Exzessive Gewaltanwendung
Die Demonstrationen im Iran nach der Präsidentschaftswahl vom 12. Juni 2009 dauern an. Laut den staatlichen iranischen Medien kamen bei den Auseinandersetzungen am 20. Juni bis zu 13 Personen ums Leben, mindestens 475 wurden festgenommen und viele verletzt. Die tatsächlichen Zahlen könnten allerdings höher liegen. Die Sicherheitskräfte schlugen die Demonstrierenden mit Schlagstöcken und setzten Wasserwerfer und Tränengas ein. Amnesty International ist der Meinung, dass die inhaftierten Personen in Gefahr sind, gefoltert oder in anderer Weise misshandelt zu werden, und dass weitere Demonstrierende gesetzeswidrig getötet oder sogar außergerichtlich hingerichtet werden könnten. Die Regierung schränkt derzeit ohne gesetzliche Grundlage die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit ein.
Appell an
INNENMINISTER
Sadegh Mahsouli, Ministry of the Interior,
Dr Fatemi Avenue, Tehran, IRAN
(korrekte Anrede: Your Excellency)
Fax: (00 98) 21 8 896 203, (00 98) 21 8 899 547
(00 98) 21 6 650 203
OBERSTE JUSTIZAUTORITÄT
Ayatollah Mahmoud Hashemi Shahroudi
Howzeh Riyasat-e Qoveh Qazaiyeh
Pasteur St., Vali Asr Ave., south of Serah-e Jomhouri
Tehran 1316814737, IRAN
(korrekte Anrede: Your Excellency)
E-Mail: shahroudi@dadgostary-tehran.ir (Betreff: FAO Ayatollah Shahroudi)
Sende eine Kopie an
RELIGIIONSFÜHRER
Ayatollah Sayed 'Ali Khamenei
The Office of the Supreme Leader
Islamic Republic Street, End of Shahid Keshvar Doust Street, Tehran, IRAN
(korrekte Anrede: Your Excellency)
E-Mail: info_leader@leader.ir oder über die Website: http://www.leader.ir/langs/en/index.php?p=letter (Englisch) http://www.leader.ir/langs/fa/index.php?p=letter (Persisch)
BOTSCHAFT DER ISLAMISCHEN REPUBLIK IRAN
S.E. Herrn Alireza Sheikh Attar
Podbielskiallee 65-67
14195 Berlin
Fax: 030-8435 3535
E-Mail: iran.botschaft@t-online.de
Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Persisch, Arabisch, Französisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 4. August 2009 keine Appelle mehr zu verschicken.
PLEASE SEND APPEALS TO ARRIVE AS QUICKLY AS POSSIBLE, PERSIAN, ARABIC, FRENCH, ENGLISH OR OWN LANGUAGE:
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calling on the authorities to ensure that security forces exercise restraint in the policing of any further demonstrations in connection with the election result, and that firearms are not used except as a last resort where strictly unavoidable in order to protect life;
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calling on the Iranian authorities to stop using the Basij militia to police demonstrations with immediate effect;
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stressing that all those detained, including the 475 arrested on 20 June, must be protected from torture or other ill-treatment, allowed access to their families, lawyers and any necessary medical treatment and should be brought before a judge without delay so they may challenge the basis of their detention;
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urging the authorities to order an independent and impartial investigation into the policing of the demonstrations, particularly into all deaths which have been reported;
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calling for anyone detained solely for their peaceful expression of their views regarding the outcome of the election to be released immediately and unconditionally;
- asking the authorities to stop unlawfully restricting the freedoms of association, assembly and expression, including the freedom to seek, receive and impart information and ideas.
Amnesty fordert:
SCHREIBEN SIE BITTE LUFTPOSTBRIEFE, FAXE UND E-MAILS, IN DENEN SIE
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die Behörden auffordern sicherzustellen, dass die Polizei bei zukünftigen Demonstrationen im Zusammenhang mit dem Wahlergebnis Zurückhaltung übt, und dass Schusswaffen nur im äußersten Notfall zum Schutz von Leben zum Einsatz kommen;
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die iranische Regierung drängen, den Einsatz der Basij-Miliz bei Demonstrationen unverzüglich einzustellen;
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betonen, dass alle Inhaftierten, einschließlich der am 20. Juni festgenommenen 475 Personen, vor Folter und anderer Misshandlung geschützt werden müssen, Zugang zu ihren Familien, Anwälten und nötiger medizinischer Versorgung erhalten müssen und unverzüglich einem Richter vorzuführen sind, um ihre Inhaftierung anfechten zu können;
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die Behörden auffordern, eine unabhängige Untersuchung des Polizeieinsatzes während der Demonstrationen in die Wege zu leiten, insbesondere bezüglich aller Todesfälle, von denen berichtet wurde;
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fordern, dass alle Personen, die sich allein deshalb in Haft befinden, weil sie sich friedlich zum Wahlergebnis geäußert haben, sofort und bedingungslos freigelassen werden;
- die Behörden auffordern, die unrechtmäßige Einschränkung der Rechte auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit unverzüglich aufzuheben, darunter auch das Recht, Informationen einzuholen, zu erhalten und weiterzugeben.
Sachlage
Der Tod der 20-jährigen Neda Agha Soltan am 20. Juni 2009 wurde gefilmt und im Internet verbreitet. Die Philosophiestudentin war mit anderen Personen in einem Auto unterwegs, als sie aufgrund einer Demonstration auf der Kagar Avenue in Teheran im Verkehr stecken blieben. Sie soll wegen der extremen Hitze aus dem Auto gestiegen sein und wurde dann von einem unbekannten Schützen in die Brust geschossen. Der Schütze war möglicherweise ein Mitglied der Basij-Miliz. Neda Agha Soltan wurde am folgenden Tag von ihrer Familie begraben. Die Trauerfeier musste Berichten zufolge jedoch abgesagt werden, nachdem sie von offizieller Seite verboten worden war. Alle Moscheen im Bereich Teheran wurden davor gewarnt, Gedenkgottesdienste für Neda Agha Soltan abzuhalten.
Am 22. Juni 2009 stellte die iranische Revolutionsgarde als Reaktion auf die Aufforderung des Präsidentschaftskandidaten Mir Hossein Mussawi an seine AnhängerInnen, weitere Demonstrationen abzuhalten, eine Erklärung auf ihre Internetseite, laut der sie "in der momentanen angespannten Situation [...] den DemonstrantInnen und GesetzesbrecherInnen konsequent und auf revolutionäre Weise begegnen wird". Mussawi forderte seine AnhängerInnen auch auf, auf Gewalt zu verzichten und sich in der Kontrolle zu haben. Später forderten AnhängerInnen Mussawis die Demonstrierenden über das Internet auf, schwarze Kerzen mit grünen Bändern zu tragen, um ihre Solidarität mit den Opfern der Unruhen zu zeigen. Sie forderten zudem alle MotorradfahrerInnen auf, ihre Scheinwerfer ab fünf Uhr nachmittags für zwei Stunden einzuschalten, um "ihre Anteilnahme für die Familien der während der Unruhen Getöteten auszudrücken". Mindestens 1000 Demonstrierende versammelten sich in Teheran und setzten sich so über das Demonstrationsverbot der Regierung hinweg. Die Polizei setzte Tränengas ein und nahm mehrere Personen fest.
Während seiner Fernsehansprache an die Nation im Rahmen des Freitagsgebets am 19. Juni in Teheran forderte der oberste Religionsführer Ayatollah Khamenei ein Ende der Demonstrationen gegen das Wahlergebnis. Anstatt die Sicherheitskräfte und die freiwilligen Mitglieder der Basij-Miliz aufzufordern, sich zurückzuhalten und dem Gesetz entsprechend zu handeln, warnte er die IranerInnen, dass sie die Konsequenzen zu tragen hätten, sollten sie weiterhin auf die Straßen gehen.
Am 22. Juni zitierte die amtliche Nachrichtenagentur IRNA Ebrahim Raisi, einen leitenden Justizbeamten, der im staatlichen Fernsehen am 22. Juni erklärt hatte, am 20 Juni seien mindestens zehn Personen bei Auseinandersetzungen mit der Polizei in Teheran getötet und über 450 festgenommen worden. Er fügte hinzu, dass "denjenigen, die kürzlich festgenommen wurden, auf eine Art begegnet werden wird, die ihnen eine Lektion erteilt". Außerdem kündigte er an, dass sich ein Sondergericht mit den Fällen befassen werde. Amnesty International fordert die iranische Regierung mit Nachdruck auf, umgehend Ermittlungen zu den bestätigten und unbestätigten Todesfällen einzuleiten.
Das harte Vorgehen gegen die iranischen Medien dauert an, und ausländischen Medien ist es untersagt, über die Demonstrationen zu berichten.
Hintergrundinformation
In den Tagen nach der iranischen Präsidentschaftswahl am 12. Juni 2009 nahmen Hunderttausende IranerInnen an landesweiten Kundgebungen und Demonstrationen teil, in denen die Durchführung der Wahlen und der Wahlausgang kritisiert wurden. Nach der Ansprache des obersten Religionsführers am 19. Juni nahmen die Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften dramatisch zu. Seitens der Polizei und Sicherheitskräfte, unter anderem der freiwilligen Basij-Miliz, kam es zu exzessiver Gewaltanwendung wie dem Einsatz von Schlagstöcken gegen Demonstrierende, um die Proteste zu beenden. In einigen Fällen wurde auf Demonstrierende mit scharfer Munition geschossen. Die Zahl der Toten steigt. Seit der Präsidentschaftswahl wurden insgesamt 21 Todesfälle durch staatliche Medien bestätigt. Überall im Iran wurden eine Vielzahl an PolitikerInnen, JournalistInnen, AkademikerInnen, StudentInnen und MenschenrechtlerInnen inhaftiert, einige von ihnen nur kurz.
Bei der Basij-Miliz handelt es sich um eine paramilitärische Organisation, die aus Freiwilligen besteht. Diese Frauen und Männer unterstehen der Revolutionsgarde (Islamic Revolutionary Guards Corps – IRGC). Die Basij-Truppen sind an vielen Orten im Einsatz wie bspw. Schulen, Universitäten, Fabriken, privaten und staatlichen Institutionen und sogar bei verschiedenen ethnischen Gruppen. Sie werden eingesetzt, um Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten und abweichende Meinungen zu unterdrücken. Ihnen wurde wiederholt massive Brutalität vorgeworfen.