Pressemitteilung Aktuell 26. Februar 2021

Äthiopien: Amnesty belegt Beteiligung Eritreas an Massaker in Aksum

Satellitenbild: In der Mitte sieht man wenige Gebäude und Bäume, in der Umgebung hauptsächlich braune Erde. Mit einem Pfeil wird der Ort der Gräber angezeigt.

Satellitenbilder vom 13. Dezember 2020 zeigen, dass wenige Tage nach dem Massaker in der äthiopischen Stadt Aksum in der Nähe der Kirchen Arba'etu Ensessa und Abune Aregawi Gräber angelegt wurden.

Ein neuer Amnesty-Bericht belegt, dass Angehörige der eritreischen Streitkräfte im November letzten Jahres im äthiopischen Bundesstaat Tigray systematisch Hunderte unbewaffnete Zivilpersonen getötet haben. Sie eröffneten in den Straßen der Stadt Aksum das Feuer und durchkämmten ein Haus nach dem anderen. Das Massaker stellt mutmaßlich ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. Die Auswertung von Satellitenbildern durch Amnesty International bestätigt Berichte über wahllosen Beschuss und Massenplünderungen.

Am 19. November 2020 nahmen äthiopische und eritreische Streitkräfte in einer groß angelegten Offensive die Stadt Aksum ein, um sie von den Milizen der "Volksbefreiungsfront von Tigray" (Tigray People’s Liberation Front, TPLF) zurückzuerobern.

Für den neuen Bericht "The Massacre in Axum" sprach die Menschenrechtsorganisation mit 41 Überlebenden sowie Zeuginnen und Zeugen. Diese berichteten übereinstimmend von außergerichtlichen Hinrichtungen, wahllosem Beschuss und Massenplünderungen nach einer Offensive durch äthiopische und eritreische Truppen. Amnesty International konnte diese Berichte nun mit technischen Hilfsmitteln verifizieren.

Das Ausmaß der Gewalt durch das eritreische Militär ist unvorstellbar.

Franziska
Ulm-Düsterhöft
Afrikareferentin bei Amnesty International in Deutschland

Amnesty International hat die Namen von mehr als 240 Opfern zusammengetragen. Zwar konnte die Organisation die Gesamtzahl der Todesopfer nicht verifizieren, doch legen übereinstimmende Zeugenaussagen und eine Reihe überzeugender Indizien nahe, dass Hunderte Einwohnerinnen und Einwohner von Aksum getötet wurden.

"Das Ausmaß der Gewalt durch das eritreische Militär ist unvorstellbar. Eritreische Soldatinnen und Soldaten haben an der Seite der äthiopischen Armee systematisch Hunderte von Menschen getötet und drangsaliert. In der Annahme, die internationale Gemeinschaft würde davon nichts mitbekommen, wurden Kriegsverbrechen und mutmaßlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen", so Franziska Ulm-Düsterhöft, Afrikareferentin bei Amnesty International.

Der Angriff erfolgte, nachdem eine Gruppe von TPLF-Milizionären am Morgen des 28. November einen Militärstützpunkt auf dem Berg Mai Koho angegriffen hatte, der in unmittelbarer Nähe von Aksum liegt. Die Milizionäre waren mit Gewehren bewaffnet und wurden von Anwohnenden mit improvisierten Waffen wie Stöcken, Messern und Steinen unterstützt.

Die Angehörigen der eritreischen Streitkräfte waren leicht zu identifizieren. Sie fuhren Fahrzeuge mit eritreischen Nummernschildern, trugen unverwechselbare Tarnkleidung und Schuhe, die von den eritreischen Streitkräften verwendet werden. Außerdem sprachen sie Arabisch oder einen Tigrinya-Dialekt, der in Äthiopien nicht gesprochen wird. Einige trugen die rituellen Gesichtsnarben der ethnischen Gemeinschaft der Ben Amir, die in Äthiopien nicht vertreten ist. Schließlich machten einige der Soldaten keinen Hehl aus ihrer Identität und sagten den Anwohnenden offen, dass sie Eritreer seien.

Luftaufnahme einer Kirche, umringt von Bäumen

Die Kirche "Our Lady Mary of Zion" in der äthiopischen Stadt Aksum, wo Ende November 2020 Hunderte Menschen bei einem Massaker getötet wurden.

In einem Video, das am Morgen des 28. November von unterschiedlichen Orten am Fuß des Berges aufgenommen wurde, sind anhaltende Schüsse zu hören. Überlebende berichteten, dass die eritreischen Streitkräfte ab etwa 16 Uhr begonnen hätten, vorsätzlich auf Zivilpersonen zu schießen. Die Bewohnerinnen und Bewohner gaben an, dass die Opfer unbewaffnet gewesen und viele von ihnen auf der Flucht vor den Soldaten erschossen worden seien.

Nach den Tötungen waren die Straßen von Aksum mit Leichen übersät. Am nächsten Tag schossen die eritreischen Soldaten auf alle, die versuchten, die Getöteten zu bergen. Sie durchsuchten die Häuser, jagten und töteten Männer und Jugendliche, aber auch eine kleinere Anzahl von Frauen.

Die Anwohnerinnen und Anwohner gaben an, dass sie nach dem Massaker mehrere Hundert Menschen begraben hätten. Mittels Geolokalisierung konnte Amnesty International ein Video verifizieren, auf dem zu sehen ist, wie mehrere Personen auf dem Da’Ero Ela-Platz einen toten Mann auf einer Bahre Richtung Arba’etu Ensessa-Kirche tragen (14.129918, 38.717113). Hochauflösende Satellitenbilder vom 13. Dezember zeigen, dass der Boden um die Kirchen Arba'etu Ensessa und Abune Aregawi kürzlich umgegraben wurde – was die Berichte von dort neu angelegten Gräbern untermauert.

Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.

Franziska
Ulm-Düsterhöft
Afrikareferentin bei Amnesty International in Deutschland

In den Tagen nach den Beisetzungen trieben Angehörige der eritreischen Streitkräfte in verschiedenen Stadtteilen Hunderte von Einwohnerinnen und Einwohnern zusammen. Sie verprügelten einige und drohten mit Rachemorden, sollten sie sich wehren. Öffentliche Gebäude, darunter ein Krankenhaus, Geschäfte und Privathäuser wurden geplündert. Die Soldaten nahmen Luxusgüter, Fahrzeuge, Medikamente, Möbel, Haushaltsgegenstände, Lebensmittel und Getränke mit.

"Es muss dringend eine Untersuchung dieser furchtbaren Vorfälle durch die UN durchgeführt werden und die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Wir fordern die äthiopische Regierung erneut auf, Menschenrechts- und sonstigen humanitären Organisationen sowie Journalistinnen und Journalisten sofort vollen und uneingeschränkten Zugang zur gesamten Region Tigray zu gewähren", so Ulm-Düsterhöft.

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