Aktuell Syrien 24. August 2017

Zivilbevölkerung in Rakkas "tödlichem Labyrinth" gefangen

Rauch steigt auf über einem zerstörten Stadteil der syrischen Stadt Rakka

Durch Kämpfe zerstörte Gebäude in der vom Islamischen Staat (IS) besetzten syrischen Stadt Rakka im August 2017

In Rakka leiden tausende Zivilpersonen unter massiven Menschenrechtsverletzungen des sogenannten Islamischen Staates (IS) sowie den militärischen Angriffen der vorrückenden internationalen Truppen.



Tausende Zivilpersonen sitzen in der nordsyrischen Stadt Rakka fest und werden von allen Seiten beschossen. Das dokumentiert Amnesty International in einem heute veröffentlichten Bericht.

Männer, Frauen und Kinder werden vom sogenannten Islamischen Staat (IS) als menschliche Schutzschilde missbraucht und an der Flucht gehindert. Wer entkommen kann, gerät zwischen die Fronten der US-geführten Koalition und der russisch-syrischen Einheiten und muss angesichts von massiven Luftangriffen und Artilleriefeuer um sein Leben fürchten.

René
Wildangel
Syrien-Experte bei Amnesty International

US-geführte Koalitionstruppen haben am 6. Juni mit der Endphase ihrer Offensive zur Rückeroberung Al-Raqqas vom IS begonnen. Mitte Juli begannen zudem die von Russland unterstützen syrischen Regierungstruppen mit Luftangriffen auf Dörfer und Lager für Binnenvertriebene südlich der Stadt. Seit dem Beginn dieser neuen Offensive wurden hunderte Zivilpersonen bei Angriffen aller Seiten getötet oder verletzt. In Rakka begann im Juni die entscheidende Phase der Kämpfe um die Kontrolle der "IS-Hauptstadt".



Überlebende und Augenzeugen berichteten Amnesty International von Sprengfallen und Scharfschützen, mit denen der IS Flüchtende attackiert. Dazu kommen  ständige Luftangriffe und  Artilleriefeuer der US-geführten Militärkoalition, die die bewaffneten Einheiten der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) unterstützt.

"Während die Kämpfe zur Rückeroberung Rakkas vom Islamischen Staat weiter an Intensität zunehmen, sind tausende Zivilpersonen in einem tödlichen Labyrinth gefangen", so Donatella Rovera, Beraterin für Krisenarbeit bei Amnesty International und Leiterin der Untersuchung vor Ort. Zahlreiche, vor kurzen entkommene Flüchtlinge berichteten Amnesty International, dass diese unaufhörlichen und häufig unpräzisen Angriffe in den letzten Wochen und Monaten zu einem Anstieg der zivilen Opfer geführt hätten.

Video zu den Kämpfen in der syrischen Stadt Rakka

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"Das war unbeschreiblich, das war wie das Ende der Welt – der Lärm, die schreienden Leute. Dieses Blutbad werde ich nie vergessen."

Bewohnerin von Rakka

Eine Bewohnerin berichtete: "Es war die Hölle. Die Gegend wurde von zahlreichen Granaten getroffen. Wir Bewohner wussten nicht, wie wir uns schützen sollten. Einige Leute rannten von einem Platz zum nächsten – um dann dort wieder bombardiert zu werden. Wussten die SDF und die Koalition nicht, dass der Ort voller Zivilpersonen war? Wir saßen dort fest, weil uns der IS nicht gehen ließ."

Eine andere Bewohnerin beschrieb, wie am 10. Juni in einer Wohngegend von Daraiya zwölf Granaten einschlugen. Mehrere der einstöckigen Häuser wurden getroffen und mindestens zwölf Personen getötet, unter ihnen ein 75-jähriger Mann und ein 18 Monate altes Baby. Sie berichtet: "Die Granaten trafen ein Haus nach dem anderen. Das war unbeschreiblich, das war wie das Ende der Welt – der Lärm, die schreienden Leute. Dieses Blutbad werde ich nie vergessen."



Überlebende berichteten außerdem, dass die von Russland unterstützten syrischen Regierungstruppen Zivilpersonen bombardiert hätten, die sich in Dörfern und Lagern südlich des Euphrat aufhielten – und zwar auch mit international geächteten Streubomben.

Mit dem Beginn der entscheidenden Kampfphase verschlechtert sich derzeit die Situation der Zivilpersonen weiter. Die letzten Kämpfe werden voraussichtlich in der Altstadt stattfinden, wo der IS die überlebenden Zivilpersonen festhält. Die Zahl der Zivilpersonen, die in Al-Raqqa festsitzen, ist unbekannt. Schätzungen der UN reichen von 10.000 bis 50.000 Personen. Es wird angenommen, dass viele von ihnen – wenn nicht die meisten – in der Altstadt und anderen IS-kontrollierten Gebieten als menschliche Schutzschilde missbraucht werden. IS-Kämpfer haben auf den Fluchtrouten Landminen und Sprengfallen verlegt und rund um die Stadt Checkpoints errichtet, um die Bewegungsfreiheit einzuschränken. Auf alle, die trotzdem versuchen herauszukommen, wird geschossen.

"Diejenigen, die in Rakka belagert werden, sind der schrecklichen Brutalität des IS ausgesetzt – daran besteht kein Zweifel. Doch die Verstöße des IS beeinträchtigen die internationalen rechtlichen Verpflichtungen der anderen Konfliktparteien nicht, Zivilpersonen zu schützen", macht Donatella Rovera deutlich. "Dazu gehört die Auswahl rechtmäßiger Ziele, die Vermeidung von unverhältnismäßigen oder willkürlichen Angriffen sowie das Schaffen von sicheren Fluchtwegen und das Treffen aller möglichen Vorkehrungen, um die Folgen für die Zivilbevölkerung so gering wie möglich zu halten."

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