Drohende Obdachlosigkeit

Der Abriss der Unterkünfte von 53 Roma-Familien in der Siedlung Ratko Mitrović, auch bekannt unter dem Namen Grmeč, ist offenbar vorerst ausgesetzt worden. Dennoch bleibt die Situation für die Familien unsicher, da die Abrissanordnungen nicht aufgehoben wurden und sie somit nach wie vor in Gefahr sind, obdachlos zu werden.

Appell an

MINISTERIN FÜR BAU, TRANSPORT UND INFRASTRUKTUR
Prof. dr. Zorana Mihajlović
Ministry of Construction, Transport and Infrastructure
Nemanjina 22-26
11000 Belgrade
SERBIEN
(Anrede: Dear Minister / Sehr geehrte Frau Ministerin)
E-Mail: kabinet@mgsi.gov.rs

Sende eine Kopie an

BOTSCHAFT DER REPUBLIK SERBIEN
Frau Jasmina Veličković
Geschäftsträgerin a.i, Botschaftsrätin
Taubertstraße 18
14193 Berlin
Fax: 030-825 2206
E-Mail: info@botschaft-serbien.de

Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Serbisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 25. September 2015 keine Appelle mehr zu verschicken.

Amnesty fordert:

E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Bitte sorgen Sie dafür, dass unverzüglich Maßnahmen ergriffen werden, um Alternativen zu den geplanten Abrissen und Zwangsräumungen zu finden.

  • Bitte stellen Sie sicher, dass den betroffenen Familien angemessene Alternativunterkünfte zur Verfügung gestellt werden und sie nicht der Gefahr ausgesetzt werden, obdachlos zu werden.

  • Ich fordere Sie dazu auf, ein Gesetz zu verabschieden, das rechtswidrige Zwangsräumungen verbietet. Zudem bitte ich Sie, zu gewährleisten, dass rechtmäßige Zwangsräumungen nur als letztes Mittel und in Übereinstimmung mit internationalen Standards sowie nach Konsultation mit allen betroffenen Familien in Betracht gezogen werden.

PLEASE WRITE IMMEDIATELY

  • Urging the authorities to take immediate measures to identify alternatives to the planned demolitions and evictions.

  • Calling on them to ensure that affected families are provided with adequate alternative accommodation and are not rendered homeless due to an eviction.

  • Urging the authorities to adopt a law prohibiting forced evictions and to ensure that evictions are carried out as a last resort, in accordance with international standards and in genuine consultation with affected families.

Sachlage

Die serbische stellvertretende Ministerpräsidentin und Ministerin für Bau- und Verkehrswesen, Zorana Mihajlović, die für die Förderung der Roma in Serbien zuständig ist, hat am 28. Juli in einem Offenen Brief alle Gemeinden darüber informiert, dass internationale Standards Serbien dazu verpflichten, Menschen vor rechtswidrigen Zwangsräumungen zu schützen. In dem Brief hat sie außerdem darauf hingewiesen, dass sich diese Verpflichtungen auch auf die lokalen Behörden beziehen, deren Aufgabe es ist, Räumungen in Übereinstimmung mit den UN-Grundsätzen und Leitlinien zu Räumungen und Umsiedlungen im Rahmen von Entwicklungsprojekten durchzuführen. Die Ministerpräsidentin hat zudem eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die Entwürfe für Regelungen bei Räumungen von informellen Siedlungen erstellen soll.

Informationen aus lokalen Quellen deuten darauf hin, dass die Regierung die örtlichen Behörden aufgefordert hat, die Räumungen nicht vorzunehmen und die Umsetzung der Abrissanordnungen auszusetzen. Dies ist den betroffenen Familien allerdings nicht mitgeteilt worden. Auch hat Amnesty International bislang keine Antwort vom Büro der Vizeministerpräsidentin erhalten, die diese Informationen bestätigen würde.
Der 53 Roma-Familien, die in der Siedlung Grmeč leben, sind bislang keine angemessenen alternativen Unterkünfte oder andere Alternativen zur Zwangsräumung von der Gemeinde angeboten worden. Mit den schriftlichen Anordnungen, die den Roma-Familien zwischen dem 7. und 10. Juli zugingen, wurden sie angewiesen, ihre Häuser innerhalb eines Tages nach Erhalt der Anordnung abzureißen. Die von der Baubehörde erlassenen Anordnungen sind bis jetzt nicht zurückgenommen worden. Die Familien sind deshalb nach wie vor in Gefahr, obdachlos zu werden, wenn die Abrissanordnungen umgesetzt werden.

Am 20. Juli hat die serbische NGO Lawyers' Committee for Human Rights, in der sich Jurist_innen für den Schutz der Menschenrechte zusammengeschlossen haben, im Namen von 130 Bewohner_innen der Siedlung, darunter 68 Kinder, einen Antrag an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerichtet, in dem gefordert wird, die Umsetzung der Abrissanordnungen auszusetzen. Der Gerichtshof leitete daraufhin ein Verfahren ein, um eine vorläufige Maßnahme zu erlassen, mit der die Zwangsräumung der 53 Familien gestoppt wird. Der Gerichtshof hat dazu Informationen bei der serbischen Regierung eingefordert. Die Entscheidung des Gerichtshofs steht noch aus.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Die Roma-Familien leben seit etwa 1999/2000 in der Siedlung. Damals mussten sie nach Ende des internen bewaffneten Konflikts zwischen Serb_innen und Albaner_innen 1999 aus dem Kosovo fliehen. Nach Ende dieses Konflikts wurden Roma im Kosovo Opfer systematischer und weit verbreiteter Menschenrechtsverstöße durch Kosovo-Albaner_innen, wie beispielsweise Entführungen, Morde, Vergewaltigungen und der Zerstörung von Eigentum. Grund dafür war die Tatsache, dass sie bisher hauptsächlich in serbischen Siedlungen gelebt hatten und größtenteils Serbisch sprachen. (Weitere Informationen dazu finden Sie online in dem englischsprachigen Bericht Serbia (Kosovo): Time for EULEX to prioritize war crimes: https://www.amnesty.org/en/documents/EUR70/004/2012/en/)

Nur wenige der vielen Tausend aus dem Kosovo geflohenen Roma konnten dauerhafte Lösungen finden. Als Binnenvertriebene sind sie extrem gefährdet und unterschiedlichen Formen von Diskriminierung ausgesetzt. Dies beeinträchtigt ihre Möglichkeiten, eine Reihe von Grundrechten gleichberechtigt wahrzunehmen, wie beispielsweise das Recht auf angemessenen Wohnraum. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks gelten heute rund ein Drittel der binnenvertriebenen Roma in Serbien als bedürftig. Armut und hohe Arbeitslosenzahlen beeinträchtigen die Gemeinden.

Serbien muss gewährleisten, dass den betroffenen Familien angemessene Alternativunterkünfte zur Verfügung gestellt und sie nicht obdachlos werden. Das Völkerrecht schreibt vor, dass Räumungen lediglich als letztes Mittel durchgeführt werden dürfen, wenn bereits alle anderen Alternativen in tatsächlicher Konsultation mit den Betroffenen ausgeschöpft wurden. Zwangsräumungen dürfen erst erfolgen, wenn angemessene verfahrenstechnische und rechtliche Schutzmaßnahmen getroffen wurden. Internationale Standards schreiben vor, dass selbst in Fällen, in denen eine Zwangsräumung gerechtfertigt ist, diese nur unter strikter Einhaltung internationaler Menschenrechtsnormen durchgeführt werden darf.

Regierungen müssen zudem gewährleisten, dass niemand auf Grund einer Zwangsräumung obdachlos oder anderen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wird. Opfer von Rechtsverletzungen müssen angemessene Rechtsbehelfe zugestanden werden, einschließlich der Bereitstellung von Entschädigungen für sämtliche Verluste sowie von angemessenen Alternativunterkünften für all diejenigen, die nicht selbst dafür aufkommen können. Diese Verpflichtungen gelten auf allen Regierungsebenen, auch für Stadtbehörden.

Die UN-Grundsätze und Leitlinien zu Räumungen und Umsiedlungen im Rahmen von Entwicklungsprojekten zielen darauf ab, Staaten bei der Erarbeitung von Politiken, Gesetzen, Verfahren sowie Präventivmaßnahmen zu unterstützen, um sicherzustellen, dass keine rechtswidrigen Zwangsräumungen erfolgen. Außerdem dienen sie der Ausarbeitung von Standards im Hinblick darauf, wie Zwangsräumungen durchzuführen sind, sowie der Bereitstellung angemessener Rechtsbehelfe für diejenigen, deren Menschenrechte verletzt wurden, sollten Präventionsmaßnahmen nicht gegriffen haben.
Die Ministerin für Bau- und Verkehrswesen ist zugleich stellvertretende Ministerpräsidentin der aktuellen Regierung. Diese ist mit der Koordinierung der Verbesserung der Situation der Roma in dem Land beauftragt.