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Ägypten: "Immer noch bis zu 40 Personen in eine Zelle gepfercht"
Ein Angeklagter im Gerichtssaal des Tora-Gefängnisses in Kario im August 2015
© Amr Nabil/AP/pa
Am 12. August 2013 wurden mehr als 800 Menschen auf dem Rabaa-Platz in Kairo von Sicherheitskräften getötet. Das Protestcamp im Norden Kairos war nach dem Putsch gegen den ersten frei gewählten Präsidenten Ägyptens, den Muslimbruder Muhammad Mursi, errichtet worden. Mursi starb im Juni nach sechs Jahren Einzelhaft im Gefängnis. Laut offiziellen Angaben soll der 67-Jährige einem Herzinfarkt erlegen sein. Sein Anwalt führt den plötzlichen Tod Mursis auf dessen schlechte Haftbedingungen zurück.
Im Interview spricht Aida Seif al-Dawla, eine der Gründerinnen des Nadeem-Zentrums für die Rehabilitierung von Opfern von Gewalt und Folter, über die Zustände in ägyptischen Gefägnissen und die Menschenrechtslage unter Präsident Abdel Fattah al-Sisi.
Gibt es Ihrer Meinung nach einen direkten Zusammenhang zwischen dem Tod Mohamed Mursis und seinen Haftbedingungen?
Definitiv. Seine Familie hat immer wieder darauf hingewiesen, dass er unter Diabetes leidet, dass er sein Augenlicht verliert, dass sein Gesundheitszustand sich verschlechtert, dass sie ihn nicht besuchen können, dass nicht mal Besuch von seinem Anwalt zugelassen ist. Er hat unter diesen Ungerechtigkeiten und unter der medizinischen Vernachlässigung in Haft stark gelitten. Dass er nach der richterlichen Anhörung in diesem gläsernen Käfig, in den die Häftlinge gesteckt werden, bewusstlos wurde und es Berichten zufolge zwanzig Minuten gedauert hat, bis er angemessene medizinische Hilfe bekam, war der Höhepunkt einer Entwicklung. Denn Mursi ist kein Einzelfall. Wir schätzen, dass es zwischen 40.000 und 60.000 politische Gefangene in Ägypten gibt. Seit Mursis Tod sind mehr als hundert Inhaftierte wegen der üblen Haftbedingungen in Hungerstreik.
Das Regime des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi bewertet solche Vorwürfe als Propaganda der verbotenen und als Terrororganisation eingestuften Muslimbruderschaft, der Mursi angehörte.
Aus Sicht des Sisi-Regimes wird jeder Kritiker, egal welcher politischen Richtung, als Anhänger der Muslimbruderschaft abgestempelt. Und wer das nicht ist, wird womöglich der Mithilfe einer Terrororganisation angeklagt oder kann wegen der Verbreitung von Falschnachrichten festgenommen werden.
Seit der Machtübernahme durch den heutigen Präsidenten al-Sisi vor sechs Jahren sollen in Ägypten 13 neue Gefängnisse gebaut worden sein.
Mit Blick auf die Armut im Land, von der al-Sisi gerne spricht, ist das schon verwunderlich. Wir haben in Ägypten kein Geld, um Schulen oder Krankenhäuser zu bauen, aber wir haben eine Menge Geld, um Gefängnisse zu bauen.
Hat das die Haftbedingungen nicht verbessert?
Nein, die Haftbedingungen haben nichts mit Geld zu tun. Sie werden gezielt verschlechtert, um einem mehr als nur die Freiheit zu rauben. Der Zweck ist Erniedrigung. Immer noch werden bis zu 40 Personen in eine Zelle gepfercht. Es gibt aber auch viele Inhaftierte in Einzelhaft, was eine Form von Folter ist. Die Zahl der Selbstmordversuche steigt. Das Gefängnis-Essen ist miserabel. Den Häftlingen werden Medikamente verweigert, selbst wenn die Familie sie bringt. Und wenn man sich beschwert, hängt es vom guten Willen der Wärter und deren Informanten hinter Gitter ab, ob sie einen nicht anschwärzen. Selbst als Reaktion auf Briefe, die man aus dem Gefängnis an Angehörige schreibt, gibt es Nahrungsentzug, Schläge und Stromschläge. Allein in den vergangenen zehn Tagen sind drei junge Ägypter in Haft gestorben, einer in der Zelle einer Polizeiwache, zwei im Gefängnis. Es geht hier nicht um Freiheitsentzug. Es geht darum, Menschen zu brechen.
Welche Maßnahmen fordern Sie von Deutschland und der internationalen Gemeinschaft?
Wir haben verstanden: Solange in der Zusammenarbeit mit Ägypten wirtschaftliche Belange und Flüchtlingsfragen involviert sind, kommen Menschenrechte zuletzt an die Reihe. Okay. Also könnt Ihr nicht schaden, kritisieren, boykottieren, aber unterstützt um Himmels Willen nicht auch noch. Für den 4. und 5. September wird ausgerechnet in Ägypten eine Regionalkonferenz organisiert, an der die UN beteiligt sind. Sie ist dem Thema Folter gewidmet, mit Prävention und der Kriminalisierung von Folter als Verbrechen. Der Entwurf der Tagesordnung sieht große Namen vor. Unterdessen wird offiziellen Beobachtern seit gut zwei Jahrzehnten der Zugang zu ägyptischen Gefängnissen verwehrt. Wer an dieser Konferenz teilnimmt, hilft dem ägyptischen Regime dabei, Make Up auf ein sehr hässliches Gesicht aufzutragen.
Hintergrundinformationen:
Das Kairoer Nadeem-Zentrum für die Rehabilitierung von Opfern von Gewalt und Folter engagiert sich seit 25 Jahren in der Opferhilfe. 2018 wurde die Nichtregierungsorganisation mit dem Menschenrechtspreis der deutschen Amnesty-Sektion ausgezeichnet.
Interview: Barbara Leonhard