteher von Čelić

Er sitzt in seinem Büro und gibt sich zuversichtlich. "Dieses Land kann nur ­vorankommen, wenn wir alle zusammenarbeiten, ganz gleich welchen religiösen oder kulturellen Hintergrund jemand hat. Und wir sind auf einem guten Weg", sagt er freundlich. Čelić ist landesweit für frisches Obst und Gemüse bekannt. In der Landwirtschaft arbeiten Bosniak*innen, Serb*innen und Kroat*innen schon lange eng zusammen. "Das ist anders kaum möglich, denn wir sind alle täglich auf­einander angewiesen", sagt Hrustanović.

Schon vor Jahren riefen er und ein Kollege in Lopare das gemeinsame Projekt Via Majevica ins Leben. Drei Gemeinden der Föderation und zwei aus der RS beteiligen sich daran, das Mittelgebirge Majevica für den Tourismus zu erschließen: mit Wanderrouten, Radwegen und einem bunten Kulturprogramm, bei dem man auch Moscheen, orthodoxe oder katholische Kirchen besichtigen kann. Der Deutsche Bundestag fördert das Versöhnungsprojekt mit neun Millionen Euro. Doch der Lithiumabbau droht auch diese Pläne zu durchkreuzen.

"Die Menschen haben Angst um ihre Existenz. Sie fürchten, dass beim Abbau oder Transport der Rohstoffe giftige Substanzen in den Fluss Šibošnica gelangen und somit die Wasserversorgung unserer Gemeinde gefährdet. Alle unsere landwirtschaftlichen Flächen wären bedroht", sagt Hrustanović.

In Lopare sitzt Bürgermeister Rado Savić in seinem Gemeindebüro. Er ist gleich alt wie Hrustanović und gehört der Serbischen Demokratischen Partei an, die einst von Karadžić gegründet wurde. Doch das ist lange her. Savić ist voll des Lobes über seinen Kollegen und "Freund in Čelić", wie er sagt. 

"Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden und hatten beide die gleiche Vorstellung davon, wie wir unsere Region entwickeln sollten. Für Touristen ist es doch viel spannender, wenn sie die Vielfalt unseres Landes erleben können", sagt er. Die Verwaltungsgrenzen spielten dabei keine Rolle. Beim Thema Lithium verfinstert sich sein Blick. "Wir wissen, dass wir den geplanten Abbau nur gemeinsam stoppen können, und deshalb demonstrieren wir bei öffentlichen Auftritten die Zusammenarbeit", sagt Savić. Erst vor wenigen Tagen unterzeichneten die Vorsteher von acht Gemeinden aus beiden Landesteilen ein Memorandum zum gemeinsamen Kampf gegen Arcore und die Pläne von Dodiks Regierung, die Majevica zum Abbaugebiet zu machen. 

Vor allem in der Föderation berichteten die Medien breit darüber. In der RS dagegen, wo die staatlichen Medien unter Dodiks Kontrolle stehen, schweigt man sich über die Initiative aus. "Es ist leichter für ihn, seine Politik durchzusetzen, wenn er die Menschen spaltet", sagt Savić. Dann lässt er sich neben den Fahnen in seinem Büro fotografieren, so wie es auch Hrustanović getan hat. Denn es herrscht Wahlkampf, und da zeigt man nun mal die Farben vor, für die man steht.

Ein Mann und eine Frau stehen auf einem Stück Wiese neben einer Straße, es ist warm, er trägt Jeans und T-Shirt, sie ein Sommerkleid und darüber einen Blazer.

Arbeiten gut zusammen: Adi Selman und Andrijana Pekić in Lopare, Herbst 2024

Andrijana und Adi spazieren an der Hauptstraße in Lopare entlang und sehen sich die Plakate der Bürgermeisterkandidat*innen an. Unter dem großen Banner von Milanko Tošić, das an einer Hauswand hängt, bleiben sie stehen. "Er ist unsere Hoffnung, denn wir brauchen eine neue Generation von Politikern. Bei den alten weiß man nie, ob sie hinter den Kulissen nicht doch irgendwelche schmutzigen Deals machen", sagt Andrijana und deutet in Richtung eines Plakats, auf dem Savićs Gesicht zu sehen ist. Adi lächelt. "Man munkelt, dass Savić sich längst mit der Dodik-Regierung verständigt hat. Sollte er die Wahl gewinnen, dann wird er sich still verhalten und den Bau einer Mine nicht verhindern", sagt er.

Es sind mächtige Gegenspieler, die die beiden haben. Das ist ihnen bewusst. Im Juli dieses Jahres unterzeichnete der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz in Belgrad mit dem serbischen Präsidenten ­Alexander Vučić einen europäischen Plan zum Lithiumabbau im Jadar-Tal, das zu Serbien gehört. "Das ist die gleiche Ader wie im bosnischen Lopare. Sie ist nur knapp 40 Kilometer Luftlinie entfernt. Man braucht nicht viel Fantasie, um zu erkennen, dass hier mächtige Interessen im Spiel sind", sagt Adi.

Vučić und Dodik sind enge Verbündete und teilen auch gemeinsame wirtschaftliche Interessen. In Serbien soll das britisch-australische Bergbauunternehmen Rio Tinto tätig werden. Die serbische Regierung leitet gerade entsprechende Genehmigungsverfahren und Gesetze in die Wege. Proteste in Serbien sollen ­bereits im Keim erstickt werden.

Dodik könnte sich ein Beispiel daran nehmen und alles daran setzen, um den Bergbau in Lopare nach serbischem Vorbild voranzutreiben. Davon sind sowohl Adi als auch Andrijana überzeugt. Sie verabschieden sich voneinander. Adi fährt über die kurvige Straße über die Majevica zurück. Irgendwann bleibt er auf einer Anhöhe stehen, steigt aus und betrachtet die Landschaft. Mit ihren sanften, dicht bewaldeten Hügeln wirkt sie idyllisch. "Und das soll alles zerstört werden, damit man in Deutschland mit sauberen Elektroautos fahren kann?", fragt Adi und schüttelt den Kopf. Lange schaut er nachdenklich in die Ferne. Dann sagt er: ­"Andrijana hat recht. Die dürfen nicht ­gewinnen."

Sead Husić ist freier Journalist und Fotograf. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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