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Europa und Zentralasien
"Manchmal träume ich davon, zusammen mit meiner Tochter irgendwo in Frieden zu leben, Enkel zu bekommen und ihnen eine gute Großmutter zu sein, doch ich habe hier noch eine Aufgabe zu erfüllen ... Das ist eine Kriegserklärung, wir müssen weiter um Gerechtigkeit kämpfen, dürfen nicht aufgeben."
Natalia Estemirowa im Jahr 2009 nach der Ermordung ihres Freundes und Mitstreiters für die Menschenrechte Stanislaw Markelow gegenüber Amnesty International.
An einem Julimorgen um 8:30 Uhr wurde die bekannte Menschenrechtsverteidigerin Natalia Estemirowa in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny von der Straße weg in ein wartendes Auto gezerrt; einigen Augenzeugen rief sie zu, sie werde entführt. Noch am selben Tag wurde ihre mit Schusswunden übersäte Leiche in der benachbarten Republik Inguschetien aufgefunden.
Der Tod von Natalia Estemirowa ist eine schreckliche Tragödie: für ihre 15-jährige Tochter, die allein mit der Mutter groß geworden ist; für die Menschen in Tschetschenien, die eine unermüdliche, mutige Dokumentarin der Menschenrechtsverstöße in diesem Land verloren haben, und für die Zivilgesellschaft in Russland wie im Ausland, der sie stets eine wertvolle Partnerin im Kampf für die Wahrung der Menschenrechte gewesen ist. Und es wird sicher nicht die letzte Tragödie dieser Art bleiben, sollte sich die russische Justiz erneut als unfähig erweisen, die Verantwortlichen für den Tod einer Menschenrechtsaktivistin zu ermitteln, die sich nicht von Morddrohungen und anderen Einschüchterungsmaßnahmen beeindrucken ließ, sondern Gerechtigkeit für ihre Mitmenschen einforderte.
Leider war der Tod von Natalia Estemirowa kein Einzelfall. Auch im Jahr 2009 wurden in Europa und Zentralasien zahlreiche Regierungen ihrer Verantwortung für den Schutz von Menschenrechtsverteidigern nicht gerecht, sondern bemühten sich weiter darum, jene Menschen zum Schweigen zu bringen, die Menschenrechtsverstöße publik machen wollten oder abweichende Meinungen öffentlich vertraten. Viele Regierungen wandten repressive Maßnahmen an oder nutzten das scheinbare Desinteresse der internationalen Gemeinschaft, um die Verantwortlichen in den eigenen Reihen vor Bestrafung zu schützen. Sie entzogen sich ihren Verpflichtungen und brachten nicht den erforderlichen politischen Willen auf, um auch nur die schlimmsten Verstöße zu unterbinden. So trugen sie zur weiteren Erosion der Menschenrechte bei.
Antiterrormaßnahmen und Sicherheit
Zu den eklatanten Problemfeldern zählten die "außerordentlichen Überstellungen" von Gefangenen an geheime Haftorte in anderen Ländern. Die Beteiligung europäischer Staaten an diesen vom US-amerikanischen Geheimdienst CIA seit September 2001 weltweit betriebenen Maßnahmen ist seit langem bekannt. Aber jetzt liegen eindeutige Beweise für das vor, was einzelne Regierungen immer wieder abgestritten und verschleiert haben.
Nach wie vor bemühte sich kaum eine der betroffenen Regierungen, auf nationaler oder europäischer Ebene wirklich zu klären, wo die Verantwortung für diese Menschenrechtsverletzungen liegt. Die wenigen Maßnahmen, die ergriffen wurden, blieben unbefriedigend. In Deutschland legte ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zur deutschen Beteiligung an den außerordentlichen Überstellungen im Juli 2009 das Ergebnis seiner Tätigkeit vor. Im Abschlussbericht wurden trotz erdrückender Gegenbeweise alle Vertreter staatlicher Organe entlastet.
Zuvor hatte ein deutsches Gericht Haftbefehle gegen 13 der Beteiligung an der Überstellung von Khalid el-Masri verdächtige CIA-Agenten ausgestellt, doch die Regierung weigerte sich, ihre Auslieferung zu beantragen. Die Methoden, Beweise und Ergebnisse der Ermittlungen über ein mutmaßliches geheimes Gefängnis in Polen, die 2008 eingeleitet worden waren, blieben unter Verschluss. Andere europäische Staaten wie Rumänien, die Berichten zufolge ebenfalls an solchen Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren, taten noch weniger, um die Verantwortlichen zu ermitteln.
Mehrere europäische Staaten ignorierten die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gegen die Rückführung von terroristischer Straftaten verdächtigten Personen in Länder, in denen sie von Folter bedroht waren. Im Februar befand der Gerichtshof, dass die Abschiebung von Sami Ben Khemais Essid aus Italien nach Tunesien gegen den Grundsatz des non-refoulement (Abschiebungsverbot) verstieß. Im August schoben die italienischen Behörden auch Ali ben Sassi Toumi nach Tunesien ab, wo er acht Tage lang ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten wurde.
Es gab aber auch Anzeichen für Fortschritte bei den Bemühungen, die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen. So verhängte im November ein italienisches Gericht Schuldsprüche gegen 22 CIA-Agenten, einen Offizier der US-Streitkräfte und zwei italienische Geheimdienstagenten wegen ihrer Beteiligung an der Entführung und rechtswidrigen Überstellung von Abu Omar. Der Mann war im Februar 2003 am helllichten Tag mitten in Mailand verschleppt, auf dem Luftweg über Deutschland rechtswidrig nach Ägypten gebracht und dort nach eigenen Angaben gefoltert worden. Bei der Strafverfolgung waren gravierende Hindernisse aufgetreten, weil den Staatsanwälten aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht Zugang zu allen Beweismitteln gewährt wurde. Im Dezember gelangte ein Untersuchungsausschuss des litauischen Parlaments in seinem Abschlussbericht zu der Erkenntnis, dass die CIA in Litauen ein geheimes Gefangenenlager eingerichtet hatte. Damit räumte erstmals eine europäische Regierung die Existenz eines solchen Geheimgefängnisses auf seinem Staatsgebiet ein. Der Ausschuss stellte fest, dass Vertreter des litauischen Staatssicherheitsdienstes am Bau des Gefängnisses beteiligt gewesen waren und von CIA-Flügen ohne Grenzkontrollen bei der Landung gewusst, aber weder den Präsidenten noch den Ministerpräsidenten informiert hatten. Die Feststellung des Ausschusses war eine Reaktion auf die von anderer Seite geäußerte Kritik an der fehlenden Kontrolle der Geheimdienste.
Auch anderswo nahm die nationale Sicherheit auf der politischen Tagesordnung einen höheren Rang ein als die Menschenrechte – zum Schaden beider. In Usbekistan setzten die Sicherheitskräfte in regelrechten Festnahmewellen willkürlich zahlreiche Personen samt ihren Angehörigen fest, die verdächtigt wurden, in verbotenen islamistischen Parteien und in bewaffneten Gruppen mitzuwirken, denen Anschläge im ganzen Land zur Last gelegt wurden. Unter den Festgenommenen waren Menschen, die in nicht vom Staat kontrollierten Moscheen beteten oder von unabhängigen Imamen unterrichtet wurden, die Auslandsreisen unternommen oder im Ausland studiert hatten, deren Verwandte im Ausland lebten oder der Mitgliedschaft in einer verbotenen islamistischen Gruppe verdächtigt wurden. Viele von ihnen saßen offenbar ohne Anklage oder Gerichtsverfahren lange Zeit in Haft, manche wurden Berichten zufolge gefoltert. In Kasachstan gingen die Sicherheitskräfte bei ihren Maßnahmen der Terrorbekämpfung nach wie vor insbesondere gegen Minderheiten vor, die als Bedrohung für die nationale Sicherheit und die Sicherheit der gesamten Region angesehen wurden. Dazu gehörten vor allem Asylsuchende und Flüchtlinge aus Usbekistan sowie vermeintliche Mitglieder islamischer Gruppen oder islamistischer Parteien, die in Kasachstan nicht registriert oder verboten waren. Fehlender politischer Wille zur Wahrung der Rechtstaatlichkeit und zur Bekämpfung der Straflosigkeit in Tschetschenien hatte die weitere Destabilisierung des gesamten russischen Nordkaukasus zur Folge.
In Teilen Europas und Zentralasiens wie dem Nordkaukasus, Spanien, Griechenland und der Türkei sorgten bewaffnete Oppositionsgruppen auch 2009 für Tod und Zerstörung.
Flüchtlinge und Migranten
In anderen Teilen der Region heizten 2009 befürchtete oder reale Sicherheitsrisiken die öffentliche Debatte an. Vor allem im Themenfeld Migration und Ausgrenzung "der anderen" entstand so ein fruchtbarer Boden für populistische Rhetorik.
Die reflexartige Reaktion europäischer Staaten auf die Ankunft einer großen Zahl von Migranten aus verschiedenen Herkunftsländern bestand in der Unterbindung der Zuwanderung. So entstand im Zuge behördlicher Abwehrmaßnahmen wie Abfangen an der Grenze, Gewahrsamnahme und Abschiebung (auch von Personen, die um internationalen Schutz nachsuchten) ein durchgängiges Muster von Menschenrechtsverletzungen. Im Mai gerieten auf drei Booten im Mittelmeer Hunderte von Migranten und Asylsuchenden in Lebensgefahr, weil sich erst die italienischen und maltesischen Behörden nicht über ihre Verpflichtungen bei Notrufen auf See einigen konnten und dann die italienische Regierung die beispiellose Entscheidung traf, die Menschen in den Booten ohne Prüfung ihrer Fluchtgründe und eines eventuellen Anspruchs auf internationalen Schutz nach Libyen abzuschieben – ein Land ohne funktionierendes Asylverfahren.
Auch andere Staaten wie die Türkei und die Ukraine schoben Flüchtlinge und Asylsuchende in Länder ab, in denen sie von schweren Menschenrechtsverletzungen bedroht waren.
Wenig Unterstützung erhielten Asylsuchende in Ländern wie Griechenland und der Türkei, wo sie mangels eines fairen Asylverfahrens rechtswidrig in Haft genommen und abgeschoben werden konnten bzw. nicht die notwendige rechtliche Beratung und Unterstützung erhielten, um ihren Asylanspruch vor Gericht geltend zu machen. Darüber hinaus nahmen viele Länder wie Griechenland und Malta alle Migranten und Asylsuchenden grundsätzlich erst einmal in Gewahrsam, meist unter unzureichenden Bedingungen.
In der gesamten Region lebten infolge der Konflikte, die auf den Zusammenbruch des ehemaligen Jugoslawien und der Sowjetunion gefolgt waren, nach wie vor Hunderttausende von Menschen als Vertriebene fern ihrer Heimat. Die Rückkehr an den alten Wohnort war vielen von ihnen wegen ihrer Rechtsstellung oder wegen fehlender Rechtsstellung unmöglich. Wer seine Rechte, zum Beispiel das auf Grundeigentum, in Anspruch nehmen wollte, musste mit Diskriminierung rechnen. Zu dieser Gruppe kamen noch etwa 26000 Menschen hinzu, die nach dem Krieg zwischen Russland und Georgien im Jahr 2008 noch immer nicht an ihren Wohnort zurückkehren konnten.
Diskriminierung
In vielen Ländern trug ein Klima des Rassismus und der Intoleranz dazu bei, dass Migranten menschenunwürdig behandelt wurden, dass sie und Angehörige anderer Randgruppen aus der Gesellschaft ausgegrenzt blieben, ohne Zugang zu staatlichen Leistungen, ohne rechtlichen Schutz und ohne die Möglichkeit zur politischen Mitwirkung. Diese Marginalisierung wurde 2009 durch die Ängste vor einem wirtschaftlichen Abschwung noch verstärkt; in vielen Ländern war eine deutliche Verstärkung rassistischer Tendenzen und eine Verschärfung des öffentlichen Diskurses zu verzeichnen. Die Entscheidung der Schweizer Bevölkerung für ein Verbot des Baus von Minaretten war ein Beispiel dafür, wie mit Hilfe von Volksinitiativen Rechte in Privilegien umgewandelt werden können.
Viele Migranten und Asylsuchende litten unter Diskriminierung, hatten weder Zugang zum Arbeitsmarkt noch zu staatlichen Leistungen und verbrachten ihr Leben in extremer Armut. In Italien wurde im Rahmen eines so genannten Sicherheitspakets der Straftatbestand der "illegalen Einwanderung" eingeführt. Von der neuen Bestimmung wurde befürchtet, dass illegal im Land lebende Migranten nun davor zurückschrecken würden, Leistungen des Bildungssystems und des Gesundheitswesens in Anspruch zu nehmen oder die Ordnungskräfte um Schutz zu bitten, weil die existierenden Bestimmungen des Strafgesetzes alle staatlichen Angestellten (wie Lehrer oder Mitarbeiter lokaler Behörden, auch der Passbehörden) dazu verpflichten, jede Straftat bei der Polizei oder den Justizbehörden zu melden. In Großbritannien fristeten Hunderttausende von abgelehnten Asylsuchenden, die aber das Land nicht verlassen konnten, ihr Leben in großer Armut mit stark eingeschränktem Zugang zu den Leistungen des staatlichen Gesundheitswesens.
Die meisten von ihnen waren von der Unterstützung wohltätiger Organisationen abhängig. In Deutschland hatten Migranten ohne gültigen Aufenthaltstitel und ihre Kinder nur begrenzten Zugang zu den Einrichtungen des Gesundheitswesens und des Bildungssystems. Bei einer Verletzung ihrer Rechte als Arbeitnehmer bestand für sie kaum eine Möglichkeit, sich zu wehren.
Das eindrücklichste Beispiel für gesellschaftliche Diskriminierung waren die nach wie vor weitgehend aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzten Roma. Sie hatten kaum Zugang zum Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie zu den Einrichtungen des Bildungssystems und des Gesundheitswesens. Im Kosovo lag dies beispielsweise auch daran, dass sie keine amtlichen Dokumente vorlegen konnten, um ihren Wohnsitz und ihren Status behördlich eintragen zu lassen. Der wichtigste Ausweg aus dem Teufelskreis von Armut und Marginalisierung, nämlich Bildung, wurde vielen Roma-Kindern vorenthalten. In der Slowakei und der Tschechischen Republik wurden sie zum Beispiel nach wie vor in Sonderschulen geschickt oder mussten eigene, von den anderen Kindern getrennte Klassen bzw. Schulen besuchen. Ihre Zukunftsaussichten wurden durch rassistische Vorurteile und durch ihre örtliche und kulturelle Isolation geschmälert. In Ländern wie Italien, Serbien und Mazedonien wurden viele Roma durch die Zwangsräumung ihrer Unterkünfte in noch tiefere Armut getrieben. Vielerorts war die Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber den Roma offen feindselig. In Ungarn verstärkte die Polizei ihr Sonderermittlungsteam zur Untersuchung einer Reihe von Übergriffen gegen Roma-Gemeinschaften, die bis hin zu Morden reichten. Das Team wurde auf 120 Beamte aufgestockt, nachdem in der Öffentlichkeit Zweifel an der Effektivität der Ermittlungen aufgekommen waren.
In einigen Ländern beförderten die Behörden ein Klima der Intoleranz gegenüber sexuellen Minderheiten. Den Betroffenen wurde es so noch schwerer gemacht, die Stimme zu erheben und ihre Rechte einzufordern. Im August verabschiedete das litauische Parlament ein umstrittenes Gesetz, das es unter anderem verbietet, das Thema Homosexualität im Unterricht zu behandeln. Es könnte dazu benutzt werden, jede öffentliche Diskussion zu diesem Thema zu verhindern und Menschen, die sexuellen Minderheiten angehören, noch stärker zu stigmatisieren. In der Türkei wurden nach wie vor Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität diskriminiert, sowohl vom Gesetzgeber als auch im täglichen Leben. 2009 wurden fünf Transgender-Personen ermordet, nur in einem Fall erfolgte eine Verurteilung. Die belarussischen Behörden lehnten einen Antrag von 20 Personen auf Genehmigung einer kleinen öffentlichen Veranstaltung zum Thema sexuelle Minderheiten unter dem Vorwand ab, dem Antrag hätten Kopien der Vereinbarungen mit der örtlichen Polizei, dem Krankenhaus und der Müllabfuhr beiliegen müssen, dass die Kosten für die Wahrung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie für die anschließende Reinigung des Veranstaltungsortes übernommen würden.
Die EU-Mitgliedstaaten sperrten sich weiterhin gegen eine neue Anti-Diskriminierungs-Richtlinie, die einzig darauf abstellte, den Schutz vor Diskriminierung außerhalb des Arbeitslebens aus Gründen des Alters, einer Behinderung, der sexuellen Orientierung und der Religion oder Weltanschauung zu vervollständigen.
Unterdrückung abweichender Meinungen
In vielen Ländern Europas und Zentralasiens gab es auch 2009 heftige Angriffe auf das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf die Religions- und Vereinigungsfreiheit, wodurch sich auch der Freiraum für unabhängige Stimmen und zivilgesellschaftliche Organisationen verengte.
Nach wie vor war es gefährlich, öffentlich eine abweichende Meinung zu äußern. In Russland bezahlten einige Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und Oppositionelle dafür mit ihrem Leben. Andere wurden verprügelt oder erhielten Morddrohungen. In Serbien und Kroatien konnten die Behörden nicht für den Schutz der Menschen garantieren, die Themen wie Kriegsverbrechen, Übergangsjustiz, Korruption und organisiertes Verbrechen öffentlich diskutieren wollten – in Serbien waren Menschenrechtsverteidigerinnen von Einschüchterungsmaßnahmen und physischen Übergriffen bedroht, in Kroatien waren es Journalisten. In der Türkei wurden Menschenrechtsverteidiger wegen ihrer legitimen Aktivitäten, der Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen, mit Strafprozessen überzogen. Wer dort öffentlich abweichende Meinungen vertrat, musste Einschüchterungs- und Strafverfolgungsmaßnahmen gewärtigen.
In Aserbaidschan wurden unabhängige Journalisten schikaniert und ins Gefängnis geworfen, in anderen Ländern wie Armenien und Kirgisistan wurden sie von unbekannten Tätern angegriffen, manchmal mit tödlichen Folgen. In Tadschikistan mussten unabhängige Zeitungen und Journalisten, die Kritik an der Regierung übten, auch weiterhin mit Klagen rechnen, was die Medien zur Selbstzensur veranlasste. In Turkmenistan blieben alle gedruckten und elektronischen Medien unter staatlicher Kontrolle, und die Behörden sperrten alle Websites von Dissidenten und im Exil lebenden Oppositionellen. In Kasachstan und Usbekistan kam es verstärkt zu Schikanen gegen Journalisten und Menschenrechtsverteidiger.
In Belarus wurden öffentliche Veranstaltungen verboten und friedliche Demonstrierende in Haft genommen. Organisationen der Zivilgesellschaft, die ihrer Pflicht zur amtlichen Registrierung nachkommen wollten, trafen nach wie vor auf viele Hindernisse, zugleich galt jede Tätigkeit für eine nicht registrierte Organisation unverändert als Straftat. In der Republik Moldau schränkten Polizei und Kommunalverwaltungen ungeachtet eines im Vorjahr verabschiedeten neuen fortschrittlichen Versammlungsgesetzes das Recht auf friedliche Versammlung erheblich ein. So wurden Demonstrationen verboten oder durch Auflagen eingeschränkt, und friedlicher Protest wurde mit Festnahme der Teilnehmer beantwortet.
In vielen Ländern wurden der Religions- und Glaubensfreiheit noch engere Grenzen gesetzt. In Usbekistan unterlagen alle religiösen Gemeinschaften staatlicher Kontrolle und mussten Einschränkungen des Rechts auf freie Religionsausübung hinnehmen. Dies betraf vor allem Mitglieder nicht registrierter Gruppen wie evangelikaler Christengemeinden, aber auch Muslime, die ihre Religion in nicht vom Staat kontrollierten Moscheen ausübten. Die tadschikischen Behörden schlossen, beschlagnahmten und zerstörten ohne jede Begründung Gebetsstätten von Muslimen und Christen. In Armenien saßen etwa 70 Zeugen Jehovas im Gefängnis, weil sie den Militärdienst aus Gewissensgründen verweigerten.
Straflosigkeit im Anschluss an bewaffnete Konflikte
Zwar wurden bei der Bekämpfung der Straflosigkeit im Zusammenhang mit Verbrechen, die während der Kriege auf dem Gebiet des früheren Jugoslawien in den 1990er Jahren begangen worden sind, gewisse Fortschritte erzielt, doch führte das mangelnde Engagement zahlreicher Gerichte in den betroffenen Staaten dazu, dass sich noch immer viele der für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit Verantwortlichen der Strafverfolgung entziehen konnten. In Bosnien und Herzegowina waren in allen Gerichten die Hilfs- und Schutzmaßnahmen für Zeugen unzureichend. Deshalb konnten einige Opfer, darunter Überlebende von Kriegsverbrechen, die mit sexueller Gewalt verknüpft gewesen waren, nicht vor Gericht ihr Recht einfordern.
Im Abschlussbericht der im Auftrag der Europäischen Union durchgeführten unabhängigen internationalen Mission zur Untersuchung des Konflikts in Georgien wurde bestätigt, dass während des Krieges im Jahr 2008 sowohl die georgischen als auch die russischen und südossetischen Truppen Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht begangen hatten. Alle Konfliktparteien wurden aufgefordert, die Folgen des Krieges aufzuarbeiten. Dennoch führte keine der Parteien umfassende Ermittlungen zu den begangenen Menschenrechtsverletzungen durch.
Für allzu viele Opfer und ihre Angehörigen lag die Bestrafung der Täter nach wie vor in weiter Ferne. Das galt auch für Menschen, die sich von der internationalen Gemeinschaft Gerechtigkeit erhofften, darunter die Familien zweier Männer, die im Februar 2007 im Kosovo von rumänischen UN-Polizisten erschossen worden waren. Zwar hatten die Vereinten Nationen in einer internen Untersuchung festgestellt, dass ihre Truppen wegen des unangemessenen Einsatzes von Gummigeschossen den Tod der beiden Männer zu verantworten hatten, doch die rumänischen Behörden reagierten nicht auf die Ermittlungsergebnisse. Im März lehnte es der Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs unter Verweis auf Sicherheitsbelange ab, in einer öffentlichen Anhörung zu klären, warum die Angehörigen der von Rumänien gestellten Polizeieinheit nicht vor Gericht gestellt wurden.
Folter und andere Misshandlungen
Auch die Opfer von Folter oder anderen Misshandlungen, die zum einen häufig durch Diskriminierung und rassistische Einstellungen mitverursacht wurden und zum anderen auch auf die Erzwingung von Geständnissen abzielten, sahen sich oft von den Gerichten enttäuscht, weil die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Dies lag auch daran, dass die Opfer nicht umgehend Zugang zu einem Anwalt erhielten, dass sie Angst vor Vergeltung hatten, dass die Staatsanwälte ihre Ermittlungen nicht immer mit großem Engagement durchführten und dass schuldig gesprochene Polizisten lediglich zu niedrigen Strafen verurteilt wurden. Zudem gab es keine keine ausreichend finanzierten, unabhängigen Kontrollstrukturen, die Beschwerden nachgehen und bei gravierendem Fehlverhalten von Polizeibeamten Ermittlungen durchführen konnten. Deshalb waren in zahlreichen Ländern wie Griechenland, Frankreich, der Republik Moldau, Russland, Spanien, der Türkei und Usbekistan auch im Jahr 2009 weiter solche Missstände zu beobachten.
Einigen Betroffenen wurde jedoch, wenn auch in begrenztem Umfang, Entschädigung zuteil. Der Weg dorthin war allerdings beschwerlich. Im Juni befand der EGMR einstimmig, dass Sergej Gurgurow im Jahr 2005 in der Republik Moldau Folterungen ausgesetzt gewesen war. Einen Monat später, also fast vier Jahre nachdem Sergej Gurgurow zum ersten Mal erklärt hatte, er sei von Polizeibeamten gefoltert worden, leitete der Generalstaatsanwalt der Republik Moldau ein Strafverfahren ein. Bis dahin hatte die Generalstaatsanwaltschaft bei allen Anträgen zur Eröffnung von Strafermittlungen stets erklärt, Gurgurow habe sich die Verletzungen, die er geltend machte, selbst zugefügt.
Gewalt gegen Frauen und Mädchen
In der gesamten Region war Gewalt gegen Frauen und Mädchen im häuslichen Umfeld ein alltägliches Phänomen, das Frauen unabhängig von Alter und gesellschaftlicher Schicht betraf. Doch nur ein kleiner Teil der Opfer brachte solche Vorfälle zur Anzeige. Die meisten hatten Angst vor Racheakten ihres Partners, fürchteten "Schande" über ihre Familie zu bringen, oder waren von finanzieller Unsicherheit geplagt. Die Täter konnten wegen der weit verbreiteten Straflosigkeit davon ausgehen, dass sie ungestraft davonkommen würden.
Tief verwurzelte gesellschaftliche Einstellungen und das Wiedererstarken traditioneller Verhaltensweisen trugen 2009 dazu bei, dass die Vorkehrungen zum Schutz der Frauen vor häuslicher Gewalt in vielen Ländern völlig unzureichend waren. In Tadschikistan gab es praktisch keine staatlichen Einrichtungen wie Frauenhäuser oder andere Wohnalternativen. Wegen der vielen Frühehen und der großen Zahl von Schulabbrecherinnen waren Frauen und Mädchen hier noch stärker von Gewalt im familiären Umfeld bedroht. In der Türkei blieb die Zahl der Frauenhäuser deutlich unter der gesetzlichen Vorgabe von mindestens einer solchen Einrichtung in allen Städten mit mehr als 50000 Einwohnern. In der Zehnmillionenstadt Moskau gab es nur ein einziges Frauenhaus, in dem gerade einmal zehn Frauen Zuflucht finden konnten.
Die wenigsten Frauen vertrauten darauf, dass die zuständigen Behörden die Übergriffe gegen sie als Straftat behandeln würden und nicht als Privatangelegenheit. Deshalb wurden nur sehr wenige derartige Vorfälle zur Anzeige gebracht. Das gestörte Vertrauensverhältnis behinderte nicht nur eine strafrechtliche Verfolgung im Einzelfall, sondern auch Bemühungen, solche Übergriffe gesamtgesellschaftlich anzugehen, weil der volle Umfang und die wahre Art des Problems verschleiert wurden.
Bestimmte Gruppen von Frauen waren besonders von Übergriffen bedroht. So war in Spanien für Migrantinnen der Zugang zu den Gerichten und zu sachdienlichen Einrichtungen besonders schwierig. In Bosnien und Herzegowina wurden den überlebenden Opfern sexueller Gewalt aus der Zeit des Krieges noch immer bestimmte wirtschaftliche und soziale Rechte sowie angemessene Entschädigung zum Wiederaufbau ihrer Existenzgrundlage verweigert. Viele von ihnen fanden auch keine Arbeitsstelle, weil sie noch immer unter den physischen und psychischen Folgen ihrer Kriegserfahrungen litten.
Todesstrafe
In Fortsetzung einer positiven Entwicklung beschloss das russische Verfassungsgericht im November, das auf zehn Jahre begrenzte Hinrichtungsmoratorium zu verlängern. Zugleich sprachen sich die Richter für eine vollständige Abschaffung der Todesstrafe aus mit der Begründung, es gebe auf dem Weg zu ihrer Abschaffung keine Möglichkeit zur Umkehr. In Belarus wurde eine parlamentarische Arbeitsgruppe damit beauftragt, die Einführung eines Hinrichtungsmoratoriums zu prüfen. Gleichwohl wurden dort weiterhin in Verfahren unter Geheimhaltung Todesurteile verhängt. Weder die Verurteilten noch ihre Angehörigen wurden vom Hinrichtungsdatum in Kenntnis gesetzt, die Leichen wurden den Familien nicht übergeben und diese auch nicht über den Ort der Bestattung informiert. Die Anwendung der Todesstrafe in Belarus erfolgte zudem im Rahmen eines äußerst unvollkommenen Justizsystems, in dem glaubwürdigen Hinweisen zufolge "Geständnisse" unter Folter oder Misshandlung erpresst wurden und die zum Tode Verurteilten keinen Zugang zu wirksamen Rechtsmitteln hatten.
Fazit
Europa verfügt über regionale Strukturen zum Schutz der Menschenrechte, wie sie nirgendwo sonst auf der Welt zu finden sind, und gilt als Vorreiter der Menschenrechte. Doch leider sind für viele Menschen auf diesem Kontinent Worte wie "Schutz vor Menschenrechtsverstößen" kaum mehr als Lippenbekenntnisse.
Eine eindeutige Gelegenheit zur Einlösung der Verpflichtungen Europas bot im Jahr 2009 das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon. Damit eröffneten sich neue Möglichkeiten zur Stärkung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten in der Europäischen Union: Die Charta der Grundrechte ist für alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme von drei Ländern verbindlich, und die EU kann als Ganzes der Europäischen Menschenrechtskonvention beitreten.
Damit wurde ein weiteres wichtiges Element des Menschenrechtsrahmens geschaffen, doch bei der Umsetzung auf nationaler Ebene klaffen noch Lücken. Jeder einzelne Staat dieser Region hat die vornehme Pflicht, allen in seinen Grenzen lebenden Menschen das gesamte Spektrum der Menschenrechte zu garantieren. Das ergibt sich aus den Übereinkommen der internationalen Gemeinschaft, der alle Staaten angehören. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt zwar, dass viele Staaten dieser Aufgabe nicht gerecht werden, macht aber auch deutlich, dass es nicht an mutigen Menschen mangelt, die ohne Rücksicht auf ihr persönliches Risiko die Stimme erheben und von den Verantwortlichen Rechenschaft fordern.