Wirtschaftswissenschaftler festgenommen

Karte Vereinigte Arabische Emirate

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Der Wirtschaftswissenschaftler und ehemalige Dozent Dr. Nasser bin Ghaith wurde am 18. August in der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, Abu Dhabi, von Angehörigen des Staatssicherheitsdienstes des Landes festgenommen. Sein Aufenthaltsort ist nicht bekannt. Dr. Nasser bin Ghaith drohen Folter und anderweitige Misshandlungen. Er ist ein ehemaliger gewaltloser politischer Gefangener.

Appell an

VIZEPRÄSIDENT UND PREMIERMINISTER
HH Sheikh Mohammed Bin
Rashid al-Maktoum
Prime Minister’s Office
PO Box: 212000, Dubai
VEREINIGTE ARABISCHE EMIRATE
(Anrede: Your Highness / Hoheit)
Fax: (00 971) 4 330 4044
E-Mail: info@primeminister.ae
Twitter: @HHShkMoh

INNENMINISTER
Sheikh Saif bin Zayed Al Nahyan
Minister of the Interior
Zayed Sport City, Arab Gulf Street
Near to Shaikh Zayed Mosque
POB: 398, Abu Dhabi
VEREINIGTE ARABISCHE EMIRATE
(Anrede: Your Highness / Hoheit)
Fax: (00 971) 2 402 2762 oder (00 971) 2 441 5780
E-Mail: moi@moi.gov.ae

Sende eine Kopie an

KRONPRINZ
Sheikh Mohamed bin Zayed Al Nahyan
Crown Prince Court
King Abdullah Bin Abdulaziz
Al Saud Street
P.O. Box: 124, Abu Dhabi
VEREINIGTE ARABISCHE EMIRATE
Fax: (00 971) 2 668 6622
Twitter: @MBZNews

BOTSCHAFT DER VEREINIGTEN ARABISCHEN EMIRATE
S. E. Herrn Jumaa Mubarak Jumaa Salem Aljunaibi
Hiroshimastraße 18-20
10785 Berlin
Fax: 030-5165 1900

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 30. September 2015 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

E-MAILS, FAXE, TWITTERNACHRICHTEN ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich fordere Sie auf, Dr. Nasser bin Ghaith unverzüglich freizulassen, sollte er nur wegen der friedlichen Wahrnehmung seiner Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit festgehalten werden.

  • Ich fordere Sie zudem auf, in der Zwischenzeit den Aufenthaltsort von Dr. Nasser bin Ghaith bekanntzugeben. Stellen Sie bitte sicher, dass er vor Folter und anderweitigen Misshandlungen geschützt ist und Zugang zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl, seiner Familie und jeglicher erforderlicher medizinischer Versorgung erhält.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Urging the UAE authorities to release Dr Nasser bin Ghaith immediately if he has been held solely for peacefully exercising his rights to freedom of expression, association, and assembly.

  • Urging them to, in the meantime, disclose his whereabouts, ensure that he is protected from torture and other ill-treatment, has access to a lawyer of his choosing, his family, and any necessary medical treatment he may require.

Sachlage

Nach Informationen von Amnesty International wurde der Ökonom und bekannte Wissenschaftler Dr. Nasser bin Ghaith am 18. August 2015 um 14 Uhr Ortszeit an seinem Arbeitsplatz in Abu Dhabi von Angehörigen des Staatssicherheitsdienstes festgenommen. Dabei wurde eine Reihe von Gegenständen konfisziert. Anschließend wurde er zu seinem Haus gebracht, das 13 Angehörige des Staatssicherheitsdienstes von 16 Uhr bis 20:30 Uhr durchsuchten und weitere Gegenstände konfiszierten. Der Wirtschaftswissenschaftler wurde anschließend an einen unbekannten Ort gebracht. Angehörige des Staatssicherheitsdienstes haben die Familie von Dr. Nasser bin Ghaith weder über die Gründe der Festnahme informiert noch Auskunft darüber gegeben, wo er festgehalten werden wird. Seine Familie kennt den Aufenthaltsort des Wissenschaftlers nicht. Dr. Nasser bin Ghaith leidet an mehreren gesundheitlichen Problemen, darunter Bluthochdruck, und benötigt regelmäßig Medikamente.

Amnesty International geht davon aus, dass Dr. Nasser bin Ghaith in eine geheime Haftanstalt des Staatssicherheitsdienstes der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) gebracht worden ist. Es deutet immer mehr darauf hin, dass Inhaftierte dort regelmäßig gefoltert oder anderweitig misshandelt werden, häufig um "Geständnisse" zu erzwingen, die später als Beweise gegen sie vor Gericht verwendet werden können.

Dr. Nasser bin Ghaith, ehemaliger Dozent der Zweigstelle der Pariser Universität Sorbonne in Abu Dhabi, hat öffentlich politische Reformen und Menschenrechte in den VAE gefordert. Im März 2011 hatte er zusammen mit weiteren zivilgesellschaftlich engagierten Bürger_innen der VAE eine Petition unterzeichnet, in der zu politische Reformen, wie beispielsweise der Einführung des Wahlrechts bei Parlamentswahlen, aufgerufen worden war. Der Wirtschaftswissenschaftler ist bereits in der Vergangenheit aufgrund seines Engagements Ziel von Angriffen geworden. So wurde er am 10. April 2011 festgenommen und anschließend unter der Anklage der "öffentlichen Beleidigung" des Präsidenten, Vizepräsidenten und Kronprinzen der VAE zusammen mit vier weiteren zivilgesellschaftlich engagierten Personen strafrechtlich verfolgt. Nach mehr als sieben Monat Haft sowie einem unfairen Gerichtsverfahren sprach die Staatssicherheitskammer des Obersten Gerichtshofs alle fünf Männer am 27. November 2011 für schuldig. Dr. Nasser bin Ghaith wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt. Die Männer wurden als die "VAE 5" bekannt. Sie sind einen Tag nach ihrer Verurteilung aufgrund internationalen Drucks im Rahmen einer Amnestie des Präsidenten freigekommen. Es ist jedoch nicht sicher, ob ihre Namen jemals aus dem Strafregister gestrichen wurden.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Seit 2011 gehen die Behörden der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) auf beispiellose Art und Weise gegen freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit in dem Land vor. Der Raum für Kritik ist kleiner geworden. Viele Kritiker_innen der Regierung der VAE, der Politik oder der Menschenrechtslage sind Opfer von Einschüchterungen und Drangsalierungen, Folter, unfairen Gerichtsverfahren und Inhaftierungen geworden. Die Behörden haben mehr als 100 Aktivist_innen und Regierungskritiker_innen festgenommen, inhaftiert und auf Grundlage weit gefasster und pauschaler Anklagepunkte, die die nationale Sicherheit oder Cyberkriminalität betreffen und in Gerichtsverfahren, die nicht den Standards für ein faires Verfahren entsprechen, unter Anklage gestellt. Betroffen sind unter anderem bekannte Anwält_innen, Richter_innen und Wissenschaftler_innen.

Dr. Nasser bin Ghaith und die anderen Aktivisten der "VAE 5" wurden 2011 gemäß den Paragrafen 176 und 8 des Strafgesetzbuches der VAE wegen Äußerungen angeklagt, die sie zuvor auf der Webseite Hewar, einem politischen Online-Diskussionsforum, getätigt hatten. Die Männer wurden wegen der "öffentlichen Beleidigung" des Präsidenten, des Vizepräsidenten sowie des Kronprinzen der VAE in dem Internetforum, das die Behörden ein Jahr zuvor verboten hatten, unter Anklage gestellt. Erst knapp zwei Monate nach ihrer Festnahme wurde Anklage gegen die Männer erhoben. Ihnen wurde von der Staatsanwaltschaft sowie dem Gericht jegliche angemessene Gelegenheit verwehrt, Einsicht in die Anklageprotokolle und die Beweise gegen sie zu erhalten, obwohl dies ihre Rechtsbeistände mehrfach gefordert hatten. Das Gerichtsverfahren, das am 14. Juni 2011 begonnen hatte, fand größtenteils im Geheimen statt. Die Behörden verwehrten der Öffentlichkeit, Journalist_innen, unabhängigen internationalen Beobachter_innen sowie den Familien der Angeklagten ohne Erklärung den Zutritt zu dem Verfahren.

Drei Monate nach Verhandlungsbeginn weigerten sich die Richter_innen zu Beginn einer Anhörung den Forderungen nach einem fairen Verfahren, darunter auch der Forderung nach Freilassung gegen Kaution, nachzukommen. Daraufhin verließen vier der Angeklagten aus Protest den Gerichtssaal. Sie boykottierten anschließend den nächsten Anhörungstermin. Das Gericht gewährte den Aktivisten keine Einsicht in die Anklageprotokolle oder Beweise gegen sie, auch nicht in die Beweise, die während der Ermittlungsphase von der Anklagebehörde des Staatssicherheitsdienstes erhoben worden waren. Das Gericht verweigerte den Rechtsbeiständen zudem die Möglichkeit, einen Zeugen der Staatsanwaltschaft ins Kreuzverhör zu nehmen und gewährte nicht ausreichend Zeit, andere Zeug_innen zu befragen. Die fünf Männer, ihre Familien sowie ihre Rechtsbeistände erhielten zahlreiche Morddrohungen. Diese stehen im Zusammenhang mit einer andauernden Einschüchterungskampagne durch einige Bürger_innen der VAE, die der herrschenden Elite nahe stehen. Die Behörden haben bis heute diesbezüglich keine Ermittlungen angestellt oder die dafür Verantwortlichen vor Gericht gestellt.

Im August 2011 wurde ein Brief aus dem Gefängnis geschmuggelt, der von Dr. Nasser bin Ghaith und den anderen vier Männern unterzeichnet worden war. Darin hatten sie geschrieben, dass sie aufgrund der bisherigen Verfahrensmängel nicht davon ausgingen, ein faires Verfahren zu erhalten. In dem Brief forderten die Aktivisten ein Ende der geheimen Verhandlungen sowie Zutritt für Beobachter_innen und die Öffentlichkeit zu den Anhörungen. Sie verlangten vom Gericht außerdem eine Freilassung gegen Kaution, Einblick in die Anklageprotokolle sowie die Möglichkeit für ihre Rechtsbeistände, Zeug_innen der Staatsanwaltschaft zu verhören.

Nach der Veröffentlichung des Briefes gab Dr. Nasser bin Ghaith an, dass die Gefängnisbehörden andere Inhaftierte dazu aufgefordert hätten, ihn zu drangsalieren. Nach einer Auseinandersetzung mit einem anderen Gefangenen wurde Dr. Nasser bin Ghaith trotz der hohen Temperaturen von 40 Grad Celsius in Einzelhaft in einer Zelle ohne Klimaanlage festgekettet.