Aktuell Deutschland 26. August 2013

Bundestagswahl 2013: Forderungen von Amnesty International

28. August 2013 - Die weltweite Durchsetzung der Menschenrechte und deren umfassende Gewährleistung in Deutschland müssen eine zentrale Aufgabe des politischen Handelns sein. Für eine glaubwürdige, kohärente und konsequente Menschenrechtspolitik ist die gesamte Bundesregierung verantwortlich. Die Mitglieder des Deutschen Bundestages müssen diese kritisch begleiten und konstruktiv unterstützen. Es bedarf eines regelmäßigen Konsultationsprozesses mit der Zivilgesellschaft über die bestmögliche Verwirklichung der Menschenrechte und einer transparenten Rechenschaftslegung. Für Amnesty International ist die Umsetzung der nachfolgenden Forderungen in der kommenden Legislaturperiode von besonderer Bedeutung.

Hier finden Sie den Forderungskatalog auch als PDF-Datei zum Herunterladen.

Keine Rüstungsexporte für Menschenrechtsverletzungen

• Die Bundesregierung muss den am 2. April von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommenen internationalen Waffenhandelsvertrag ("Arms Trade Treaty") umgehend zeichnen und ratifizieren sowie den Vertrag zügig und wirksam umsetzen.

• Die Bundesregierung muss darauf hinwirken, dass eine Menschenrechtsklausel für alle Rüstungstransfers gesetzlich ausdrücklich verankert wird, damit Rüstungstransfers untersagt werden, die in den Empfängerländern zu schweren Menschenrechtsverletzungen oder zum Bruch humanitären Völkerrechts beitragen können. Dem Parlament muss bei Rüstungsexportentscheidungen eine zeitnahe Kontrollmöglichkeit eingeräumt werden. Die Berichterstattung zu Rüstungstransfers muss umgehend nach Ablauf des Berichtsjahrs erfolgen und statt pauschaler Verweise auf Positionen der Ausfuhrliste für jede Genehmigung detaillierte Informationen enthalten. Zudem müssen alle tatsächlichen Exporte dargestellt werden, nicht nur die von Kriegswaffen. Bei allen Genehmigungen muss dargestellt werden, wie die Menschenrechte bei der Entscheidung berücksichtigt wurden.

Flüchtlinge schützen

• Deutschland muss sich für den Zugang zu fairen Asylverfahren in allen EU-Mitgliedstaaten einsetzen. Rücküberstellungen von Asylsuchenden dürfen solange nicht durchgeführt werden, wie kein Zugang zu einem fairen Asylverfahren – wie derzeit in Griechenland - besteht.

• Die Aufnahme von Flüchtlingen darf nicht auf Staaten außerhalb der EU verlagert werden, insbesondere nicht auf Länder, deren Flüchtlingsschutz völlig ungenügend ist.

• Die Bundesregierung wird aufgefordert, das Ende 2011 eingerichtete Resettlement-Programm für Flüchtlinge in Deutschland zu verlängern und zugleich das Kontingent zu erhöhen. Dringend bedarf es einer Gesetzesänderung, damit neuangesiedelte Flüchtlinge rechtlich mit den hier anerkannten Flüchtlingen gleichgestellt sind. Nur so können Schwierigkeiten insbesondere bei der Familienzu-sammenführung vermieden werden.

• Für den umfassenden Schutz von Flüchtlingen muss die neue Bundesregierung wirksamen Eilrechtsschutz gegen Abschiebungen in andere EU-Mitgliedsstaaten gewähren. Das sogenannte "Flughafenverfahren" ist abzuschaffen, da die Betroffenen (auch Minderjährige) faktisch inhaftiert und Rechtsmittelfristen unangemessen verkürzt werden. Abschiebungshaft darf immer nur als letztes Mittel angeordnet werden.

Rechtsstaatlichkeit und Verbot von Folter - ohne Ausnahme

• Die deutschen Behörden müssen ihren Verpflichtungen aus den international kodifizierten Menschenrechten nachkommen und in Fällen vermuteter unverhältnismäßiger Polizeigewalt umgehende, umfassende, unabhängige und unparteiische Ermittlungen gewährleisten. Hier muss das bestehende System verbessert werden, etwa durch die Einrichtung unabhängiger Polizeibeschwerdemechanismen. Alle Beamten der Bundespolizei müssen durch eine sichtbare Kennzeichnung auf ihrer Uniform identifiziert werden können. Bei Aus- und Fortbildung von Polizeibeamten muss be-sonderer Wert auf Menschenrechtsbildung gelegt werden.

• Die Bundesregierung ist aufgefordert, keine Sicherheitsabkommen oder Geheimdienstkooperationen mit Staaten zu vereinbaren, deren Sicherheitsbehörden regelmäßig gegen Menschenrechte verstoßen. Unter keinen Umständen dürfen deutsche Behörden im Rahmen derartiger Abkommen Informationen über bestimmte Personen an andere Staaten weitergeben, wenn den Betroffenen dort Folter oder grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung droht.

• Die Bundesregierung muss dafür Sorge tragen, dass im Kontext von Bundeswehreinsätzen im Ausland das humanitäre Völkerrecht eingehalten wird und die Menschenrechte aller Beteiligten gewahrt werden. Die Bundesregierung muss die Anwendbarkeit des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte und der Europäischen Menschenrechtskonvention auch bei Einsätzen der Bundeswehr im Ausland förmlich anerkennen. Die Bundesregierung muss für eine angemessene menschenrechtliche Schulung der im Ausland eingesetzten deutschen Sicherheitskräfte sorgen. Wirkt die Bundeswehr an Gefangennahmen mit, so muss sie sicherstellen, dass die Gefangenen nicht an Personen oder Behörden übergeben werden, die im Verdacht stehen zu foltern.

Frauen, Frieden, Sicherheit

• Im Dezember 2012 wurde der Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 ("Frauen, Frieden, Sicherheit") verabschiedet. Dieser muss nunmehr von der Bundesregierung in Konsultation mit der Zivilgesellschaft in einem transparenten Prozess implementiert werden. Dafür bedarf es strenger Umsetzungsrichtlinien mit klaren ressortübergreifenden Verantwortungsstrukturen und einem angemessenen Budget. Die erfolgten Maßnahmen sind regelmäßig auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen.

• Deutschland gehört zu den Erstunterzeichnern der im Mai 2011 in Istanbul verabschiedeten Europaratskonvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt an Frauen und Mädchen und häuslicher Gewalt (CAHVIO - auch Istanbul Konvention genannt), hat aber einen Vorbehalt zum Aufenthaltsrecht für Opfer von Gewalt eingereicht. Die Bundesregierung ist aufgefordert CAHVIO umgehend zu ratifizieren, in nationales Recht umzusetzen und den Vorbehalt zurückzunehmen.

Diskriminierung beenden

• Roma werden in zahlreichen europäischen Ländern in vielen Lebensbereichen diskriminiert. Die Bundesregierung hielt sich in der Vergangenheit jedoch mit Kritik an diesen Menschenrechtsverlet-zungen zurück, insbesondere wenn es um Diskriminierung in EU-Staaten ging. Wir fordern die Bundesregierung daher auf, endlich ihren Einfluss zu nutzen und sowohl bilateral als auch im Rahmen der EU für das Ende der Diskriminierung von Roma in allen europäischen Ländern einzutreten.

• Das Bundesverfassungsgericht hat in den letzten Jahren in mehreren Entscheidungen Verletzungen der Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intersexuellen wegen ihrer sexuellen Orientierung und/oder ihrer sexuellen Identität festgestellt. Die Bundesregierung und der Bundestag werden aufgefordert, das Transsexuellengesetz unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu reformieren, so dass das sexuelle Selbstbestimmungsrecht, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Diskriminierungsverbot gewährleistet werden. Ferner muss ein schnelles transparentes Verfahren für trans- und intersexuelle Menschen, die ihr Geschlecht rechtlich anerkannt ändern lassen möchten, ohne medizinische Anforderungen ermöglicht werden.

• Im Oktober 2012 hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz die polizeiliche Praxis des "racial profiling" für rechtswidrig erklärt. Das gerichtlich bestätigte Verbot muss von der Bundespolizei umgesetzt werden. Rassistische Straftaten müssen lückenlos erfasst werden. Das stellt die Erfas-sung der Lagedarstellung PMK-R (Politisch Motivierte Kriminalität-Rechts) augenblicklich nicht sicher.

Keine Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen

• Die Bundesregierung muss sich weiterhin uneingeschränkt für den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) einsetzen. Bei der Überprüfungskonferenz muss sie für ein Budget eintreten, dass die Funktionsfähigkeit des Gerichtshofs garantiert. Sie muss den Opferschutzfond weiterhin finanziell unterstützen. Die Bundesregierung muss aktiv für den Beitritt weiterer Staaten zum Rom-Statut werben und von den Vertragsstaaten die uneingeschränkte Kooperation mit dem Internationalen Strafgerichtshof fordern. Sie muss bei jeder Gelegenheit dafür eintreten, dass Haftbefehle des Ge-richtshofs umgesetzt und Angeklagte an den IStGH ausgeliefert werden.

• Die Bundesregierung muss die Unterstützung von Reformen im nationalen Justiz- und Sicher-heitssektor der Partnerländer finanziell und technisch unterstützen. Da der IStGH erst dann für die Verfolgung von schweren Menschenrechtsverbrechen zuständig ist, wenn diese nicht auf nationaler Ebene verfolgt werden, muss in jedem Land gewährleistet werden, dass Menschenrechtsverletzungen nicht straflos bleiben, sondern in einem rechtsstaatlichen Verfahren geahndet werden.

• Die Bundesregierung muss Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft aufgrund des Weltrechtsprinzips unterstützen. Nach den ersten Erfahrungen mit der Anwendung des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) vor dem OLG Stuttgart sollte die Bundesregierung überprüfen, ob die deutsche Straf-prozessordnung den Anforderungen eines Prozesses nach dem VStGB genügt.

Menschenrechte sind unteilbar

• Die Bundesregierung muss sich weltweit dafür einsetzen, dass wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte rechtlich durchsetzbar sind. Die Bundesregierung muss das Zusatzprotokoll zum UN-Sozialpakt umgehend ratifizieren. Die Bundesregierung muss die revidierte Europäische Sozialcharta ratifizieren.

• Die Bundesregierung muss das menschenwürdige Existenzminimum von Leistungsberechtigten gemäß § 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) sichern. Weiterhin muss die Bundesregierung gewährleisten, dass diese Personengruppen gegenüber anderen Leistungsberechtigten nicht diskriminiert werden. Zur Umsetzung dieser Verpflichtung sollte die Bundesregierung darauf hinwirken, das AsylbLG abzuschaffen und die Leistungsberechtigten in das Sozialgesetzbuch einzugliedern.

• Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat 2011 ein Menschenrechtskonzept eingeführt, das die Menschenrechte zum verbindlichen Leitprinzip deutscher Entwicklungspolitik erhebt. Dieses Konzept muss konsequent in der Entwicklungszusammenarbeit implementiert werden. Insbesondere bedarf es einer wirksamen menschenrechtlichen Folgenabschätzung für jedes einzelne Projekt. Der im Menschenrechtskonzept vorgesehene Beschwerdeme-chanismus für Betroffene deutscher Entwicklungsprojekte muss zügig eingerichtet werden.

• Die Bundesregierung muss gewährleisten, dass Projekte mit deutscher Beteiligung (z.B. Entwick-lungsprojekte, Rohstoffprojekte, Infrastrukturprojekte) nicht zu rechtswidrigen Zwangsräumungen führen. Das heißt sie muss die Beteiligung betroffener Bevölkerungsgruppen am Planungsprozess, transparente Information der Betroffenen und das Angebot von Entschädigungen und/oder Alternativunterkünften sicherstellen, wenn eine Zwangsräumung unvermeidbar ist.

Menschenrechtliche Verantwortung der Unternehmen einfordern

• Die Bundesregierung muss auf Basis der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und anderer relevanter Menschenrechtsdokumente sowie unter aktiver Beteiligung der Zivilgesellschaft einen deutschen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte entwickeln und umsetzen. Ziel des Aktionsplans muss die Schließung nationaler und internationaler Regulierungslücken sein, die bisher verhindern, dass Unternehmen für ihre Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen effektiv zur Verantwortung gezogen werden können und Opfer zu ihrem Recht kommen.

• Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass die Menschenrechte bei der Vergabe von Instrumenten der Außenwirtschaftsförderung geachtet werden. Dazu gehört insbesondere, dass durch geförderte Projekte keine Menschenrechte verletzt werden. Die menschenrechtliche Risikoanalyse muss verbindlicher Bestandteil der Entscheidung über staatliche Außenwirtschaftsförderung sein. Personen, die durch geförderte Projekte in ihren Menschenrechten beeinträchtigt werden, müssen eine Beschwerdemöglichkeit erhalten.

Menschenrechtsverteidiger vorbehaltslos unterstützen

• Der Arbeit von Menschenrechtsverteidigerinnen und –verteidigern sowie Menschenrechtsorganisati-onen durch politische und praktische Anerkennung Legitimität zu geben, ist eine der wichtigsten Möglichkeiten, zum Menschenrechtsschutz für alle beizutragen. Das Auswärtige Amt und seine Vertretungen vor Ort müssen deshalb die Leitlinien der EU zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern systematisch umsetzen. Die deutschen Botschaften vor Ort brauchen dafür die notwendigen Kenntnisse und Kapazitäten. Die lokalen Umsetzungsstrategien für die Leitlinien müssen transparent und unter Einbeziehung der Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger vor Ort (weiter)entwickelt werden. Konkreter Schutz ist nötig, wenn Menschenrechtsaktivistinnen und
-aktivisten schikaniert, angeklagt, bedroht, inhaftiert, misshandelt oder gefoltert werden. Zunehmenden Einschränkungen von Handlungsspielräumen durch Gesetze muss mit allem Nachdruck widersprochen und entgegengewirkt werden. In Fällen akuter Bedrohung muss die Bundesregierung die vorübergehende Aufnahme von Menschenrechtsaktivistinnen und –aktivisten in Deutschland ermöglichen.

Menschenrechte weltweit vertreten

• Die Bundesregierung muss im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen noch engagierter für die Menschenrechte streiten und sich dafür einsetzen, dass gravierende Menschenrechtsverletzungen in einzelnen Ländern verurteilt werden. Sie muss sich weiterhin für die Unabhängigkeit der Vertragsausschüsse und deren Mitglieder einsetzen. Beides kann sie nur dann glaubwürdig tun, wenn Deutschland seine eigenen internationalen Verpflichtungen erfüllt und Menschenrechtskonventionen konsequent umsetzt.

• Die Bundesregierung muss innerhalb der EU dafür eintreten, dass die Verhandlungen mit EU-Beitrittskandidaten mit klaren menschenrechtlichen Forderungen verknüpft werden und deren Umsetzung genau überprüft wird. Deutschland muss sich weiterhin für eine konsequente Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention und Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte einsetzen. Die weitere Reform des Gerichtshofes darf seine Autorität und Integrität nicht beschädigen und das Individualbeschwerderecht nicht einschränken.

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