Reporter bedroht

Tag des Verschwindenlassens: Aktion in Berlin

Aktion in Berlin gegen das Verschwindenlassen

Ende Dezember und Anfang Januar "verschwanden" in Chilpancingo im mexikanischen Bundesstaat Guerrero mindestens sieben junge Männer. Am 19. Januar veröffentlichte der Fernsehreporter Marco Antonio Coronel Aufnahmen von Überwachungskameras, die gemeinsam mit anderen Informationen darauf hindeuten, dass die örtliche Polizei in sechs der sieben Fälle verwickelt ist. Nur wenige Tage später erhielt er Drohungen über die Online-Plattform Twitter.

Appell an

Subprocuraduría Jurídica y de Asuntos Internacionales

Rpio Amazonas 43, Col. Cuauhtémoc, Del. Cuauhtémoc

Ciudad de México, C.P. 06500

MEXIKO

Sende eine Kopie an

Botschaft der Vereinigten Mexikanischen Staaten

S. E. Herrn Rogelio Granguillhome Morfin

Klingelhöferstraße 3

10785 Berlin

Fax: 030-26 93 23 700

E-Mail: mexale@sre.gob.mx

Amnesty fordert:

  • An den Generalstaatsanwalt: Untersuchen Sie bitte dringend die Drohungen gegen Marco Antonio Coronel, veröffentlichen Sie die Ergebnisse und stellen Sie die Verantwortlichen vor Gericht.
  • Ermitteln Sie bitte dringend den Verbleib von Abel Aguilar García und Efraín Patrón Ramos und leiten Sie zudem eine Untersuchung der Folterung von Alán Alexis und der beiden Jugendlichen ein. Untersuchen Sie dabei bitte auch die mögliche Zusammenarbeit der Lokalbehörden mit dem organisierten Verbrechen.
  • An den Staatsanwalt von Guerrero: Kooperieren Sie bitte mit der Untersuchung der Fälle des Verschwindenlassens, der Folter und der Tötungen in Guerrero.
  • An den Bürgermeister: Unterziehen Sie die örtlichen Polizeikräfte einer eingehenden Überprüfung, um sicherzustellen, dass die Polizei nicht mit kriminellen Netzwerken zusammenarbeitet.

Sachlage

Zwischen dem 25. Dezember 2017 und dem 3. Januar 2018 "verschwanden" in Chilpancingo, der Hauptstadt des mexikanischen Bundesstaates Guerrero, mindestens sieben junge Männer. Die Recherchen von Amnesty International ergaben Hinweise darauf, dass die Polizei an fünf dieser Fälle beteiligt war. Am 19. Januar veröffentlichte Marco Antonio Coronel, ein Reporter des nationalen Fernsehsenders Televisa, Aufnahmen von Überwachungskameras, die darauf hindeuten, dass die örtliche Polizei auch in das Verschwindenlassen von Efraín Patrón Ramos verwickelt ist. Der junge Mann war zuletzt in den frühen Morgenstunden des 29. Dezember gesehen worden. All diese Informationen lassen darauf schließen, dass es sich in sechs der sieben Fälle tatsächlich um Fälle des Verschwindenlassens handelt. Drei der betroffenen Männer wurden Anfang des Jahres lebendig und mit Folterspuren aufgefunden, zwei weitere fand man tot auf. Der Verbleib von Abel Aguilar García und Efraín Patrón Ramos ist nach wie vor unbekannt.

Efraín Patrón Ramos wurde zuletzt am 29. Dezember 2017 gesehen, als er in seinem Wagen auf einer Hauptstraße in Chilpancingo unterwegs war. Von seinen Familienangehörigen erfuhr Amnesty International, dass Efraín Patrón Ramos einem Freund am Telefon erzählt hatte, er werde von lokalen Polizeikräften beschattet. Die von Marco Antonio Coronel am 19. Januar veröffentlichten Aufnahmen zeigen deutlich, dass der Wagen von Efraín Patrón Ramos zum Zeitpunkt dieses Telefonats in Chilpancingo von Polizeiautos verfolgt wurde. Aufnahmen, die 25 Minuten später ganz in der Nähe gemacht wurden, zeigen erneut den Wagen von Efraín Patrón Ramos. Diesmal fährt sein Auto hinter einer Polizeistreife und einem beigen Wagen her, was darauf hindeutet, dass Efraín Patrón Ramos zu diesem Zeitpunkt nicht mehr am Steuer saß.

Am 30. Januar wurde Marco Antonio Coronel auf Twitter mit dem Tod bedroht. Er erhielt eine Nachricht, die von einem Drogenkartell unterschrieben war, dem man Verbindungen zu den Lokalbehörden von Chilpancingo vorwirft. In der Nachricht hieß es: "Wenn du nicht in Stücke geschnitten werden willst, dann halte dich verdammt nochmal zurück." Der Fernsehsender Televisa und Marco Antonio Coronel wurden in der Nachricht namentlich genannt. Am 31. Januar erhielt der Reporter weitere ähnliche Nachrichten. Da er um seine Sicherheit fürchtet, befasst er sich nicht mehr mit dem Fall von Efraín Patrón Ramos. Die mexikanische Regierung hat Schutzmaßnahmen für ihn eingeleitet.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Am 27. Dezember 2017 fielen der 20-jährige Alán Alexis sowie zwei Jugendliche, deren Namen Amnesty International aus Sicherheitsgründen nicht nennt, in Chilpancingo im Bundesstaat Guerrero dem Verschwindenlassen zum Opfer. Die jungen Männer wurden offenbar sieben Tage lang von Angehörigen der örtlichen und bundesstaatlichen Polizei festgehalten und gefoltert. Am 3. Januar 2018 wurden sie gefesselt und mit unverkennbaren Folterspuren am Körper aufgefunden. Amnesty International vorliegenden Berichten zufolge haben Polizeikräfte die Männer gefoltert, um sie zur Preisgabe von Informationen zu zwingen. Am 30. Dezember wurden Jorge Vázquez Campos und Marco Catalán Cabrera Opfer des Verschwindenlassens. Verantwortlich hierfür ist offenbar die örtliche Polizei, mutmaßlich in Zusammenarbeit mit dem organisierten Verbrechen. Die Leichen der beiden Männer wurden am 3. Januar auf einem verlassenen Grundstück außerhalb von Chilpancingo gefunden.

Von Abel Aguilar García und Efraín Patrón Ramos, die ebenfalls Ende Dezember 2017 "verschwanden", fehlt nach wie vor jede Spur. Familienangehörige von Abel Aguilar García sagten Amnesty International, dass er am Vormittag des 25. Dezember 2017 seine Studentenwohnung verließ und seither nicht mehr gesehen wurde. Efraín Patrón Ramos "verschwand" in den frühen Morgenstunden des 29. Dezember. Laut Angaben der Verwandten von Abel Aguilar García und Efrain Patrón Ramos hat die Staatsanwaltschaft des Bundesstaats Guerrero das Verschwindenlassen der beiden Männer bisher nicht angemessen untersucht und stattdessen die Dringlichkeit der Fälle heruntergespielt.

Amnesty International hat die Staatsanwaltschaft von Guerrero um nähere Informationen zu all diesen Fällen gebeten, bisher jedoch noch keine schriftliche Antwort erhalten. Im Fall von Efraín Patrón Ramos sagte der Gouverneur von Guerrero am 20. Januar öffentlich, dass die von Marco Antonio Coronel veröffentlichten Aufnahmen untersucht würden. Familienangehörige beklagen jedoch den Mangel an Fortschritten in dieser Untersuchung. Die Videoaufnahmen deuten darauf hin, dass mindestens fünf Angehörige der örtlichen Polizei in das Verschwindenlassen von Efraín Patrón Ramos verwickelt sind.

Dem Bericht von Marco Antonio Coronel lässt sich entnehmen, dass in dem Bereich zwischen der Hauptstraße von Chilpancingo (wo die ersten Aufnahmen gemacht wurden) und der Stelle, an der das Auto von Efraín Patrón Ramos erneut gesichtet wurde (die zweiten oben beschriebenen Aufnahmen), keine Überwachungskameras angebracht sind und dass es daher möglich ist, dass sich seine Entführung dort abgespielt hat. Marco Antonio Coronel weist zudem darauf hin, dass Abel Aguilar García nur zwei Tage zuvor offenbar auf genau derselben Straße "verschwand". In den vergangenen Monaten hat Marco Antonio Coronel zudem über Verbindungen zwischen der Staatsanwaltschaft von Guerrero und Gruppen des organisierten Verbrechens berichtet. Dies ist das erste Mal in 15 Jahren, dass der Reporter seine Tätigkeit einstellen muss, weil er aufgrund seiner Arbeit bedroht wird.

Diese Fälle des Verschwindenlassens ereigneten sich nur etwa eine Stunde von dem Ort entfernt, an dem im September 2014 43 Studierende eines Ausbildungszentrums für Lehrkräfte in Ayotzinapa dem Verschwindenlassen zum Opfer fielen. Fälle des Verschwindenlassens sowohl seitens staatlicher als auch nichtstaatlicher Akteure sind in Mexiko nach wie vor an der Tagesordnung und die Verantwortlichen gehen in den meisten Fällen straffrei aus. Dem offiziellen Nationalen Register über Verschwundene Personen (Registro Nacional de Personas Desaparecidas) lässt sich entnehmen, dass Ende 2017 das Schicksal bzw. der Verbleib von 33.482 Personen (24.805 Männer und 8.677 Frauen) ungeklärt war. Die tatsächliche Zahl liegt vermutlich noch weitaus höher, da in dieser offiziellen Statistik weder landesweite Fälle enthalten sind, die sich vor 2014 ereignet haben, noch als andere Straftaten eingestufte Fälle, wie z. B. Entführungen oder Menschenhandel. Die Untersuchungen in Fällen des Verschwindenlassens sind oftmals mangelhaft und die Behörden leiten in der Regel keine schnellen Suchaktionen in die Wege.