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Russische Behörden verschärfen Angriffe auf Versammlungsfreiheit
Demonstration gegen die russische Regierung in Moskau
© Yuri Kozyrev/Noor/laif
07. März 2014 - Seit der Rückkehr Wladimir Putins in das Amt des Präsidenten im Mai 2012 haben staatliche Angriffe auf das Recht auf Versammlungsfreiheit in Russland stetig zugenommen, vor allem durch Versammlungsverbote und grundlose Versammlungsauflösungen. Nach dem Ende der Olympischen Winterspiele in Sotchi und dem Abklingen des Medienrummels sind allein in Moskau über 600 friedliche Demonstranten festgenommen worden. Dutzende erlitten andernorts dasselbe Schicksal, so etwa 27 Kriegsgegner, die am 2. März in St. Petersburg inhaftiert wurden.
Die Auslöser der jüngsten Proteste waren die Verkündigung der Strafurteile gegen friedliche Demonstranten in den "Bolotnaja-Prozessen", die Verfolgung von Demonstranten in den letzten Tagen und der militärische Einsatz russischer Streitkräfte in de autonomen Krimregion in der Ukraine. Gegen mindestens zehn Personen wurde Verwaltungshaft verhängt. Offiziell werden ihnen Ordnungswidrigkeiten wie "Nichtbefolgung polizeilicher Weisungen" vorgeworfen - dabei hatten sie nur versucht, friedlich ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit auszuüben.
In den kommenden Wochen werden weitere Verfahren gegen inhaftierte und zwischenzeitlich freigelassene Demonstranten erwartet, in denen wohl wieder Beispiele für Falschaussagen von Sicherheitskräfte und die vorsätzliche Missachtung entlastenden Beweismaterials durch die Gerichte zu Tage treten werden.
Amnesty International sieht all jene, die für die friedliche Ausübung des Rechts auf Meinungsfreiheit inhaftiert wurden, als gewaltlose politische Gefangene an und fordert ihre unverzügliche und bedingungslose Freilassung. Hunderten friedlichen Demonstranten drohen nach ihrer Verhaftung im Rahmen der jüngsten gewaltfreien Proteste nun exorbitante Geldbußen wegen angeblicher Rechtsverstöße bei öffentlichen Versammlungen.
Darüber hinaus gibt es Berichte über den Einsatz exzessiver Gewalt durch die Polizei. Jede einzelne Anschuldigung, ebenso wie jeder Verdacht der Manipulation von Beweismitteln zulasten friedlicher Demonstranten, muss umgehend, effektiv und unabhängig untersucht werden. Diejenigen Polizeibeamten, einschließlich der befehlshabenden Vorgesetzten, gegen die sich aufgrund von rechtsstaatlich ermittelten Beweisen der Verdacht einer Verantwortlichkeit erhärtet, müssen in strafrechtlichen oder disziplinarischen Verfahren in angemessener Weise zur Rechenschaft gezogen werden.
Verhaftungswellen bei "Bolotnaja-Prozessen"
Am 21. Februar versammelten sich einige hundert Unterstützer der Angeklagten in den "Bolotjana-Prozessen" für die anberaumte Urteilsverkündung vor dem Gerichtsgebäude in Moskau. Noch vor Beginn des Gerichtstermins begann die Polizei mit der Verhaftung friedlicher Demonstranten. Umfangreiches Videomaterial sowie Augenzeugenberichte belegen, dass von den inhaftierten Personen weder ordnungswidrige Störungen noch sonstiges unfriedliches Verhalten ausgegangen waren.
Das Gericht vertagte nach Verlesung des Schuldspruchs gegen die Bolotnaja-Gefangenen überraschend die Verkündung des Strafmaßes auf den 24. Februar, also einen Tag nach Ende der Olympischen Winterspiele. An diesem Morgen versammelten sich wiederum Hunderte von Menschen vor dem Gerichtsgebäude, um ihre Solidarität mit den Angeklagten auszudrücken. Wieder begann die Polizei ohne jegliche Begründung mit der willkürlichen Verhaftung von Demonstranten, Berichten zufolge auch unter Anwendung exzessiver und unnötiger Gewalt. Mehr als 230 Personen sollen an Ort und Stelle verhaftet worden sein. Am Abend kam es zu weiteren Massenverhaftungen von fast 430 Personen, die beim Maneschnaja-Platz in Nähe des Kremls für die Bolotnaja-Gefangenen demonstriert hatten.
In Folge der drei massiven Verhaftungswellen zwischen dem 21. und dem 24. Februar werden etwa 640 Personen wegen der Teilnahme an nicht genehmigten Versammlungen angeklagt. Ihnen drohen nach dem russischen Gesetz über Ordnungswidrigkeiten hohe Geldbußen von bis zu 30.000 Rubeln (ca. 800 US Dollar). Rund 80 weiteren Personen wird die Nichtbefolgung polizeilicher Anordnungen vorgeworfen, was mit Geldbußen und Haftstrafen von bis zu 15 Tagen geahndet werden kann.
Gegen mindestens acht der inhaftierten friedlichen Demonstranten wurde am 25. und 27. Februar gerichtlich verhandelt. Am 25. Februar wurde Andrey Semyonov zu 13 Tagen Verwaltungshaft veurteilt, Boris Nemtsov, Ilya Yashin, Nikolay Liaskin und Nadezha Mitiushkina jeweils zu 10 Tagen und Alexey Navalny zu 7 Tagen Haft. Gegen Petr Tsarkov wurde am 27. Februar eine 7-tägie Haftstrafe verhängt, die auf die Berufung des Beschuldigten hin auf 5 Tage reduziert wurde.
Allen vorgenannten Personen wird die Nichtbefolgung polizeilicher Anordnungen, Laufen auf der Fahrbahn und Behinderung des Verkehrs vorgeworfen. Amnesty International hat Video- und Bildmaterial sowie Zeugenaussagen ausgewertet, welche in der Mehrheit der Vorfälle zur Verfügung stehen, und ist zu der Ansicht gekommen, dass die Verfolgung der Beschuldigten politisch motiviert war und ihren Verurteilungen unfaire Verfahren vorausgegangen sind.
Verstöße gegen Gewährleistung fairer Gerichtsverfahren
Im Zusammenhang mit diesen Verhaftungen und den anschließenden Gerichtsverfahren hat Amnesty International eine Vielzahl von Verstößen gegen internationale Menschenrechtsstandards, insbesondere gegen die Gewährleistung fairer Gerichtsverfahren, festgestellt, ebenso wie Verletzungen von rechtsstaatlichen und verfahrensrechtlichen Anforderungen russischer Gesetze.
Amnesty International liegen Informationen vor, wonach die offiziellen Polizeiberichte zu den Umständen der Verhaftungen vieler friedlicher Demonstranten nicht wie gesetzlich vorgeschrieben von den jeweils beteiligten Polizeibeamten sondern von anderen Polizisten auf der Polizeiwache, wohin die Festgenommenen gebracht worden waren, angefertigt wurden. Darüber hinaus wurden Zeugenaussagen von Polizeibeamten, die gar nicht vor Ort waren, als belastendes Beweismaterial gegen die Beschuldigten verwendet. Derartige "Beweise" wurden von Richtern verwertet. Dies geschah auch in Fällen, in denen die polizeilichen Aussagen durch überwältigende Gegenbeweise widerlegt wurden, etwa durch umfangreiches Video- und Bildmaterial und Zeugenaussagen, welche die Beschuldigten entlasteten.
Weitere Verhaftungen friedlicher Kriegsgegner
Am 2. März versammelten sich Hunderte von Menschen vor dem russischen Verteidigungsministerium und auf dem Maneschnaja-Platz um gegen den militärischen Einsatz russischer Streitkräfte in der Ukraine zu protestieren. Auslöser der Demonstrationen war der Beschluss des russischen Föderationsrats (Oberhaus des Parlaments), auf Bitten Putins den Einsatz militärischer Mittel seitens Russlands in der Ukraine zu autorisieren. Einige der Demonstranten hielten Plakate mit Aufschriften wie "Keinen Krieg", "Frieden für die Welt", "Hört auf, bevor es zu spät ist", "Stoppt die Blamage Russlands", andere sangen die ukrainische Nationalhymne oder alte sowjetische Kinderlieder über Frieden.
Wie bei den vorangegangenen Protesten belegen umfangreiches Video- und Bildmaterial, eigene Beobachtungen von Amnesty International sowie Augenzeugenberichte, dass die Demonstranten weder an ordnungswidrigen noch an unfriedlichen Aktivitäten beteiligt waren. Dennoch nahm die Polizei Verhaftungen vor, welche dem Anschein nach willkürlich erfolgten. Vor dem Verteidigungsministerium wurden mindestens 130 Personen, auf dem Maneschnaja-Platz 230 Personen oder gar mehr verhaftet.
Am selben Tag wurden bei ähnlichen Protesten in St. Petersburg weitere 27 Personen verhaftet. Am 3. März wurden bei erneuten Anti-Kriegsprotesten in Moskau Vladiskav Dronov, ein weißrussischer Staatsangehöriger, und Roman Nemuchinskiy, ein ukrainischer Staatsangehöriger festgenommen. Gegen sie wurde jeweils 5 Tage Verwaltungshaft verhängt, aufgrund der angeblichen Nichtbefolgung von polizeilichen Weisungen.
Jüngste Übergriffe bekräftigen altbekanntes Muster
Bei diesen jüngsten Ereignissen handelt es sich keineswegs um isolierte Vorfälle, sondern um die Fortführung eines altbekannten Musters willkürlicher Eingriffen und Beschränkungen der Freiheit friedlicher Versammlungen und Meinungsäußerungen durch russische Behörden. In den vergangen Jahren dokumentierte Amnesty International eine Flut von Verhaftungen friedlicher Demonstranten in Moskau und andernorts in Russland, wo Menschen für friedliche Proteste oder die Kundgabe ihrer Meinung inhaftiert wurden.
Die Proteste der vergangenen Tage waren, mit Ausnahme der ersten Proteste außerhalb des Gerichtsgebäudes, spontane Reaktionen auf unvorhersehbare Ereignisse. Die Demonstranten hätten keine Möglichkeit gehabt, entsprechend der gesetzlichen Vorgaben die beabsichtigten Proteste im Vorfeld bei den russischen Behörden anzumelden, ohne zugleich den Sinn der Prostete leer laufen zu lassen.
Appell von Amnesty International an Russland
Amnesty International fordert von den russischen Behörden, das Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit zu respektieren, keine Beweise gegen Demonstranten zu manipulieren, den Einsatz exzessiver und unnötiger Gewalt zu unterlassen, und alle diesbezüglichen Anschuldigungen effektiv zu untersuchen.
Weitere Informationen enthält der Amnesty-Bericht Freedom under threat: "The clampdown on freedom of expression, assembly and association in Russia"