Aktuell Aserbaidschan 03. September 2014

Verhaftungswelle gegen Aktivisten in Aserbaidschan

Amnesty-Aktivisten in Wien protestieren gegen Menschenrechtsverstöße in Aserbaidschan

Amnesty-Aktivisten in Wien protestieren gegen Menschenrechtsverstöße in Aserbaidschan

02. September 2014 - Die Zahl der Inhaftierungen von MenschenrechtsverteidigerInnen und AktivistInnen in Aserbaidschan ist in den letzten Monaten massiv gestiegen. In dem Land, das am 14. Mai 2014 den Vorsitz des Europarates übernommen hat, werden Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit zunehmend eingeschränkt. AktivistInnen werden inhaftiert, angeklagt und in unfairen Verfahren verurteilt. Teils aufgrund von Verstößen gegen die jüngst erlassenen verschärften Gesetze zum Demonstrationsrecht und zur Registrierung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), teils wegen konstruierter Vorwürfe des Waffen- und Drogenbesitzes. Geständnisse werden oft durch die Androhung und Anwendung von Folter und anderweitige Misshandlungen erzwungen. In vielen Fällen wird den Inhaftierten der Kontakt zu einem Rechtsbeistand und ihren Familien verwehrt.

Amnesty International hat in den letzten Monaten eine Vielzahl von Fällen dokumentiert, in denen MenschenrechtsverteidigerInnen und AktivistInnen mit konstruierten Strafanzeigen, tätlichen Übergriffen, Schikane, Erpressung oder anderen Repressalien systematisch zum Schweigen gebracht werden sollen. Mitte Mai hat Amnesty International die Übernahme des Europarat-Vorsitzes durch Aserbaidschan zum Anlass genommen, um in dem Bericht "Behind bars: Silencing dissent in Azerbaijan" auf die sich verschlechternde Menschenrechtslage im Land aufmerksam zu machen. Allein seit diesem Zeitpunkt hat sich die Zahl der von Amnesty International dokumentierten Fälle von gewaltlosen politischen Gefangenen von 19 auf mindestens 26 erhöht.

Konstruierte Anklagen gegen politische AktivistInnen

Der jüngste von Amnesty International dokumentierte Fall zeigt ein immer wiederkehrendes Muster im Vorgehen der aserbaidschanischen Ordnungskräfte: konstruierte Anklagen wegen Drogendelikten gegen AktivistInnen und ihre Familienmitglieder.

Der Aktivist Murad Adilov wurde am 11. August 2014 festgenommen, nachdem die Polizei behauptete, Drogen in seiner Wohnung gefunden zu haben. Dabei handelt es sich offenbar um konstruierte Vorwürfe. Daraufhin verordnete ihn ein Gericht in der Hauptstadt Baku zu drei Monaten Untersuchungshaft wegen Drogendelikten. Sein Rechtsbeistand durfte nicht an dem Verfahren teilnehmen. Murad Adilov reichte bei seinem Rechtsbeistand Beschwerde ein, weil er in Gewahrsam geschlagen worden sein soll. Er ist nach wie vor in Gefahr, gefoltert zu werden. Dem Rechtsbeistand wurde jedoch bisher verwehrt, Kontakt zu Murad Adilov aufzunehmen.

Murad Adilovs Bruder, Natiq Adilov, ist ebenfalls ein Kritiker der aserbaidschanischen Regierung. Er ist Sprecher der oppositionellen Volksfront-Partei, Kolumnist bei der unabhängigen Zeitung "Azadliq" und Ko-Moderator der Sendung "Azerbaijan Hour", die von einem Satellitensender ausgestrahlt wird, um so eine staatliche Zensur zu umgehen. Murad Adilov ist als aktives Mitglied der Volksfront-Partei ebenfalls an politischen Aktivitäten beteiligt.

Bereits im Dezember 2013 erhielt Natiq Adilov einen Brief von der Generalstaatsanwaltschaft, in dem er beschuldigt wurde, "Gedankengut und Bilder in den Medien und den sozialen Netzwerken zu verbreiten, die nicht die dynamische Entwicklung des Landes, die verbesserten Lebensstandards und den wahren Kern wirtschaftlicher Reformen widerspiegeln und die gegen jegliche Moral verstoßen." Des Weiteren drohten ihm die Behörden mit ernsthaften Maßnahmen, sollte er seinen Aktivitäten weiter nachgehen.

Ähnlich erging es dem politischen Aktivisten Faraj Karimov und seinem Bruder Siraj Karimov. Sie geben an, in Haft unter Folter gezwungen worden zu sein, Drogendelikte zu "gestehen" und "Geständnisse" zu unterschreiben.

Der Fall Yunus

Weltweit für Aufsehen sorgte auch der Fall von Leyla und Arif Yunus. Die bekannte Menschenrechtsaktivistin wurde am 30. Juli 2014 von aserbaidschanischen Sicherheitskräften inhaftiert, nachdem sie und ihr Mann über Monate hinweg drangsaliert, beschattet und verhört worden waren und man ihre Reisepässe konfisziert hatte. Mit der Begründung, sie sei keine aserbaidschanische Frau, sie sei armenisch, drohten ihr Sicherheitskräfte mit Vergewaltigung und folgten ihr auf die Toilette.

Ihr Mann Arif Yunus ist seit dem 5. August 2014 ebenfalls inhaftiert. Beide sind wegen Landesverrats, Steuerhinterziehung, Amtsmissbrauch und anderer Straftaten angeklagt. Der Gesundheitszustand von Leyla Yunus hat sich seit ihrer Inhaftierung massiv verschlechtert. Sie leidet an Diabetes und Nierenproblemen.

Leyla Yunus ist Regierungskritikerin und die Vorsitzende der aserbaidschanischen NGO "Institute for Peace and Democracy", deren seit neustem gesetzlich vorgeschriebene Registrierung ihr die aserbaidschanischen Behörden untersagt hatten. Zudem hatte sie gemeinsam mit Rauf Mirgadirov, einem freien Journalisten, der sich ebenfalls in Haft befindet, an Versöhnungsprojekten mit armenischen NGOs gearbeitet.

Amnesty fordert Freilassung aller gewaltlosen politischen Gefangenen

Amnesty International betrachtet alle seit März 2014 inhaftierten AktivistInnen als gewaltlose politische Gefangene, die allein deshalb in Haft sind, weil sie Kritik an der aserbaidschanischen Regierung übten und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen haben. Amnesty hat zahlreiche Fälle ausführlich dokumentiert und in den letzten Wochen eine Vielzahl von Urgent Actions veröffentlicht.

Wir fordern die aserbaidschanische Regierung auf, alle gewaltlosen politischen Gefangenen umgehend freizulassen und die Behinderung der Tätigkeit von JournalistInnen, AnwältInnen, MenschenrechtsverteidigerInnen, Mitgliedern von Oppositionsparteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen zu unterbinden. Weiter fordert Amnesty die aserbaidschanische Regierung dazu auf, gegen die Einschüchterung, Misshandlung und Folter von Festgenommenen wirksam vorzugehen und diesbezügliche Vorwürfe unparteiisch untersuchen zu lassen. Die aserbaidschanische Gesetzgebung und Praxis zum Versammlungs- und Vereinigungsrecht muss in Einklang mit völkerrechtlichen Menschenrechtsstandards gebracht und das Recht auf freie Meinungsäußerung sichergestellt werden.

Die Regierung Aserbaidschans wird außerdem dazu aufgefordert, ihrem Vorsitz im Europarat gerecht zu werden. Denn die Wahrung der demokratischen Sicherheit, wozu die Wahrung der Menschenrechte, die Sicherung demokratischer Grundsätze sowie rechtstaatlicher Grundprinzipien zählen, ist zentrales Thema und Anliegen des Europarates.

Unterzeichnen Sie unsere Urgent Actions, um den Menschenrechtsverstößen in Aserbaidschan ein Ende zu setzen!

Amnesty-Bericht: "Behind bars: Silencing dissent in Azerbaijan"

Weitere Artikel